Einsatzkräfte arbeiten am Limit. Aber sie sind bestens vorbereitet. Wie die Verantwortlichen in der Nordoberpfalz auf die Corona-Pandemie reagieren, darüber berichtet am Dienstag Jürgen Meyer, der Leiter der Integrierten Leitstelle in Weiden, im Interview.
ONETZ: Herr Meyer. In welchem Umfang hat die Zahl der Corona-Fälle in der nördlichen Oberpfalz zugenommen? Zeichnet sich schon eine Kehrtwende ab?
Jürgen Meyer: Die Fallzahlen steigen kontinuierlich seit 8. März, leider gibt es auch immer mehr Tote. Mit den Kliniken Nordoberpfalz beobachten und berechnen wir einen möglichen Scheitelpunkt der Fallzahlen. Der lag schon bei Ende April. Mittlerweile tendiert er günstiger. Derzeit rechnen wir mit dem 20. April. Es zeichnet sich eine leichte Entspannung ab. Auch die Zahl der Genesungen nimmt stark zu. Die Situation bleibt aber ernst.
ONETZ: Wie viele Corona-Einsätze gibt es pro Tag?
Anfangs waren es zwischen 20 und 25 Notarzt- und Notfalleinsätze sowie Krankentransporte. Die Spitze lag in der letzten Woche bei 59 an einem Tag. Die Zahl der regulären Rettungsdiensteinsätze liegt bei rund 120 innerhalb von 24 Stunden. Durchschnittlich gerechnet kommen also 34 Covid-19-positive Patienten und Verdachtsdiagnosen zum Tagesgeschäft dazu. Es ist schon erheblich, was hier von der Leitdienststelle und den Einsatzkräften gestemmt werden muss.
ONETZ: Wo sind die aktuellen Hotspots?
Da gibt es einige. Der größte Hot-Spot für uns ist aktuell das AWO-Altenheim in Windischeschenbach. Es gibt noch ein paar andere. Die wollen wir aber aufgrund des Datenschutzes und zur Sicherung der dort wohnenden Menschen nicht nennen. Aber wir beobachten sie genau, auch mit den Krisenstäben in Neuhaus und Tirschenreuth.
ONETZ: Wie kann man die Bewohner von Altenheimen schützen?
Es gab dort mehrere Todesfälle. Schützen kann man die Bewohner, indem man sie nicht besucht, keine Fremden zu ihnen lässt und sie in ihrem geschlossenen Bereich lässt. Das ist für Bewohner und Angehörige schwierig, aber der beste Schutz.
ONETZ: Sind wirklich nur ältere Personen gefährdet oder greift das Virus auch jüngere Menschen an?
Das Virus greift auch jüngere Menschen an. Der jüngste Patient im Stadtgebiet Weiden ist ein Jahr alt, der älteste 91. Zwischen diesem Fenster ist alles dabei. Ganz viele jüngere Jahrgänge, 1988, 1992. Aber auch das sogenannte Mittelalter um die 45. Wir haben jüngere Patienten, die mit massiven Atemwegsproblemen in die Kliniken gefahren werden mussten. Junge Menschen liegen auf den Intensivstationen. Deshalb mein Appell: Schützt euch, haltet euch an die Ausgangsbeschränkungen.
ONETZ: Wie kommen die Helfer mit den Einsätzen klar? Wie belastend ist für sie die Situation?
Es ist schon schwierig, wenn man in der Krankentransport- oder Rettungsdienstschicht eingesetzt ist. Man muss sich die Augen mit Brille oder Maske schützen, muss Atemschutzmaske und Stoffhaube tragen. Dazu kommen Dreifachhandschuhe und Schutzkittel. Damit fährt man dann in einer Schicht von zehn bis zwölf Stunden. Das geht an die Substanz. Gerade bei solchen Notfalleinsätzen haben es die Kollegen mit massiven Szenarien zu tun. Die Leute haben Krampfanfälle, leiden an respiratorischen Atemwegserkrankungen. Teilweise greift der Covid auch das Herz an. Das ist belastend. Aber die Kollegen stemmen das. Durch ihre Ausbildung sind sie doch auf solche Sachen trainiert. Hört man in den Flurfunk hinein, merkt man schon, dass die Angst umgeht, man könnte den Erreger bei der eigenen Familie einschleppen. Deshalb agieren sie alle sehr vorsichtig und sensibel.
ONETZ: Gibt es für Retter Hilfen? Wenn ja, werden die beansprucht?
