Wieder sterben im syrischen Nordosten Christen, wieder denken sie über Flucht nach. Beim türkischen Beschuss des an der syrisch-türkischen Grenze gelegenen Ortes Qamishli schlugen die Granaten auch im christlich Viertel ein, berichtet Archimandrit Emanuel Youkhana, Leiter der christlichen Hilfsorganisation Capni, am Freitag. Die türkischen Granaten hätten ein Wohnhaus in der Nähe der assyrischen Kirche St. Georg im Wohnviertel Bashiriya getroffen. Die Familie sei verletzt ins Krankenhaus gebracht worden, der Zustand der Mutter sei kritisch.
Der türkische Angriff zur Vertreibung der kurdischen Miliz YPG dürfte bei Christen in der Region böse Erinnerungen wecken. Erst vor vier Jahren erfasste die Christen im Nordosten Syriens Todesangst wegen der vorrückenden dschihadistischen Terrormiliz IS. Viele flohen damals aus den christlichen Dörfer entlang des Flusses Khabour nach Norden, auch nach Qamishli. Ohnehin gibt es keine christliche Familie in der nicht die Horrorgeschichten über das Massaker der Türken an den Armeniern (1915-1917) präsent sind. Diesen fielen damals auch assyrische Christen zum Opfer. Dass die türkische Armee dschihadistische Milizen als Hilfstruppen einsetzt, dürfte den alten Ängsten der Christen vor den Türken neues Leben einhauchen. "Wie immer verfolgen alle ihre Interessen, aber wir Christen werden die Rechnung zahlen müssen", beklagte der emeritierte syrisch-katholische Erzbischof von Hassake und Nusaybin, Jacques Behnan Hindo, berichtet das christliche Hilfswerk "Kirche in Not". Der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, Kardinal Louis Sako, drückte im Gespräch mit der italienischen katholischen Nachrichtenagentur SIR seine Besorgnis aus. "Wie kann man einem Staat erlauben, im Gebiet des Nachbarn einzufallen", fragte er: "Warum zwingt man ganze Volksgruppen zur Flucht? Wo ist das internationale Gewissen geblieben?"
Viele Menschen flüchten inzwischen vor den türkischen Soldaten bis in Sinjar-Gebirge im Irak berichtet Youkhana. Insgesamt sind nach Aussage der Vereinten Nationen seit Beginn der türkischen Invasion am Mittwoch mehr als 100 000 Menschen vertrieben worden.
Unterdessen stellte die Caritas 100 000 Euro zur Hilfe in Nordsyrien bereit, teilte der Leiter der katholischen Hilfsorganisation, Oliver Müller, mit. Caritas international ist seit Jahren in Syrien engagiert, trotz des seit 2011 andauernden Bürgerkriegs. Das Büro des UN-Syrien-Beauftragten warnte, die Invasion würde "die bereits sehr angespannte humanitäre Situation noch verschärfen".
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