Es ist noch nicht lange her, als der DGB-Bezirkschef seine Mitarbeiter täglich vom Urlaub aus Holland anrief: „Was gibt’s Neues“, wollte der Außenminister unter den Gewerkschaftern wissen. „Helmut“, habe ihn nach drei Tagen seine Sekretärin ermahnt, „geb‘ a Ruh, oder traust uns das nicht zu?“ Für unersetzlich habe er sich gehalten. Ein Arztbesuch vor sechs Jahren änderte Fiedlers Sicht: „Noch bevor ich das Unterhemd herunten hatte“, beschreibt er die Situation, „sagte die Hautärztin, das muss sofort operiert werden.“
Schwarzer Hautkrebs am Rücken, bereits durchgebrochen, aber noch nicht ausgestrahlt. Zwei OPs an der Uniklinik Regensburg und Fiedler weiß, wie schnell das Leben zu Ende sein kann. „Tage später und es wäre vorbei gewesen“, ist er dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen. Zeit für einen Perspektivwechsel: „Ich kenne die Flughäfen und Bahnhöfe Europas, aber nur wenig von den Innenstädten – Prag einmal ausgenommen.“ Jetzt will sich der leidenschaftliche Europäer selbst um die Welt drehen statt umgekehrt.
Den 1955 geborenen Stockerhuter Jungen zog es früh in die Ferne. „Die Eisenbahngewerkschaft hatte bei Monaco ein Feriencamp“, erzählt das Schlüsselkind, „geschenkt von einem jüdischen Franzosen, den man gerettet hat.“ 18-mal lässt sich der junge Fiedler in der Sonne der Côte d’Azur braten: „Blöd, wie wir waren, haben wir in jungen Jahren keine Sonnencreme benutzt“, bereut er die folgenreiche Jugendsünde.
Der 63-Jährige ist prädestiniert für die Weltsicht der Gewerkschaften: Der Vater, Glasabbrecher bei der Detag, kommt oft mit Löchern und Splittern im Arm nach Hause. Die Mutter arbeitet erst bei Seltmann, später in der Strumpffabrik Helgath. Ein Malocherhaushalt, Nordoberpfälzer Wirtschaftsgeschichte in den Genen. Nach der Realschule die Ausbildung bei der Deutschen Bahn, ein Umweg über die DEVK. Dann die Chance auf den Traumberuf: „Bei der Eisenbahngewerkschaft war nichts frei, aber man hat mich gefragt, ob ich DGB-Kreisvorsitzender werden will.“ Mehr Politik als Arbeit in den Betrieben, habe er gedacht, „aber jetzt fängst halt mal da an.“
Nie bereut
Das hat er nie bereut. „Was mir gefallen hat, war gerade die politische Gestaltungmöglichkeit.“ Fiedler wird das Gesicht des DGB im Strukturwandel. Zusammen mit regionalen Politikern hilft er, den Umbruch zu gestalten: „Natürlich gingen einige Firmen, besonders tragisch die PfA, den Bach runter“, erzählt er, „andere wie Hueck Folien oder BHS gestärkt aus der Krise hervor.“ Auch das Markenzeichen der Nordoberpfalz, die Porzellanindustrie wie Bauscher und Seltmann, wandelt sich erfolgreich.
„Der SPD-Abgeordnete Ludwig Stiegler half bei Flachglas in Wernberg, sonst wären 800 Leute auf der Straße gestanden“, nennt er ein Beispiel für erfolgreiche Intervention. „Ein Meisterstück der handelnden Personen, durch teilweisen Verzicht auf Lohn konnten die Arbeiter Anteile erwerben – noch heute hält der Eigentümerverein der Belegschaft ein Prozent über der Mehrheit.“
Und dann natürlich die Gelegenheit, sein Faible für die internationale Solidarität auszuleben: „Meine liebe Freundin Christiane Berger, damals Personalvorstand beim Luitpoldwerk, fragte mich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ob ich die Zusammenarbeit mit der tschechischen Gewerkschaft aufbauen will.“ Für den Weidener Grenzgänger, dessen Mutter aus dem böhmischen Schlaggenwald/Horní Slavko stammt, keine Frage. Fiedler knüpft Kontakte, zieht europäische Fördergelder an Land. Im Mai 2003 stellt er seinen baldigen Nachfolger Petr Arnican, den einzigen tschechischen Berufsgewerkschafter im bayerischen DGB, als Projektleiter ein. 2004 hebt er Eures, ein europaweites Netzwerk, das die Mobilität im Arbeitsmarkt über Grenzen hinweg fördert, in der Region aus der Taufe. Zehn Jahre ist er dessen Präsident.
Bayerisch-böhmisch
„Wir haben Stück für Stück dazu beigetragen, die bayerisch-böhmische Nachbarschaft zu verbessern.“ Nicht nur in der Kooperation mit den tschechischen Gewerkschaften, den Arbeitsmarktakteuren und Unternehmen: „Wir beraten tschechische Arbeitnehmer in deutschen Firmen und sorgen dafür, dass Arbeitgeber mit Standbeinen in beiden Ländern die Belegschaften nicht gegeneinander ausspielen“, erklärt Arnican.
Als Gewerkschafter musste und wollte Fiedler überparteilich agieren: „Schon weil die SPD mit ihren 400 000 Mitgliedern nur einen Bruchteil der Arbeitnehmer vertritt.“ Aber Fiedler verhehlt nicht, dass ihn noch immer eine Hassliebe an die alte Arbeiterpartei bindet. „Bei einer SPD-Unterbezirkskonferenz sollte ich eine fünfminütige Rede halten“, erinnert sich Fiedler. „Daraus wurden 30 unterbrochen von Standing Ovations – eine Abrechnung mit den Hartz-IV-Reformen.“ Inzwischen sei die Partei sozialpolitisch wieder auf dem Weg der Besserung, aber mit dem Bätschi-Personal und den Karrieristen direkt von der Uni fremdelt das Urgestein noch immer: „Es fehlen authentische Typen, die wie Stiegler damals etwas für die Arbeitnehmer erreichen.“
Ab Dienstag ist erst mal Schluss mit wichtig bei Helmut Fiedler. Stück für Stück übergibt er an Wunschnachfolger Arnican, sukzessive dann auch den Eures-Vorsitz. Als Redner ist der Oberpfälzer noch gefragt – aber nicht wie Steinbrück für große Scheine: „Ich verlange doch von meiner Gewerkschaft kein Geld“, sagt Fiedler verschmitzt lächelnd, „nur bei den Arbeitgebern werde ich’s mir überlegen.“
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.