ONETZ: Herr Dr. Erös, Sie sind vor wenigen Tagen aus Pakistan zurückgekehrt. Wie haben Sie die Situation im Land erlebt?
Reinhard Erös: Einen Tag vor meiner Ankunft in der Provinz Punjab, wo die Christin Asia Bibi neun Jahre unschuldig wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilt in einem Frauengefängnis gesessen hatte ,verfügte das Oberste (säkulare) Gericht Pakistans, der High Supreme Court, ihre Freilassung. Nach einstimmiger Auffassung der Richter war sie 2009 von muslimischen Nachbarsfrauen verleumdet worden und fälschlicherweise zum Tode verurteilt worden. Pakistan ist neben Saudi-Arabien, Iran und Afghanistan das einzige Land, in dem wegen Blasphemie die Todesstrafe verhängt werden kann.
Die Entscheidung zur Freilassung war einstimmig erfolgt, und diesem Beschluss hatte sich sogar das höchste islamische Gericht, der Federal Sharia Court, angeschlossen. Trotzdem rief Khazim Rizvi, Führer einer militanten islamistischen Partei, alle Moslems im Land auf, gegen diese Entscheidung gewaltsam zu demonstrieren und sowohl die Freigesprochene, eine Mutter von fünf Kindern, als auch alle 16 beteiligten Richter zu lynchen. Seinem Aufruf folgten vor allem in den Großstädten Zehntausende Fanatiker und zogen plündernd und randalierend durch die Straßen.
Nur mit massivem Einsatz von Militär und Polizei gelang es, bürgerkriegsähnliche Zustände zu unterbinden. Die wenigen Christen im Land, ca. fünf Millionen unter den 200 Millionen Moslems, waren massiv verängstigt und versteckten sich in ihren Häusern. Alle christlichen Kirchen und Schulen wurden geschlossen, Gottesdienste abgesagt.
ONETZ: Die Kinderhilfe betreibt im Land mehrere christlich-muslimische Schulen. Können diese ungestört arbeiten? Werden Lehrer und Schüler bedroht?
Nachdem die Regierung aus Angst vor dem Mob wenige Tage später entschieden hat, das Gerichtsurteil nochmals zu überprüfen und Bibi Asia vorläufig im Gefängnis zu belassen, hat sich die Lage vorläufig wieder beruhigt. Unsere Schulen haben den Unterricht zunächst wieder aufgenommen. Die Angst bleibt, und etliche christliche Eltern behalten ihre Kinder lieber zu Hause.
ONETZ: Wie sehr belastet der Fall Asia Bibi das Leben der christlichen Menschen und Gemeinden? Was berichten Ihnen ihre Kooperationspartner?
Formal besteht in Pakistan laut Verfassung zwar Gewissens- und Religionsfreiheit. Tatsächlich aber werden religiöse Minderheiten wie Hindus, Sikhs, Ajhmadis und Christen in der Islamischen Republik Pakistan seit der Staatsgründung 1947 als Menschen zweiter Klasse behandelt. Sie haben kaum Zugang zu Führungspositionen, müssen sich häufig in einfachen Tätigkeiten, viele als Tagelöhner, Straßenkehrer und Klo-Putzer, verdingen. Ihre Kinder haben kaum Zugang zu guten Schulen oder gar Hochschulen
Seit 2001, dem Beginn des vom damaligen „christlichen“ US-Präsidenten Bush als „Kreuzzug“ bezeichneten Krieges im Nachbarland Afghanistan werden von islamistischen Kräften immer wieder Kirchen angegriffen, Christen verfolgt und umgebracht. Die Ideologie dieser militanten Gruppen ist der von Saudi-Arabien auch in Pakistan geförderte wahhabitische Islam. In meinen Gesprächen mit pakistanischen Christen erfahre ich immer wieder Unverständnis, warum ausgerechnet christliche Länder, darunter auch Deutschland, Saudi-Arabien nicht verurteilen, sondern mit dem Land wirtschaftlich zusammenarbeiten und es militärisch weiterhin unterstützen.
ONETZ: Ihre Arbeit erfährt auch Unterstützung von muslimischen Organisationen. Wie sehen diese die Gewalt des muslimischen Mobs gegen Christen.
Vor wenigen Wochen hatte mir sogar der Führer einer moderaten moslemischen Partei in einem persönlichen Brief gedankt für die vorbildliche Bildungsarbeit, die wir mit unseren christlich-moslemischen Gemeinschaftsschulen in Pakistan leisten
Die überwältigende Mehrheit der Pakistaner ist weder islamistisch geprägt, noch gar aggressiv gegenüber christlichen Einrichtungen. In meinen Gesprächen mit Moslems während der islamistischen Umtriebe zeigten sie mir sehr deutlich ihre Ablehnung dieses aufgestachelten Mobs.
ONETZ: Vor wenigen Tagen ist Sami ul-Haq, der als "Vater der Taliban" bezeichnet wird, beigesetzt worden. Sie haben ihn früher ja mehrfach gesprochen. Welche Auswirkungen hat seine Ermordung auf die Entwicklung in Afghanistan?
Sami Ul Haq war als Mudjahed während des sowjetisch-afghanischen Krieges (1979-1989, Anmerkung der Redaktion) verwundet worden und einer meiner Patienten gewesen. Ich hatte ihn dann während des Taliban-Regimes, als er Direktor der HAQANIA, der Elite-Madrassa an der pakistanischen Grenze zu Afghanistan, geworden war, des öfteren auch besucht. Auch seiner Unterstützung ist es zu verdanken, dass unsere Schulen in Afghanistan und Pakistan bislang unbehelligt geblieben sind. Wer hinter dem gewaltsamen Tod des nunmehr 82-jährigen steckt, ist bis heute unklar.
Die Situation in Afghanistan wird sich durch die Ermordung des in den vergangenen Jahren zunehmend moderat gewordenen „Vater der Taliban“ sicher nicht verbessern.
ONETZ: In Afghanistan, dem Hauptarbeitsgebiet der Kinderhilfe, hat die Gewalt deutlich zugenommen. Auch eine Ihrer Schulen in Nangahar wurde vor wenigen Wochen bei einem Anschlag beschädigt. Hat sich Lage inzwischen entspannt?
Nein, die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert sich leider von Monat zu Monat. Der Sprengstoff-Anschlag im September galt im übrigen nicht unserer Schule, sondern einem Polizeiführer der Provinz. Die geringfügigen Schäden am Gebäude waren ein sogenannter „Kollateral-Schaden“. Der Schulbetrieb läuft weiterhin ungestört.
ONETZ: Welche neuen Projekte haben Sie in Planung?
Noch vor Weihnachten steht in Afghanistan die Eröffnung einer weiteren Oberschule für 1000 Mädchen an. Sie wird dann den Namen unseres vor zwei Jahren verstorbenen Freundes tragen: „Rupert-Neudeck-Schule“. Der Bau eines weiteren Waisenhauses und zweier Computer-Ausbildungszentren für Mädchen bilden den Schwerpunkt unserer Projekte für 2019 in Afghanistan. In Pakistan weihe ich zusammen mit dem katholischen Pater Leonard, einem gebürtigen Südtiroler, der seit über 40 Jahren in Pakistan arbeitet, im Frühjahr eine weitere christlich- moslemische Schule ein, die Patenschule eines bayerischen katholischen Mädchen-Gymnasiums. Es gibt weiterhin viel zu tun unter unserem Motto: „Bildung statt Fundamentalismus“
Empfänger, Begünstigter: KINDERHILFE AFGHANISTAN
IBAN: DE08750903000001325000
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.