München
20.02.2019 - 15:18 Uhr

Der verkannte Vater des Freistaats

Heute vor 100 Jahren wurde der erste Bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner erschossen. Doch noch immer werden seine Verdienste nicht geehrt. Bernhard Grau hat sich mit Eisner beschäftigt.

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner. Er wurde am 21. Februar 1919 ermordet. Bild: dpa
Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner. Er wurde am 21. Februar 1919 ermordet.
Buchcover Biografie Kurt Eisner Bild: Verlag C.H.Beck
Buchcover Biografie Kurt Eisner

Das Leben und auch die nachfolgende Geschichtsschreibung haben es nicht immer gut gemeint mit Kurt Eisner, dem legendären Redakteur der SPD-Zeitung „Vorwärts“, demokratischen Vordenker, geistigen Vater des „Freistaats“ und ersten Bayerischen Ministerpräsidenten. Am 21. Februar 1919 fiel er einem Attentat auf offener Straße zum Opfer. Archivrat Bernhard Grau hat im Rahmen seiner Dissertation das kontroverse Bild des großen deutschen Journalisten und Politikers erforscht und mit lange gängigen Diffamierungen aufgeräumt. 2017 erschien seine vielbeachtete Biografie im Verlag C.H.Beck. Anlässlich des 100. Todestages von Kurt Eisner hat die Kulturredaktion beim Experten nachgefragt:

ONETZ: Herr Grau, Sie haben Ihre Dissertation dem Leben und Wirken Kurt Eisners gewidmet – was hat Sie in den Bann des Journalisten, Schriftstellers und Politikers gezogen?

Bernhard Grau: Die Idee, über Eisner zu schreiben, kam mir, weil ich erkannt habe, dass die Revolution in Bayern ohne ihn ganz anders verlaufen wäre. Zu seinen faszinierenden Seiten gehört sicher auch die Überzeugungskraft, mit der er seine Anliegen verfolgte. Selbst durch größte Widerstände ließ er sich nicht davon abbringen, für das zu kämpfen, was er als richtig und wichtig erkannt hatte. Für die Aussöhnung mit Deutschlands Kriegsgegnern war er sogar bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Dass er Anfang Februar 1919 auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Bern offen einräumte, dass das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg ausgelöst hatte, haben ihm vor allem die Nationalkonservativen und die extremen Rechten nicht verziehen. Morddrohungen machten die Runde und schufen, die Pogromstimmung, die Anton Graf Arco motivierte, Eisner am 21. Februar 1919 zu ermorden.

ONETZ: Woran liegt es, dass Kurt Eisners historischer Stellenwert hundert Jahre nach seiner Ermordung immer noch höchst unterschiedlich beurteilt wird?

Bernhard Grau: Person und Wirken Kurt Eisners werden bis heute durch Falschaussagen und Verdächtigungen verdunkelt, die seine politischen Gegner in die Welt gesetzt haben. Dass er bolschewistische Ziele verfolgt und eine Rätediktatur angestrebt habe, ist schlicht falsch. Mit der Ausrufung der Räterepublik und deren blutiger Niederschlagung hatte Eisner nichts zu tun, war er doch schon sechs Wochen vorher ermordet worden. In der Revolutionsnacht hat Eisner versprochen, so schnell als möglich eine verfassunggebende Nationalversammlung einzuberufen, zu der alle Männer und vor allem auch alle Frauen das Wahlrecht haben sollten. Daran fühlte er sich bis zuletzt gebunden und damit hat er die parlamentarische Demokratie in Bayern begründet. Dass ein Sozialist den „Freistaat“ ausgerufen hat, passt in den Augen vieler aber nicht so recht zum Selbstverständnis des heutigen Bayern, das sich gern als christlich-konservatives und wirtschaftlich erfolgreiches Bundesland darstellt.

ONETZ: Haben die jüngsten Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum des Freistaats Bayern aus Ihrer Sicht auch den Blick auf Kurt Eisners Lebensleistung und sein politisches Erbe verändert?

