Weiden in der Oberpfalz
29.12.2019 - 19:26 Uhr

Ausbildung: Für Flüchtlinge nicht ohne

Mervan Golin (32) muss ganz schön pauken. Seit September ist der Syrer Azubi zum Einzelhandelskaufmann. Die Arbeit im Modegeschäft Adler macht ihm Freude. Zu Knabbern hat er an der Berufsschule: Sozialkunde und Englisch. "Das ist schwer."

Mervan Golin und sein ehrenamtlicher Betreuer Manfred Praller. Der 32-Jährige aus Aleppo wohnt mit seiner Familie am Hammerweg. Sein Ziel: finanzielle Unabhängigkeit vom Staat. Bis das komplett soweit ist, wird es noch drei Jahre dauern. Er absolviert eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann. Bild: ca
Mervan Golin und sein ehrenamtlicher Betreuer Manfred Praller. Der 32-Jährige aus Aleppo wohnt mit seiner Familie am Hammerweg. Sein Ziel: finanzielle Unabhängigkeit vom Staat. Bis das komplett soweit ist, wird es noch drei Jahre dauern. Er absolviert eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann.

Der Einstieg erfolgte bei ihm - wie mittlerweile im Arbeitsamtsbezirk Weiden dutzendfach praktiziert - über eine Einstiegsqualifizierung, abgekürzt EQ. Der Betreffende macht ein Jahr ein unverbindliches Praktikum bei einem Arbeitgeber, bezahlt von der Agentur für Arbeit (250 Euro monatlich). Passt es beiden, geht diese EQ nahtlos in einen Ausbildungsvertrag über und kann auf die Lehrzeit angerechnet werden. Bei Mervan Golin holperte der Start. Er hat schon eine einjährige EQ in der Filiale einer Schuhkette hinter sich, die nicht in eine Ausbildung mündete. Für ihn eine große Enttäuschung: "Mich hat das völlig fertig gemacht. Ich habe ein ganzes Jahr verloren." Er habe sich dort sehr wohlgefühlt, die Kollegen waren freundlich. Ihm sei bis kurz vor Schluss signalisiert worden, dass einer Übernahme nichts im Weg stehe. Sein ehrenamtlicher Betreuer Manfred Praller ist darüber enttäuscht und vermutet Strategie dahinter: Dass es Firmen gibt, die sich auf diese Weise kostenlose Arbeitskräfte besorgen und sich nach Ablauf der Förderung einen neuen Arbeitssuchenden besorgen. Er habe sich in der Filiale erkundigt: Die Mitarbeiter hätten ihm versichert, dass Mervan ein netter, fleißiger Kollege gewesen sei.

Die Zentrale der Schuhkette in Essen versichert, dass sich gerade dieses große Familienunternehmen seit 2015 sehr für Flüchtlinge einsetze. Außer der Beschäftigung von Migranten liefen etliche Projekte und Aktionen, jährlich wird ein Förderpreis für Integration ausgelobt.

Auch die Agentur für Arbeit will Prallers Vorwurf so nicht stehen lassen: Würde ein Betrieb dies systematisch ausnutzen, "würde das auffallen". Die EQs hätten sich in den letzten Jahren sehr bewährt, sagt Bereichsleiterin Claudia Wildenauer-Fischer. "Sie sind für Betriebe eine gute Möglichkeit, offene Lehrstellen zu besetzen", sagt sie. Und im Gegenzug seien sie eine Chance für junge Leute, die aufgrund von Defiziten (noch) keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Das Instrument gebe es schon länger, für alle, die ein "Vermittlungshemmnis" haben und natürlich auch für deutsche Jugendliche.

Erfolgsquote: zwei Drittel

"Wenn es die EQs nicht gegeben hätte, hätte man sie erfinden müssen", meint Klaus Gredinger, Teamleiter Arbeitgeberservice. 49 Personen seien zwischen August 2018 und März 2019 in eine EQ eingetreten. 24 wurden in die Lehre übernommen, 6 gingen in andere Betriebe, 16 brachen ab und 2 wurden nicht übernommen. Am Ende waren damit 61 Prozent in Brot und Arbeit. Man sieht: Nicht immer klappt's. Schwierigkeit ist auch aus Gredingers Sicht die Sprache beim Unterricht. "Aber auch da hilft die EQ." Im Betrieb entwickle sich der angehende Azubi schnell. Das sei besser, als bei einem sofortigen Ausbildungsbeginn nur Misserfolge an der Berufsschule kassieren.

In einem einzigen Fall in den letzten zwei Jahren erfolgte nach der EQ die Abschiebung. Kfz-Meister Josef Häusler, der Betriebe in Luhe-Wildenau und Altenstadt/WN führt, hat genau dies mit viel Rabatz 2017 verhindert. Damals hätte sein afghanischer Mitarbeiter Wazim ausreisen müssen, den er nach der EQ in die Ausbildung übernehmen wollte. Häusler ging damals an die Öffentlichkeit, trat bei "Jetzt red i" auf und machte sich damit nicht nur Freunde. Am Ende zählt für ihn das Ergebnis: Wazim beschäftigt er heute noch. Der 20-jährige Afghane ist auch nicht der einzige Flüchtling in seinen Betrieben. "Ich bin froh, wenn ich Leute bekomme."

Tatsächlich kann Arbeit Flüchtlingen helfen, nach fünf Jahren eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis zu bekommen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen. Bei Mervan Golin aus Aleppo, der Frau und Kinder (3 und 6) hat, reicht der Lehrlingslohn dafür nicht. Sein Betreuer Praller hat ihm dennoch zur Ausbildung geraten. Ebenso die Agentur für Arbeit: Langfristig sei eine Ausbildung auf jeden Fall der bessere Weg, so Gredinger.

Problematisch: Frauen

Mervan Golin will es schaffen. Er bekommt jetzt bei Kolping Nachhilfe. Und auch seine Frau plant den Einstieg ins Arbeitsleben, interessieren würde sie Krankenpflege. "Das ist der Regelfall, den ich kenne", sagt Betreuer Praller: "Die wollen arbeiten." Und auch darin ist er sich mit der Agentur für Arbeit einig: "Wer will und kann, der bekommt etwas. Und der größte Teil, der will und kann auch", sagt Klaus Gredinger. Schwarze Schafe - ja. "Aber die hundert Guten sieht man immer nicht." Für problematisch hält er allenfalls die Situation von Frauen, die häufig "keinen Zugang zu irgendwas haben".

 
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