Flächenverbrauch in der Oberpfalz

Weiden in der Oberpfalz
03.06.2019 - 16:35 Uhr

1800 Jahre bleiben, dann ist die Oberpfalz "verbraucht". Das gilt, - rein theoretisch - wenn die Besiedelung mit dem Tempo der vergangenen drei Jahre weitergeht. Ein Blick auf die Statistik und was Umweltschützer und Wirtschaft sagen.

Was einmal verbaut ist, ist erst einmal weg.
Weiden in der Oberpfalz03.06.2019

Was macht der Bauboom mit der Oberpfälzer Natur? Ein blick in die Statistik zeigt: Zwischen 1980 und 2017 hat im Regierungsbezirk die Siedlungs- und Verkehrsfläche um mehr als 38190 Hektar zugenommen. Das entspricht etwa einem Viertel des Landkreises Neustadt/WN. Ein Anstieg um mehr als 56 Prozent. Der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche ist damit von 6,9 auf 10,8 Prozent gestiegen. In ganz Bayern nahm der Anteil von 7,95 auf 11,61 Prozent zu.

Sonderfall Truppenübungsplätze

Auch auf Gemeindeebene lässt sich das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsfläche erkennen. Besonders dicht sind - wenig überraschend - die drei kreisfreien Städte der Oberpfalz besiedelt. Auffällig ist weiter, dass die Besiedelung entlang der Autobahn A93 höher erscheint als abseits.

Mit Vorsicht zu genießen ist die Erfassung der Gemeinden Grafenwöhr und Hohenfels, die wegen der Übungsplätze im Gemeindegebiet Sonderfälle darstellen. Bis zum Jahr 2013 wurden diese Gebiete als Sonderflächen ausgewiesen, seit 2014 werden sie nach der tatsächlichen Nutzung erfasst. Allerdings gibt es noch Probleme. So weist die Gemeinde Grafenwöhr einen sehr hohen Anteil an Siedlungs- und Verkehrsfläche aus, obwohl große Teile des Übungsplatzes als besonders naturnah und Rückzugsgebiet für seltene Pflanzen und Tiere gelten.

Eine Besonderheit der Oberpfalz: Zur Besiedelung wird beinahe ausschließlich landwirtschaftliche Fläche genutzt, Acker- und Grünland. Entsprechend hoch ist der Verlust entsprechender Flächen.

Wohnbebauung und Verkehr

Sieht man sich die Verteilung der Siedlungs- und Verkehrsfläche an, fällt auf, dass Wirtschaftlich genutzte Fläche eine vergleichsweise kleine Rolle spielt. Den größten Teil machen Verkehrsflächen aus mit über 40 Prozent der gesamten Siedlungs- und Verkehrsfläche. Dahinter folgt die Wohnbebauung mit über 20 Prozent. Allerdings verbrauchen in den letzten Jahren vor allem Handel- und Dienstleistung viel Fläche. Das passt zur Beobachtung der Experten vom Verein für Landschaftspflege und Artenschuz in Bayern(VLAB), dass wegen des wachsenden Internethandels neue Logistikzentren entstehen, die viel Platz brauchen, weil es praktischer ist, ihre Flächen nicht auf mehrere Stockwerke zu verteilen, sondern ebenerdig zu nutzen.

Wald wächst

Dagegen erweisen sich die Waldflächen als sehr stabil. Trotz des vermeintlichen Waldsterbens in den 1980er Jahren hat die bewaldete Fläche in der Oberpfalz kontinuierlich zugenommen. Auch damit liegt die Oberpfalz im bayernweiten Trend. Allerdings ist der Waldanteil in der Oberpfalz deutlich höher als im Freistaat. Und auch innerhalb des Bezirks gibt es Unterschiede. Auffällig: Nicht der "Wald-Landkreis" Cham, sondern Amberg-Sulzbach ist der am dichtest bewaldete. Dahinter folgen Neustadt/WN und Tirschenreuth, erst dann Cham. Von den kreisfreien Städten weist Weiden - mit Abstand - den höchsten Anteil an Waldfläche auf. Allerdings ist in Weiden der Waldanteil über die Jahre gesunken, anders als in Regensburg und Amberg, wo es heute trotz Baubooms mehr Wald gibt als Anfang der 1980er Jahre.