Bernhard Grau: Bestimmte Aspekte der Revolution von 1918/19 sind im Rahmen des Jubiläums stärker in den Blick genommen worden als bei früheren Jubiläen. Dazu gehört vor allem das Frauenwahlrecht, das heute als eine der größten Errungenschaften gesehen wird. Damit erhielt der zahlenmäßig größte Teil der Bevölkerung erstmals volle politische Mitbestimmungsrechte. Und die Frauen haben davon auch sofort Gebrauch gemacht! Bei den ersten Landtagswahlen am 12. Januar 1919 gingen über 85 Prozent der Frauen tatsächlich zur Abstimmung. Den revolutionären Parteien kam das allerdings nicht zugute, da Frauen – wie wir heute wissen – mehrheitlich die Bayerische Volkspartei gewählt haben, die sich vor allem an die katholische Bevölkerung gewandt hat. Was die Frauenrechte anbelangt, vertrat diese Partei allerdings ausgesprochen traditionelle Vorstellungen. Trotz des hohen Wählerinnenanteils zogen auch nur wenige aktive Politikerinnen in den neu gewählten Landtag ein.

ONETZ: Mit all Ihrer profunden Kenntnis der Person: Hätte Kurt Eisner überhaupt eine Chance gehabt, die radikalen und nationalistischen Strömungen des Frühlings 1919 in Schach zu halten?

Bernhard Grau: Kurt Eisner wurde sowohl von radikalen Linken als auch von extremen Rechten unter Druck gesetzt. Deren Gewaltbereitschaft nahm seit Anfang Dezember 1919 immer mehr zu. Anfang Januar kam es in München sogar zu kleineren bewaffneten Auseinandersetzungen, die die ersten Todesopfer forderten. Seit den Landtagswahlen war auch klar, dass Eisner in der Bevölkerung nur eine geringe Unterstützung besaß. Dennoch wäre die politische Entwicklung in Bayern wohl anders verlaufen, wenn es nicht zu seiner Ermordung gekommen wäre. Wenn Eisner – wie geplant – am 21. Februar 1919 im Landtag seinen Rücktritt erklärt und der Landtag eine neue Regierung gewählt hätte, wäre Bayern die zweite Revolution möglicherweise erspart geblieben.

ONETZ: Und noch eine hypothetische Frage zum Abschluss: Was würde Kurt Eisner vom heutigen Erscheinungsbild des Freistaats Bayern und der SPD halten?

Bernhard Grau: Das ist seriös kaum zu beantworten. Man wird aber annehmen dürfen, dass sich Eisner mehr unmittelbare Bürgerbeteiligung gewünscht hätte. Er selbst hat seine Hoffnungen dabei auf die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte gesetzt, die er nicht als Parlamentsersatz, sondern als Schulen der Demokratie verstanden hat. Gefallen hätte ihm sicher dass durch Volksbegehren in Bayern immer wieder wichtige gesellschaftliche Anliegen erfolgreich auf den Weg gebracht wurden. Den Niedergang der bayerischen SPD hätte er – bei aller inneren Distanz, die er im Ersten Weltkrieg zum Parteiapparat aufgebaut hat – mit Sicherheit als großes Unglück empfunden. Die Sozialdemokratie war für ihn nicht nur der Anwalt für die sozialen Interessen der breiten Bevölkerung, sondern zugleich der wichtigste Stabilitätsanker für die neu geschaffene Demokratie.

Info:

Das Buch

Das Buch „Kurt Eisner 1867-1919. Eine Biografie“, 651 Seiten mit 23 Abbildungen, Paperback, ist im Verlag C.H.Beck erschienen und kostet 22 Euro, als E-Book 18,99.

Zur Person:

Bernhard Grau ist Archivrat beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München und befasst sich im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit vorwiegend mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, der bayerischen Verfassungsgeschichte sowie der Münchner Stadt- und Stadtteilsgeschichte.

 
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