26.07.2018 - 16:10 Uhr

Realität raffiniert verwoben

"Orlando Paladino" beginnt wie eine Liebesschnulze der 50er Jahre. "Medoro und Angelica" schmachten auf dem Plakat. Der Film zur Ouvertüre indes zeigt eindeutig das Liebesleben der alten Kinobetreiber, starker Tobak für so manche Zuschauer.

Auf drei Ebenen wird Haydns „Orlando paladino“ parodiert, als Liebesschnulze in Stummfilm-Manier in einem Kino der 50er Jahre, deren Betreiber ganz dem Charme der Darsteller obliegen. Wilfried Hösl
Auf drei Ebenen wird Haydns „Orlando paladino“ parodiert, als Liebesschnulze in Stummfilm-Manier in einem Kino der 50er Jahre, deren Betreiber ganz dem Charme der Darsteller obliegen.

Doch Axel Hanischs Regiekonzept bei den Münchener Opernfestspielen ist überaus stimmig für diese "Opera Eroicomico", komische Heldenoper, wie Haydn sie benannte, zwar sehr komplex, aber auch umwerfend gut. Wer die Spielhandlung der Oper kennt, kann mehr genießen. Angelica liebt den Medoro und umgekehrt. Doch der Ritter Orlando will sie für sich haben. Rodomonte spielt sich als Beschützer des Liebespaares auf, damit er endlich gegen Orlando kämpfen kann. In ihrer Not bittet Angelica die Zauberin Alcina um Hilfe.

Doch erst mit Unterstützung des Fährmanns über den Lethe, setzt sich Vernunft durch. Pasquale und Eurilla spiegeln das Auf und Ab der Liebe auf Dienerebene und das Kinopersonal identifiziert sich herzschmerzlich mit den Helden, wodurch sich das Verwechslungsspiel noch um eine Dimension erweitert. Am Schluss finden sich komödiantisch die richtigen Paare querbeet und der Filmvorführer darf endlich seinen skurrilen Helden Orlando lieben. Make love not war! Mit Haydns aufklärerischen Impetus hat das weniger zu tun.

Heiter und liebenswürdig

Der Clou ist, dass Axel Hanisch die Ebenen ständig verrutschen lässt. Die Oper parodiert er als Stummfilm-Schmachtfetzen, gleichzeitig lässt er Opernhelden im Filmfoyer als reale Figuren und Heldenparodien agieren und Kinobetreiber in beiden Ebenen mitspielen. So spiegelt diese Inszenierung nicht nur die Oper und ihre Wirkung, sondern gleichzeitig die enorme Manipulation der Gemüter.

Axel Hanisch inszeniert das derart heiter und liebenswürdig, dass diese barocke Opernantiquität, einst Haydns Opernhit auf Schloss Esterhazy, tatsächlich wieder amüsiert. Das Regieteam mit Falko Herold (Bühne und Kostüme) und Michael Bauer (Licht) hat immer wieder noch eine Überraschung auf Lager. Der Popcorn-Automat explodiert. Statt Taschentuch schwenken die Männer weiße Strümpfe als Trophäen. Medoro taumelt verliebt im Lichtgeflimmer tanzender Baumrinden-Herzen. Wälder brennen, die Nacht erhellt sich im Blitzgewitter.

Angelica, großartig von Adela Zaharia gesungen und gespielt, schmachtet im Film stumm und betört auf der Bühne mit kraftvoll strahlenden Timbre, im weißen Kleid ganz Lichtgestalt, die Aura der reinen Schönheit verbreitend. Kaum zu glauben, dass sie so einen Hasenfuß wie Medoro liebt. Aber dieser Medoro, gesungen von Dovlet Nurgeldiyev, betört durch die Stimme. Mathias Vidal als Orlando, treffsicher als Ritterparodie in der Don-Quijote-Tradition, kämpft mit Staubwedel statt mit Schwert. Witzig in Phallushaltung, galoppiert er bei Schräglicht romantisch im Wald, um dann aus der Tupperschüssel sein Pausenbrot zu futtern, vom Filmvorführer voyeuristisch beobachtet, gefangen und verschleppt zu werden. Bei dieser Rolleninterpretation fallen manche unpräzise Tiefen kaum auf.

Spielfreudig macht das Ensemble mit. Und da jede Figur von Haydn mit schönen Partien bedacht ist, kommen alle bestens zur Wirkung. Tara Erraught verwandelt sich von der Verkäuferin im Kinokiosk in eine fulminante und stimmgewaltige Zauberin, dämonisch kontrastiert von François Lis mit umwerfendem Bass. David Portillo erobert mit seiner herzerfrischend parodistischen Violin-Arie nicht nur Eurilla, sondern die Zuschauer im Handumdrehen.


Harmonischer Wohlklang

Witzig und doch berührend wird jedes Duett der beiden ein gesangliches und optisches Ereignis, insbesondere wenn Portillo verwundet von vielen Speeren wie ein Igel erscheint und sie, alias Elena Sancho Pereg, ihn mit mädchenhaft klaren Koloraturen von seinen Qualen erlöst. Als Rodomonte ist Edwin Crossley-Mercer der ständig Wütende. Das macht er mit darstellerischer Bravour. Doch die Wildheit in der Tiefe der Partitur bleibt er schuldig.

Dezent stellt sich das Münchener Kammerorchester unter Leitung von Ivor Bolton ganz in den Dienst der Sänger, umrahmt und stützt die Stimmen. Die karikierenden Elemente in Haydns frech innovativ komponierter Oper, im Programmheft wortreich angekündigt, bleiben allerdings relativ verhalten, dafür bestechen die Tutti durch harmonischen Wohlklang. Doch es ist die innovative Inszenierung, die von diesem "Orlando Paladino" in erster Linie in Erinnerung bleibt.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.