Sulzbach-Rosenberg
28.03.2019 - 15:01 Uhr

Drei Tanten und eine Leiche

Großformatige, tiefgründige Familienporträts voller Witz und Esprit sind die Spezialität der in Wien lebenden Schriftstellerin Vea Kaiser. Bereits bei „Makarionissi“ hat sie das Oberpfälzer Publikum spielend um den Finger gewickelt.

Vea Kaiser stellt ihren druckfrischen Familienschmöker „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ im Capitol-Foyer vor. Bild: Ingo Pertramer
Vea Kaiser stellt ihren druckfrischen Familienschmöker „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ im Capitol-Foyer vor.
Buchcover Bild: Verlag Kiepenheuer & Witsch
Buchcover

Jede Familie hat ihre Tretminen und Abgründe. So auch die drei Schwestern Prischinger mitsamt Ehemännern, Lebensgefährten, Töchtern und dem arbeitslosen Schauspieler-Neffen Lorenz. Am Dienstag, 2. April um 19.30 Uhr stellt Schriftstellerin Vea Kaiser deren liebenswert-skurrilen Roadtrip mit dem toten Onkel Willi im Capitol-Foyer in Sulzbach-Rosenberg vor. Unterwegs auf Lesereise hat sich Vea Kaiser Zeit genommen für die Fragen der Kulturredaktion:

ONETZ: Frau Kaiser, in Ihrem neuen Roman spielen die deftigen Köstlichkeiten der österreichischen Küche eine zentrale Rolle. Sind Sie selbst auch ein Fan von Schnitzel, Kümmelbraten und Co. oder doch lieber vegetarisch?

Vea Kaiser: Ich bin in den Neunzigern in Niederösterreich aufgewachsen. Mir wurde dementsprechend eine ähnliche Liebe zu panierten Speisen in die Wiege gelegt wie meinen Figuren in Rückwärtswalzer. Zudem merke ich, dass ich in Zeiten wie diesen, wo immer mehr Menschen sehr viel Aufhebens um ihre Ernährung machen (Ist das vegan? Ist das Paleo? Heute mach ich Intervallfasten blablabla), mir die ungesunden österreichischen Klassiker fast aus Protest schmecken.

ONETZ: Für die Roman-Schwestern Prischinger ist Essen nicht allein Nahrungsaufnahme, sondern zugleich Mutmacher, Trost und seelische Stärkung in allen Lebenslagen. Glauben Sie selbst auch an dieses Rezept?

Auf jeden Fall. Ich habe in den letzten Jahren unzählige Tage auf Lesereise und somit in Zügen und Buchhandlungen verbracht. Auch jetzt gerade bin ich wieder ohne Atempause von einer Stadt in die nächste unterwegs. Das ist natürlich wunderschön, die Kulinarik kommt dabei allerdings oft sehr kurz. Es gibt für mich derzeit deshalb kaum etwas Entspannenderes, als einfach einen ganzen Tag dem Einkochen von Marmelade oder dem Vorbereiten eines ausgiebigen Abendessens zu widmen. Zudem hat mein süditalienischer Schwiegervater ein Restaurant in Wien: Dort merke ich dann immer, dass es nichts Schöneres gibt, als mit der Familie zu essen. Da fällt dann jeder Stress und all die Sorgen weg.

ONETZ: Trotz tragischer Schicksalsschläge behalten Ihre Hauptfiguren eine herzensgute, lebensbejahende Ausstrahlung. Würde unsere reale Gesellschaft besser dastehen, gäbe es mehr Menschen mit dieser Grundhaltung?

Ich sehe in den drei Schwestern in meinem Roman keine moralisch überlegenen Figuren. Sie sind Frauen, die im Nachkriegsösterreich aufgewachsen sind und Geschichten erlebt haben, wie es sie zuhauf gibt – die allerdings kaum Beachtung gefunden haben. Ich denke, unsere Gesellschaft braucht nicht unbedingt mehr solcher Menschen. Vielmehr gibt es sie bereits, und unsere Gesellschaft würde vielleicht besser dastehen, wenn sie ihren Geschichten schlicht und einfach mehr Gehör schenken würde.

ONETZ: Sie eröffnen auch andere Blickwinkel im weitgehend tabuisierten Umgang mit Tod und Verstorbenen. Ein besonderes Anliegen?

Ja, auf jeden Fall. 2016, als ich gerade mit dem Schreiben des neuen Romans begonnen habe, habe ich in kurzer Zeit drei sehr, sehr enge Menschen verloren. Mir hat es immens geholfen, meine Trauer zuzulassen und auch in Worte zu fassen. Da fühle ich mich den alten Römern verbundener als unserer Gegenwart, in der der Tod stark tabuisiert wird. Im antiken Rom wurde der Trauer um die Toten hingegen sehr viel Raum gegeben. Ich glaube, Dinge zu verschweigen, Dinge zu tabuisieren, hat noch niemandem geholfen.

ONETZ: Ihr Roman ist vor knapp vier Wochen erschienen und hat für große Aufmerksamkeit gesorgt. Was sagen Sie zur bisherigen Resonanz?

Ich muss ehrlich sagen: Ich bin selig vor Glück. Viele Leute haben mir im Vorfeld gesagt, der dritte Roman sei immer der schwerste. Doch nun höre ich die schönsten Worte von Lesern, die die 425 Seiten des Buches noch am Tag seiner Erscheinung verschlungen haben. Rezensionen lese ich ja seit Jahren aus Prinzip nicht, aber das Feedback, das ich auf meiner bisherigen Lesereise und per Mail bekommen habe, fühlt sich bereits wie die größtmögliche Belohnung an.

ONETZ: Nach drei Familienromanen in Folge – locken Sie jetzt auch mal andere Genres?

Ach, die Genre-Frage. Grundsätzlich kann man jeden Roman mit mehreren Etiketten versehen. Mein erster Roman „Blasmusikpop“ wurde zum Beispiel oft als „Coming-of-Age-Roman“ bezeichnet, und „Rückwärtswalzer ist genau so „Roadmovie“ wie Familienroman. Also die Frage, was das nun genau ist, ist schwerer zu beantworten, als es auf den ersten Blick scheint. Bitte nicht vergessen: wir sprechen über Literatur, nicht über Milchprodukte. Es macht einen Unterschied, ob ich laktosefreie Milch, Buttermilch oder Vanillemilch kaufe. Aber bei Romanen ist einzig und allein wichtig, ob er gefällt.

Info:

Service

Karten 9 Euro im Vorverkauf bei der Buchhandlung Volkert, Tel. 09661/812373.

Der Roman „Rückwärtswalzer“, 432 Seiten, gebunden, ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 22 Euro.

Info:

Zur Person

Vea Kaiser studierte Altgriechisch und Latein an der Universität Wien. Die bekennende Anhängerin des SK Rapid Wien und leidenschaftliche Hobby-Köchin lebt in Wien. 2012 landete sie mit ihrem Roman-Debüt "Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam" auf Anhieb an der Spitze der ORF-Bestenliste, der 2015 erschienene Nachfolger "Makarionissi oder Die Insel der Seligen" wurde ebenfalls ein Bestseller, den die Stiftung Ravensburger Verlag als "besten Familienroman" auszeichnete.

 
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