Sulzbach-Rosenberg
03.03.2020 - 16:18 Uhr

Kein Memoir aus Männersicht

Die Brüder Mick und Gabriel teilen wenig außer einem afrikanischen Vater und einer Kindheit ohne diesen Vater in der ehemaligen DDR. Und weiter gehen auch die Parallelen zur Biografie der Schriftstellerin Jackie Thomae nicht.

Das Buch „Brüder“ der Berliner Autorin Jackie Tomae ist ein Roman über die Frage, ob wir unser Schicksal selbst bestimmen – oder ob uns Herkunft und Charakter unweigerlich prägen. Bild: Urban Zintel
Das Buch „Brüder“ der Berliner Autorin Jackie Tomae ist ein Roman über die Frage, ob wir unser Schicksal selbst bestimmen – oder ob uns Herkunft und Charakter unweigerlich prägen.

Die sprachliche Eindringlichkeit und die durchdachte Konzeption des Romans "Brüder" machen es spannend, den unterschiedlichen Perspektiven zu folgen bis aus zwei Hälften ein Ganzes wird. Am Donnerstag, 5. März um 19.30 Uhr stellt Jackie Thomae ihr viel beachtetes Werk im Literaturhaus Oberpfalz vor. Wann sie sich mit einem fertigen Buch wohlfühlt und auf welche Fragen sie noch wartet, verrät die Schriftstellerin im Interview:

ONETZ: Frau Thomae, in Ihrem Roman geht es unter anderem auch um die Suche nach dem eigenen Weg. Seit wann war Ihnen klar, dass Ihr Weg das Schreiben ist?

Jackie Thomae: Mein Kindheitsberufswunsch war Illustratorin, was ja auch eine Art des Geschichtenerzählens ist. Später habe ich dann alles mögliche geschrieben – von der Plattenkritik über Moderationstexte bis hin zu Gags und Sketchen, bis ich nach zwei Sachbüchern endlich entschieden habe fiktional zu erzählen. Man könnte sagen, dass das recht spät war, andererseits bin ich jemand, der Umwege zu mögen scheint.

ONETZ: Sie bringen außerdem heiße Eisen wie Rassismus, sexuelle Belästigung oder Umgang mit der DDR-Geschichte auffallend ruhig und aus anderem Blickwinkel ins Spiel - ein bewusster Kontrapunkt zur meinungsfreudigen Aufgeregtheit unserer Zeit?

Jackie Thomae: Ich erzähle ja die Leben zweier Männer, die 1970 geboren wurden. Dabei habe ich bewusst mit Kindheits- und Jugenderinnerungen aus den 70ern, 80ern und 90ern gearbeitet und auch mit Fragen, die sich jeder Mensch stellt, unabhängig von seiner Herkunft und dem System, in dem er lebt. Diese sogenannten heißen Eisen spare ich nicht aus, aber sie finden neben den anderen Fragen des Lebens statt. Ein Beispiel: Mick, der eine Bruder, reist 1985 mit seiner Mutter von Ost- nach West-Berlin aus. Dadurch verpasst er eine Reise mit einem Mädchen, auf der er seine Jungfräulichkeit verlieren wollte. Er ist fünfzehn Jahre alt, es ist kalter Krieg, er wechselt innerhalb einer Stadt das System, aber natürlich treibt ihn die Verheißung auf Sex viel mehr um als jede politische Frage.

ONETZ: Und wie viel Haltung erfordert es jetzt, sich trotz aller aufblitzenden Parallelen nicht allein auf autobiografische Aspekte reduzieren zu lassen?

Jackie Thomae: Ich hatte das Glück, dass die Presse und auch die Leser meine Arbeitsweise sehr gut verstanden haben: Meine Protagonisten haben einen ähnlichen Background wie ich – der Vater ist ein Afrikaner, der in der DDR studiert hat und sie sind ohne ihn aufgewachsen. Vor diesem Hintergrund habe ich zwei fiktive Charaktere entwickelt und auf die Reise durch die Jahrzehnte und auch durch die Welt geschickt. Ich muss also nicht erklären, dass ich nicht die weibliche Version meiner Protagonisten bin, man glaubt mir, dass ich einen Roman und kein Memoir aus Männersicht geschrieben habe. Gut so.

ONETZ: 2017 haben Sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilgenommen, „Brüder“ schaffte es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019: Welchen Stellenwert haben eigentlich solche Wettbewerbe und Auszeichnungen für Sie?

Jackie Thomae: Der Bachmann-Wettbewerb war eine äußerst interessante Erfahrung für mich, unvergesslich, auch weil das Format so einzigartig ist. Eine Nominierung für die Long- oder Shortlist kann man jedoch nicht einkalkulieren während man schreibt. Sollte man auch nicht. Am wohlsten fühlt man sich als Autor, wenn man selbst zufrieden ist mit seinem Resultat, wenn man ein Buch fertig hat, das man selbst gern lesen würde.

ONETZ: Im Zuge des Roman-Erfolges haben Sie bereits einen Interview- und Lesungsmarathon hinter sich gebracht. Gibt es dennoch eine Frage, die Ihnen noch nicht gestellt wurde, die Sie aber gerne beantworten würden?

Jackie Thomae: Ich bekomme nach wie vor regelmäßig interessante neue Fragen gestellt. Häufig vom Publikum während oder nach meinen Lesungen. Darüber freue ich mich immer sehr, denn diese Fragen zeigen mir, dass meine Figuren die Leute beschäftigen und das ist das größte Kompliment, das man als Romanautor erhalten kann. Und, ja, es gibt tatsächlich noch Fragen, die mir noch niemand gestellt hat, was mich wundert, denn ich habe im Roman absichtlich ein paar Dinge angedeutet und nicht aufgelöst. Ich rechne aber fest damit, noch danach gefragt zu werden, denn meine Leser sind aufmerksam und schlau.

Info:

Service

Der Roman "Brüder", 432 Seiten, Hardcover, ist im Verlag Hanser Berlin erschienen und kostet 23 Euro. Eintritt zur Lesung 9 Euro, Reservierungen unter Tel. 09661/8159590.

Info:

Zur Person

Jackie Thomae, geboren in Halle an der Saale, wuchs in Leipzig und Berlin auf. Sie arbeitet als Journalistin und Fernsehmoderatorin, 2015 erschien ihr erster Roman "Momente der Klarheit", 2017 nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Mit "Brüder" schaffte sie es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019. Sie lebt in Berlin.

 
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