Digital Streetwork in der Oberpfalz: Wie junge Menschen im Internet Hilfe bekommen

Regensburg
08.08.2022 - 17:10 Uhr
OnetzPlus

Reddit, Discord, Twitch: Katha Röhrl und Nando Petri sind die ersten digitalen Streetworker der Oberpfalz und arbeiten quasi im Internet – um dort jungen Menschen zu helfen. Die haben nämlich große Sorgen und Ängste.

Fynns Hilferuf landet im digitalen Kummerkasten. Sieben Monate war er in einer Beziehung, die "nicht immer gut lief", schreibt er auf Discord. Wegen der Beziehung hatte er vieles vernachlässigt: Ausbildung, Arbeit, Freunde. Nach der Trennung fiel er in ein Loch, aus dem er, so ist es noch öffentlich zu lesen, alleine nicht mehr herauskommt. "Ich hatte vorhin einen mentalen Zusammenbruch und fühle mich gerade zu nix in der Lage."

Katha Röhrl antwortet. Fynn könne sich sehr gerne bei ihm oder seinem Kollegen Nando Petri melden. "Wir sind selbstverständlich gerne für dich da." Smiley.

Röhrl ist ein Pionier, seinen Job gibt es noch nicht mal seit einem Jahr. Der 25-Jährige ist digitaler Streetworker, einer von zwei in der Oberpfalz. Sein Arbeitsplatz ist quasi das Internet, die Plattformen Reddit, Instagram, Twitch, Twitter oder eben Discord. Röhrl ist dort unterwegs, wo sich die jungen Menschen aufhalten. Das Ziel: Die Leute erreichen, die man außerhalb des Internets vielleicht nicht erreicht. Ihnen bei Sorgen und Nöten zu helfen, Problem zu lösen, Therapieplätze zu vermitteln. "Im Internet ist die Hemmschwelle geringer", sagt Röhrl. Die Menschen würden eher von ihren Problemen erzählen. Das Angebot der digitalen Streetworker ist anonym, freiwillig und kostenlos. Man braucht keine formale Mail, kein Telefonat, um Kontakt aufzunehmen.

Sucht, Depressionen, Liebe

Warum die Menschen Röhrl anschreiben, ist ganz unterschiedlich, sagt er. Viele hätten Suchtprobleme oder psychische Belastungen. Depressionen, Angststörungen. Probleme, einen Therapieplatz zu finden. "Da ist die Situation in Deutschland ja nicht so leicht", ergänzt der 25-Jährige. Viele hätten Suizidgedanken. "Das lässt einen natürlich nicht kalt."

Es gehe auch um Themen wie Identität, Sexualität, Liebe, Einsamkeit, wie man soziale Kontakte knüpfen kann. Auch wegen der Corona-Pandemie hätten damit viele junge Leute Schwierigkeiten. Die Streetworker versuchen den Menschen zu unterstützen, im Ernstfall an die Einzelfallhilfe weiterleiten.

Das Angebot vom Bayerischen Jugendring, das sich an Menschen im Alter von 14 bis 27 Jahren richtet, ist ein Modellprojekt, deutschlandweit einzigartig. Es wird vom Sozialministerium gefördert und läuft erstmal bis zum Ende des Jahres. Die Zukunft ist noch offen, heißt es vom Oberpfälzer Bezirksjugendring. Der Erfolg spreche aber für das Projekt. In den ersten drei Monaten haben die Streetworker bayernweit mehr als 2500 Gespräche geführt, sagt Röhrl. Bei ihm alleine waren es im Juli mehr als 100. Tendenz steigend. "Der Bedarf ist da", sagt der Streetworker, der aus Regensburg kommt.

"Bock auf soziale Medien"

"Wir machen das, was klassische Streetworker auch machen", sagt Röhrl. Nur halt nicht auf der Straße, sondern im Netz. "Wo Streetwork drauf steht, muss auch Streetwork drin sein." Die digitale Streetworker schauen die Plattformen durch und reagieren gegebenenfalls auf Beiträge, gehen dann aktiv auf die Menschen zu. Sie erstellen aber auch eigene Posts, auf die sich die Leute dann melden. Auf Reddit hat die Gruppe der Oberpfälzer Streetworker mehr als 630 Mitglieder.

Jeden Tag bekommt Röhrl jede Menge Nachrichten, erzählt er. Rund zehn Plattformen bedient er. Auf dem Schreibtisch im Büro in Regensburg stehen zwei große Bildschirme, ein Laptop, daneben liegen ein Tablett und ein Smartphone. Wenn es die Leute wünschen, können sie auch mit den Streetworkern telefonieren. Auch ein Treffen im "real life" sei möglich.

In der Arbeit mit den jungen Menschen sei es wichtig, "auf Augenhöhe" zu agieren, sie ernst zu nehmen, nicht die "Internetpolizei" zu sein. Für den Job müsse man "schon Bock haben auf die sozialen Medien", sagt Röhrl. Leidenschaft für das, was die jungen Leute bewegt, wo die sich aufhalten. Im Büro hängen Poster der Animeserie "Dragon Ball" sowie den Videospielen "Mario Kart" und "Zelda". In einer Ecke stehen zwei blaue Sitzsäcke. In der anderen ein kleines Sofa, davor ein Fernseher, die Nintendo Switch ist angesteckt. Auf dem Fensterbrett liegen Computerspiele.

Zocken gehört zum Job

Auch das Zocken gehört zum Job. "Es ist jetzt nicht so, dass wir den ganzen Tag spielen", sagt Röhrl, "aber es ist ein wichtiger Teil." Ein gutes Werkzeug, um "Beziehungsarbeit" zu machen. Ein Spieleabend, bei dem Petri live im Internet zockt und dabei streamt, bringe Ablenkung, weg von den ganzen Problemen. Die Leute können auch mitspielen. Fall Guys, Mario Kart oder Fifa. "Es ist ein bisschen wie ein digitales Jugendzentrum", meint Röhrl.

Wie es nach dem Ende des Jahres für die digitale Streetworker weitergeht, weiß bisher noch keiner. Die Stellen sind befristet. Röhrl und Petri hoffen, dass das Projekt fortgesetzt wird. "Solche digitalen Angebote werden gebraucht", sagt Röhrl. "Es wäre fatal für die Jugendlichen, wenn das wieder wegfallen würde." Auch Petri fände es schade, wenn es zu Ende gehen würde.

Während er über die Zukunft spricht, lädt er gerade Spielzeugautos für das Mixed-Reality-Game "Mario Kart live: Home Circuit" auf, fummelt an der Switch herum. Davor testete er eine VR-Brille. Am nächsten Tag geht es für ihn und Röhrl nach Neutraubling. Spieleabend in Neutraubling im "real life". Dafür, so erzählen sie, haben sich doppelt so viele Menschen angemeldet als eigentlich vorgesehen waren. Alle dürfen kommen.

OnetzPlus
Deutschland und die Welt08.08.2022
Hintergrund:

Wo die jungen Menschen unterwegs sind

  • Instagram: Soziales Netzwerk, Fokus auf Videos und Fotos: digital_streetwork_opf
  • Reddit: Online-Plattform, zum Chatten, für Fotos und Videos und Nachrichten: Digital_Streetwork
  • Twitch: Portal vor allem für Übertragungen von Videospielen: digital_streetwork_opf
  • Twitter: Kurznachrichtendienst: @Katha_DSW
  • Sonstiges: Auch über Messengerdienste wie Whatsapp, Signal oder Telegram und Mail (katha_dsw_opf[at]outlook[dot]de) erreichbar
 
 

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