Schwandorf
15.11.2019 - 12:24 Uhr

Unverblümter Blick zurück

Als Mezzosopranistin hat Kammersängerin Brigitte Fassbaender eine Welt-Karriere hingelegt. Damit war die Bandbreite ihrer Talente jedoch längst nicht ausgeschöpft. Jetzt hat sie ihre Memoiren geschrieben.

Kammersängerin Brigitte Fassbaender Bild: Marc Gilsdorf Fotografie
Kammersängerin Brigitte Fassbaender

Einen Ruhestand gibt es für die renommierte Sängerin nicht. Nach Beendigung ihrer Gesangskarriere folgten viel beachtete Regiearbeiten, Operndirektion und Intendanzen, die Tätigkeit als gefragte Gesangspädagogin, als Malerin findet sie ebenfalls Anerkennung. Und Schreiben kann sie auc , wie ihre im Oktober erschienenen Memoiren beeindruckend dokumentieren. Vor ihrer Lesung am Sonntag, 16. November, bei den Mickisch-Festspielen in Schwandorf hat sie sich Zeit genommen für ein Gespräch mit der Kulturredaktion:

Mit Vater Willi Domgraf-Fassbaender Bild: Privat
Mit Vater Willi Domgraf-Fassbaender

ONETZ: Zuerst einmal muss ich nach der Anrede fragen: Ist Kammersängerin korrekt?

Kammersängerin Brigitte Fassbaender: Ja, Kammersängerin Professor Doktor h.c..

ONETZ: Frau Kammersängerin, haben Sie den Titel Ihrer Memoiren selbst gewählt?

Na selbstverständlich! Es ist ein Zitat des Ochs von Lerchenau im dritten Akt des Rosenkavaliers. Und es ist genauso, wie ich es meine: Ich staune immer noch, ich staune fortwährend. Es trifft mein Lebensgefühl.

Brigitte Fassbaender mit den Eltern Schauspielerin Sabine Peters und Bariton Willi Domgraf-Fassbaender Bild: aks
Brigitte Fassbaender mit den Eltern Schauspielerin Sabine Peters und Bariton Willi Domgraf-Fassbaender

ONETZ: Mit welchem Gefühl sind Sie wieder eingetaucht in die Vergangenheit?

Das war ganz schwierig. Ich hatte ja nie Zeit mich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Da kam eine ganze Menge wieder hoch, es war ein gewaltiger emotionaler Prozess. Aber man befreit sich auch von Dingen, die man verdrängt hat.

ONETZ: Vom ersten Satz an ziehen Sie Ihre Leser auf faszinierende Art ins Buch hinein. Wie viele Wochen oder Monate haben Sie daran gefeilt?

Am ersten Satz oder am Buch? Erste Sätze sind immer sehr wichtig. Ich bin ja eine große Leserin.

ONETZ: Am Buch.

Mit dem Schreiben angefangen habe ich im Februar 2018, fertig war ich im September 2018. Es kommt relativ fertig aus mir heraus und ging in einem Zug. Der Rest wie die Abstimmung mit der Lektorin oder das Layout hat dann noch einmal ein Jahr gedauert.

ONETZ: Ihre Memoiren bestechen durch große Offenheit und Direktheit. Ein mitunter schmerzhafter Prozess?

Nicht schmerzhaft. Ich habe ganz bewusst von Ghostwriting abgesehen. Natürlich stellt man sich immer wieder die Fragen „Wie weit kann man gehen?“, „Wie offen kann man sein?“. Ich habe auch ganz bewusst abgesehen von Selbstbeweihräucherung. Offenheit ist meine Lebensform.

ONETZ: Sie schildern unter anderem auch Vorfälle mit namhaften Kollegen und Dirigenten, die heute unter das Stichwort „#MeToo“ fallen würden. Wie stehen Sie dazu, dass es heute eine öffentliche Diskussion über Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung gibt?

Damals hat man das nicht so ernst genommen und nicht an die große Glocke gehängt. Man hat darüber gelacht oder mitgemacht. Die heutige Diskussion finde ich sehr gut, es hat sehr viel für die Frauen geändert. Wir sind ja kein Freiwild. Für mich hat der Schwerpunkt mit dem Machtmissbrauch zu tun, der ist das Schäbige dabei. Aber einen Flirt unter Kollegen gab es immer und davor kann man sich ja schützen.

ONETZ: Wenn Sie überhaupt jetzt so Ihre jungen Nachfolgerinnen beobachten und erleben – würden Sie tauschen wollen?

