Die Schmach ist getilgt: Nach dem thematisch verunglückten Gastgeschenk bei der letzten Lesung mit Vea Kaiser, traf Veranstalter Ralf Volkert diesmal mit einem Fanfreundschafts-Schal SK Rapid Wien-1.FC Nürnberg genau ins Schwarze. Aber auch schon vor diesem versöhnlichen Abschluss des Abends blieben keine Wünsche bezüglich Unterhaltungswert und Charme-Faktor offen.
Beim Gastspiel vor dreieinhalb Jahren bekam Vea Kaiser den Cynan-Jones-Roman „Graben“ überreicht, der mit seinen brutalen Tierkampfszenen bei der bekennenden Hundefreundin für wenig Begeisterung sorgte. Diesmal also Wiedergutmachung in Form des Fan-Schals,vom glühenden Club-Fan für die glühende Anhängerin des SK Rapid Wien. Dass beide Vereine, ganz im Gegensatz zum erfolgreichen neuen Roman, eher auf dem absteigenden Ast dümpeln - geschenkt.
Anders als zu vermuten, stammt ihr Buchtitel nicht vom Wiener Tanzparkett: „Das ist eine Wortneuschöpfung“, bekannte die fröhliche, temperamentvolle Österreicherin. Die Volten, in denen sie sich 432 Seiten lang durch Gegenwart und Vergangenheit der Großfamilie Prischinger bewegt, können es jedoch ohne weiteres mit den eleganten Drehungen im Dreivierteltakt aufnehmen.
Stuhl und Tisch auf der Capitol-Bühne bleiben nur ungenutzte Requisite – Vea Kaisers sprudelnde Energie braucht Bewegungsfreiheit. Aber auch das bemerkenswert zahlreich erschienene Publikum benötigt mehr Platz als geplant und so zog man vom ursprünglich angedachten kleinformatigen Foyer in den angrenzenden Saal mit Bühne.
Mit ihrer, in sechs Jahren als Touristenführerin in Kloster Melk gestählten Begabung verpflanzt Vea Kaiser die Zuhörer von dort zunächst zum „Schnitzel-Füttern“ an den Esstisch der Schwestern Prischinger in Wien-Liesing und lässt teilhaben an Lorenz Prischingers ziel- und arbeitslosem Unterschlupf bei Tanten und Onkel.
Onkel Willis plötzlichen Tod, der den Road-Trip-Teil des Romans auslöst, spart sie aus: „Das lese ich nicht, weil da weine ich immer“. Weiter geht es daher mit den unmittelbar danach einsetzenden Planungen zur illegalen, privaten Leichenüberführung von Wien nach Montenegro im Fiat Panda.
Die von ihr im Vorwort ausdrücklich nicht zur Nachahmung empfohlene Handlung sei übrigens ein gar nicht so seltenes Vorgehen, wie Kaisers Recherchen ergaben. Der reale Fall einer Berliner Familie habe ihr Interesse an inoffiziellen Transporten von Leichen geweckt, ein serbischer Konsulatsmitarbeiter legte weitere Spuren.
Ob die Familie Prischinger am Ende ihre makabere Mission erfüllt, bleibt selbstredend offen. Dafür geht es im anschließenden Gespräch mit Ralf Volkert ausgiebig um die kulturell höchst unterschiedliche Auseinandersetzung mit Tod und Sterben: Der Wiener Zentralfriedhof mache mittlerweile mit Café und Laufstrecken Werbung, die Sizilianer erscheinen zum Begräbnis in Alltagskluft, die Männer erweisen dem Toten mit einem Griff an die Kronjuwelen ihren Respekt.
Die Erklärung des Begriffs „Manen“ aus dem Buchuntertitel bleibt die studierte und demnächst promovierte Altphilologin auch nicht schuldig. Wie einst die Römer die Geister der Toten zu ehren und Platz zu lassen für das Andenken, sei nach dem Tod dreier nahestehender Menschen innerhalb von zwei Wochen ein tröstlicher Gedanke für sie gewesen, so Kaiser. Und ein zukunftsweisender obendrein, schließlich hat die Trauer um die Großmutter letztlich den Mann in ihr Leben zurückgebracht, mit dem sie nun seit sechs Monaten verheiratet ist.
Service
Der Roman „Rückwärtswalzer“, 432 Seiten, gebunden, ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 22 Euro.
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