Forst überholt Acker- und Grünland

Auf die gesamte Oberpfalz betrachtet, war 2017 das erste Jahr, in dem der Bezirk mehr Wald- als Acker- und Gründland aufwies. Dies zeigt die folgende Animation. Vor allem zeigt sie auch, wie schnell die Siedlungs- und Verkehrsfläche wächst. Gut zu sehen ist in der Darstellung der Sprung 2014, der auf methodische Umstellungen bei der Erfassung der Flächennutzung zurückzuführen ist.

Bautempo verlangsamt sich

Bei aller Sorge um Natur und Umwelt darf nicht übersehen werden, dass Siedlungs- und Verkehrsfläche nicht gleich versiegelter Fläche ist. Auch Parks, Gärten oder Sportanlagen zählen dazu. Außerdem zeigen die Zahlen, dass das Besiedelungstempo sich deutlich verlangsamt hat. Im Landkreis Tirschenreuth nahm die besiedelte Fläche in den vergangenen drei Jahren sogar leicht ab. Eine Zunahme des Bebauungstempos ist nur im Landkreis Neustadt/WN zu beobachten. Allerdings spielt dabei wohl wieder der Übungsplatz Grafenwöhr eine Sonderrolle. Ein Großteil der Zunahme an besiedelter Fläche in den vergangenen drei Jahren ist auf diese Gemeinde zurückzuführen

Weniger Einwohner, langsamere Besiedelung

Beim Rückgang der Siedlungsfläche in Tirschenreuth dürfte die sinkende Einwohnerzahl eine Rolle spielen. Setzt man Siedlungsfläche in Verhältnis zur Einwohnerzahl dreht sich insgesamt die Bewertung. Die Oberpfalz erreicht hier einen deutlich höheren Wert als Bayern. Und auch im Bezirk schneidet der wenig besiedelte Landkreis Tirschenreuth schlechter ab. Bei genauerer Überlegung überrascht dies aber nicht. Schließlich müssen auch kleine Dörfer durch genauso große Straßen und andere Infrastruktur erschlossen werden wie Städte.

In 1800 Jahren komplett asphaltiert?

Zuletzt noch ein - ganz hypothetischer - Versuch die zur Verfügung stehende Fläche mit dem Tempo der Besiedelung in Bezug zu setzen. Wie lange bleibt den Landkreisen bei dem Bautempo der Jahre 2014 bis 2017 bis sie komplett "überbaut" sind.

Flächenverbrauch :

Zahlen sind das eine, die Einordnung das andere. So weiß auch VLAB-Expertin Michaela Domeyer, dass sich der Flächenverbrauch zuletzt abgeschwächt hat, Grund zur Entwarnung gebe es nicht. Wobei die studierte Forstwirtin ebenso vor Pauschalurteilen warnt. "Es ist schon sinnvoll, jedes Projekt als Fall für sich zu betrachten." Es komme immer wieder vor, dass eine Prüfung ergebe, dass ein Bauprojekt sinnvoll und der Flächenverbrauch unumgänglich ist.Oft sei es aber eben auch anders, nicht nur bei Industrie und Gewerbe.

  • Gerade beim Wohnbau werde viel Fläche verschwendet, etwa weil Baugebiete so geplant werden, um den Bauherrn später mehr Privatsphäre zu ermöglichen. Für separate Zufahren werde dann eben auch deutlich mehr Fläche versiegelt.
  • Ein anderes neues Phänomen: Bauen ohne Keller, auch das führt dazu, dass Häuser in die Fläche wachsen.
  • Gerade in der Oberpfalz verbrauchen Freiflächenphotovoltaikanalgen viel neue Fläche. Dabei wird zwar der Boden nicht versiegelt. Weil aber viel weniger Licht die Erde erreicht, wachsen dort kaum mehr Blühpflanzen. Das ist schlecht für Insekten und damit für die Artenvielfalt. Demnächst stehen die ersten Anlagen zum Rückbau an. Es gebe Zweifel, ob die Betreiber genug Geld zurückgelegt haben, um diesen zu finanzieren
  • Viel Fläche verbrauchen auch Logistikzentren, die auch wegen des wachsenden Onlinehandels immer mehr werden. In Bindlach plane DHL derzeit ein gigantisches Logistikzentrum, aller ebenerdig. Aber auch in Waldershof gebe es ein solches Beispiel.