Jung sein möchte man doch immer! Ich würde es gerne überprüfen wollen und es heute noch mal angehen. Die Anforderungen sind gleich, der emotionale Einsatz ist derselbe, die Reiserei ist noch anstrengender geworden. Aber Singen ist eine herrliche Sache, wenn man sein Handwerkszeug beherrscht.

ONETZ: Loslassen ist ja auch ein Thema im Buch. Wie schwer sind Ihnen solche Schritte gefallen?

Beim Singen nicht so schwer. Ich hatte mir schon lange vorgenommen gehabt, aufzuhören, wenn ich den Zeitpunkt bestimme. Ich hatte ja schon ein Standbein mit der Regie, das ging nahtlos über. Und es war eine logische Entwicklung zur Operndirektion und Intendanz – ein Glücksfall. Bei der Intendanz fand ich, es war Zeit genug. Nach 10 Jahren ist es meistens genug, dann sind alle Kreise abgegangen. Aber in diesem Bereich ist jeder Wechsel schmerzhaft und unschön.

ONETZ: Ist das Kribbeln vor den Lesungen jetzt anders als bei den Auftritten vor großem Konzert- oder Opernpublikum? Fühlen Sie sich ohne Rolle nicht „nackt“ ausgeliefert?

Bei den Lesungen bin ich nicht so nervös. Ich freue mich, dass das Buch gut läuft, die zweite Auflage wird gerade gedruckt. Ich freue mich über die guten Besprechungen. Und es ist ja abgelebt, ist bewältigt. Es ist nicht so schlimm wie beim Gang aufs Podium oder die Bühne. Beim Lied war die Nervosität am größten – da ist man wirklich „nackt“ ausgeliefert, ohne Distanz und ganz bei sich.

ONETZ: Wie nehmen Sie die Reaktionen auf Ihre Erinnerungen wahr?

Freudig. Ich bin froh über die guten Besprechungen, dass man anerkennt, dass es selbst geschrieben ist und bemerkt, dass es keine Selbstbeweihräucherung ist.

ONETZ: Sie stellen Ihr Buch auch bei den Mickisch-Festspielen in Schwandorf vor. Wie haben Sie Stefan Mickisch überhaupt kennengelernt?

Wir kennen uns schon lange. Ich wusste von ihm und seinen Auftritten in Bayreuth. Er macht das wunderbar, er durchdringt die Musik mit dem ihm eigenen Humor. Ich habe ihn auch mit einem Moderations-Abend nach Garmisch zu den Richard-Strauss-Festspielen eingeladen.

ONETZ: Und was reizt Sie besonders an diesem doch recht speziellen Veranstaltungsort Villa Mickisch?

Ich finde das gewagt und mutig. Ich bin sehr gespannt, was für ein Publikum sich da zusammenfindet, ob es nur Freunde des Hauses sind oder auch andere Leute. Ich mache es gerne, bin neugierig und „komm´aus dem Staunen nicht heraus“.

Info:

Service

Kammersängerin Brigitte Fassbaender liest morgen Abend um 18 Uhr bei den Stefan Mickisch Musik Festspielen in Schwandorf aus ihren Memoiren " Komm´aus dem Staunen nicht heraus". Eintritt 50 Euro, limitierte Plätze, Reservierung unter festspiele[at]mickisch[dot]de.

Die Autobiografie "Komm´aus dem Staunen nicht heraus", 381 Seiten mit 49 Abbildungen, Hardcover, ist am 15. Oktober im C.H.Beck Verlag erschienen und kostet 26,95 Euro.

Info:

Zur Person

Brigitte Fassbaender wurde in Berlin als Tochter der Schauspielerin Sabine Peters und des Baritons Willi Domgraf-Fassbaender geboren. Bereits als 21-Jährige erhielt sie ein Engagement an der Münchner Staatsoper. Als gefragte Mezzosopranistin im Opern-, Konzert- und Liedfach war sie auf allen großen Bühnen der Welt zu Gast. 1994 beendete sie ihre aktive Karriere als Sängerin und widmete sich fortan Tätigkeiten als Gesangspädagogin, Operndirektorin, Regisseurin, Librettistin und Intendantin. Von 2009 bis 2017 war sie künstlerische Leiterin der Richard-Strauss-Festspiele in Garmisch-Partenkirchen, seit 2002 leitet sie den Eppaner Liedsommer. Zu ihren zahllosen Auszeichnungen zählt die Berufung zur Bayerischen Kammersängerin, der Orden Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse mit Stern und der Echo Klassik für das Lebenswerk.

 
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