Ja, die gibt es. Die Seelsorge wird von Dekan Johannes Lukas und seinem Team vorgenommen. Der ist für die Einsatzkräfte da. Der kümmert sich darum, wenn jemand ein Telefonat führen und von seinen Einsätzen berichten will. Dekan Lukas ist Ansprechpartner für die Seelenreinigung. Das macht er sehr gut. Mit ihm kann man reden.
ONETZ: Wie wurden die Einsatzpläne aufgrund von Corona geändert oder erweitert? Wurde das Personal aufgestockt?
Die Pläne wurden hochgefahren und umgearbeitet. Wir haben massiv aufgestockt, uns mit Feuerwehr, THW und BRK abgestimmt. Sollte ein zusätzliches Schadensereignis kommen, würde dieses zur derzeitigen Lage bewältigt werden können. Die Kollegen haben auf Urlaub verzichtet, nehmen Überstunden in Kauf, scheuen Mehrarbeit nicht, stellen Privates zurück. Ich bin sehr stolz auf meine insgesamt 55 Mitarbeiter. Wir arbeiten in der ILS im Normalbetrieb mit vier Disponenten im Tagdienst. Jetzt arbeiten wir mit sechs. Damit kommen wir zurecht. Das medizinische Bürgertelefon ist mit drei Personen besetzt.
ONETZ: Wie schützen sich Profis vor Ansteckung?
Wir haben in der ILS einen Hygieneplan aufgestellt und mit den Kliniken Nordoberpfalz entwickelt. Bei Betreten der Leitstelle muss man sich seit mehreren Wochen schon die Hände waschen. Auch mehrfach am Tag, und das muss nachgewiesen werden. Man muss sich Fieber messen lassen und im gesamten Bereich Mund- und Nasenschutz tragen. Wenn Symptome auftreten, wird der Betroffene sofort freigestellt oder muss sich einem priorisierten Test unterziehen. Wir sind systemrelevant. Fallen mehrere Mitarbeiter aus, können die nicht kurzerhand ersetzt werden. ir können uns keinen Stillstand erlauben.
ONETZ: Wie gut war die nördliche Oberpfalz auf die Corona-Pandemie vorbereitet. Gibt es genügend Schutzausrüstungen?
Wir hatten mit unseren Mitarbeitern im November und Januar ein SIM-Training an der Staatlichen Feuerwehrschule in Geretsried absolviert. Dort haben wir Pandemie-Lagen geübt. Keiner ahnte, dass eine Pandemie wirklich kommen würde. Aber wir sind dadurch bestens vorbereitet. Ausreichend Schutzausrüstung gibt es mittlerweile. Wir bekommen sie durch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geliefert. Auch die Bevölkerung spendet. Es werden Masken bei uns abgegeben. Desinfektionsmittel stellen wir selbst her. Vor zwei Wochen war das noch anders. Da waren Schutzausrüstungen sehr knapp. Die Lage entspannt sich, ganz glücklich sind wir aber noch nicht. Gerade im Rettungsdienstbereich ist der Materialverbrauch sehr hoch. Wir sind nach wie vor auf jede Spende und auf jede Lieferung angewiesen.
ONETZ: Wie reagieren die politisch Verantwortlichen in Ihrem Einzugsgebiet auf die Krise? Wie gut ist die Zusammenarbeit?
Hervorragend. Die Zusammenarbeit ist noch enger geworden. Wir, die Integrierte Leitstelle, hatten in der Vergangenheit mit den Verantwortlichen immer Gespräche auf Augenhöhe geführt. Mittlerweile haben wir ein echtes Vertrauensverhältnis. Egal, ob mit Verbandsvorsitzendem Andreas Meier oder mit Oberbürgermeister Kurt Seggewiß: Wir arbeiten Hand in Hand.
ONETZ: Werden die vielen Dankes-Bekundungen aus der Bevölkerung registriert?
Sehr wohl. Wir freuen uns über die vielen Maskenspenden. All das, was bei uns abgegeben wird, geben wir weiter an Johanniter, BRK oder Feuerwehr. Die Spendenbereitschaft darf nicht abreißen. Wir brauchen weiter Masken, um sie auch an die Patienten weiterzugeben. Der Dank kommt an. Erst heute hat mir ein Kollege gesagt, dass ihn das alles ein wenig stolz mache, weil seine Arbeit, die er im medizinischen Bereich leistet, anerkannt wird.
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