Was kann man tun? Michaela Domeyer und der VLAB machen Vorschläge:

  • Den Bau in die Höhe fördern.
  • Gerade in der nördlichen Oberpfalz gibt es viele gut erschlossene, aber ungenutzte Industriebrachen. Weil der Boden kontaminiert ist, werden die Flächen alter Porzellan- oder Bleikristallfirmen schon seit Jahren nicht genutzt. Ein Förderprogramm zur Sanierung dieser Gebiete würde Zentrale Fläche zur Verfügung stellen.
  • Dem Einzelhandel wird es oft schwer gemacht, in Innenstädten zu wachsen, weil es dort Verkaufsflächenbeschränkungen gibt. Würden solche Vorgaben gelockert, wäre die Nachverdichtung in Innenstädten leichter.
  • Interkommunale Gewerbegebiete könnten verhindern, dass jede Kommune eigene Flächen ausweist, die dann voll erschlossen aber kaum halb genutzt werden.

Auch die Industrie und Handelskammer macht Vorschläge, wie sich der Flächenverbrauch eindämmen lassen könnte

  • Ausschöpfung von Innenentwicklungspotenzialen (Baulückenkataster, Revitalisierung, Umnutzung)
  • Baurechtzuwachs vorhandener oder geplanter Bebauungspläne über Zusatzgeschoss o. ä.
  • Keine Mindestgrößen für Grundstücke in Wohnbaugebieten mit dem Ziel der Erhöhung der Bewohnerdichte
  • Durchsetzung des Baugebots, sofern Baulandbevorratungen aus spekulativen Gründen stattfinden
 
 

Kommentare

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Maria Estl

Interessant, was so alles in der Zeitung steht. Eine Vorausschau, wann die Fläche in der Oberpfalz verbraucht ist, kommt auf eine „Restlaufzeit“ von 1800 Jahren, wenn man das derzeitige Besiedelungstempo beibehält.
Ein ganz wichtiger Aspekt dazu taucht leider nicht auf: Der durch den Menschen verursachte Klimawandel. Dieser wird der Oberpfalz, Bayern, Deutschland und der Welt nur noch eine kurze (Über)Lebensspanne zugestehen. Darüber sind sich mehr als 90% der seriösen Wissenschaftler einig, darunter alle renommierten Klimaforscher.
Das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) veröffentlichte am 10.12.2018: „Viele Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels, von Dürre- und Hitzewellen bis hin zum Abschmelzen des antarktischen Eises, passieren früher als erwartet. Extremereignisse, wie die jüngsten Waldbrände in Nordamerika und die Überschwemmungen in ganz Asien, können mit größerer Sicherheit der globalen Erwärmung zugeordnet werden“. (https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/nachrichten/must-knows-for-climate-negotiators-10-new-insights-on-climate-change?set_language=de)
Und auch in Brandenburg brennen sie schon wieder, die Wälder.
Zurück zum Flächenfraß – ein Thema, das der VLAB erst jetzt aufgreift. Eine studierte Forstwirtin, die als Expertin des VLAB bezeichnet wird, äußert sich in dem Zusammenhang zum Bauen, Gewerbe und auch zu PV Anlagen auf der Fläche. Der BUND Naturschutz tat das schon vor mehr als einem Jahr, das BR Magazin „quer“ berichtete mit Akteuren wie BN-Vorsitzendem Richard Mergner, den BN Aktiven Sonja Schuhmacher und Klaus Bergmann sowie Hubert Job von der renommierten Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Dort arbeitet auch der BN an einem besseren Landesentwicklungsprogramm (LEP) mit. Den VLAB sucht man hier vergebens, wohl mangels Fachkompetenz, über die der BN schon seit Jahren verfügt. Aus einem Verein der Energiewendegegner wird halt kein echter Naturschutzverband. Um ganz reale Projekte vor der Haustür wie dem geplanten Gewerbegebiet Weiden West kümmert man sich von dieser Seite auch nicht, mir ist nicht bekannt, dass der VLAB hierzu eine Stellungnahme abgegeben hat.
Leider bekräftigt dieser Beitrag erneut: Bayern scheint nach Ansicht mancher Zeitgenossen auf einer Insel der Seligen zu liegen. Klimawandel? Alles nicht so schlimm! Ihn in den Griff bekommen? Sehr kompliziert! Rasche Umstellung auf 100% Erneuerbare? Verschandelt die Landschaft!

04.06.2019