1800 Jahre noch, dann ist die Oberpfalz "verbraucht". Das gilt rein statistisch, aber ganz real machen sich Umweltschützer auch beim dünn besiedeltsten bayerischen Regierungsbezirk Sorgen. Die Oberpfalz unterscheide sich beim Flächenverbrauch, bei der Umwandlung von landwirtschaftlich genutzter in Siedlungs- und Verkehrsfläche, nicht sehr vom Rest Bayerns, sagt Michaela Domeyer. Die Kemnatherin betreut für den Verein für Landschaftspflege und Artenschutz (VLAB) das Thema Flächenverbrauch, gibt für die bundesweit anerkannte Natur- und Umweltschutzvereinigung regelmäßig Stellungnahmen bei größeren Bauprojekten ab.
Dabei stellt sie immer wieder fest, dass zu sorglos Fläche verbraucht werde für Gewerbe- und Industriegebiete, Straßen, aber auch für Wohngebiete. Auch Photovoltaikflächenanlagen sorgen dafür, dass freies Land verschwindet. Auch wenn die Fläche dabei nicht versiegelt wird: "Es fällt kaum mehr Licht auf den Boden, Blühpflanzen verschwinden dadurch - und damit die Artenvielfalt." Das alles gilt auch in der Oberpfalz, selbst wenn der Verbrauch hier langsamer voranschreitet als in den Boomregionen in Oberbayern, Mittelfranken oder Schwaben.
Das alles zeigt auch die Statistik: Zwischen 1980 und 2017 hat im Regierungsbezirk die Siedlungs- und Verkehrsfläche um mehr als 38 190 Hektar zugenommen. Das entspricht etwa einem Viertel des Landkreises Neustadt/WN. Der Anteil an der Gesamtfläche ist von 6,9 auf 10,8 Prozent gestiegen - um mehr als 56 Prozent. In ganz Bayern nahm der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche von 7,95 auf 11,61 Prozent zu.
Ohne Keller im Trend
Beim Wohnbau werde Fläche verschwendet, etwa weil Baugebiete so geplant werden, dass sie mehr Privatsphäre ermöglichen. "Ein anderes neues Phänomen ist das Bauen ohne Keller", sagt Domeyer. Auch das sorge dafür, dass dei Gebäude dann überirdisch mehr Fläche einnehmen. Noch mehr Sorgen macht der Umweltschützerin, der Verbrauch für Logistikzentren und Lager, der mit dem Wachstum des Internethandels zu tun haben kann. "Es ist für die Logistik einfacher, wenn alles auf einer Ebene liegt", sagt Domeyer. Ein Beispiel seien die ständig wachsenden, ebenerdigen Lager des Fahrradherstellers Cube in Waldershof. Der Bauboom sorgt zudem dafür, dass immer mehr Abbauflächen für Kies- und Sand ausgewiesen werden.
Auf die boomende Wirtschaft verweist aber auch die IHK. Diese sei Grundlage des Wohlstands in Bayern. Und eine florierende Wirtschaft benötige eben Flächen für Erweiterungen. "Ohne ausreichende Flächen wird auch die von der Politik befürwortete Schaffung von 'bezahlbarem' Wohnraum und die Unterstützung 'gleichwertiger Lebensverhältnisse' nicht zu realisieren sein", heißt es in einer Infobroschüre der IHK. Die Kammer spricht sich deshalb gegen pauschale Beschränkungen des Flächenverbrauchs aus. Und weist außerdem darauf hin, dass Industrie und Gewerbe einen vergleichsweise kleinen Teil der Siedlungs- und Verkehrsfläche ausmachen. Im Jahr 2017 waren es kaum 7,5 Prozent. Den größten Teil nimmt der Verkehr (42,9 Prozent) und das Wohnen (20,9) ein. Auffälligerweise ist es nicht so. dass der Flächenverbrauch sich beschleunigt, im Gegenteil. In den 1980er Jahren wurde beinahe doppelt so viel Fläche pro Jahr für Siedlung und Verkehr bebaut als aktuell.
In dieser Beziehung widerspricht VLAB-Expertin Domeyer nicht allzu heftig: "Man muss tatsächlich immer den Einzelfall betrachten." Menschen müssen wohnen und arbeiten, dafür sei Fläche nötig. Soll barrierefreier Wohnraum für Senioren geschaffen werden, sei es nahe liegend ebenerdig zu bauen, gibt sie ein Beispiel. Das ändert aber nichts daran: Es gebe genug Einsparpotenzial.
Viele Brachen
"Gerade in der nördlichen Oberpfalz gibt es viele gut erschlossene, aber ungenutzte Industriebrachen", sagt Domeyer zum Beispiel. Weil der Boden kontaminiert ist, werden alte Porzellan- oder Bleikristallfirmen seit Jahren nicht genutzt. Ein Förderprogramm zur Sanierung würde zentrale Nutzfläche zur Verfügung stellen. Auch die Nachverdichtung in den Zentren biete Potenzial. "Dem Einzelhandel wird es oft schwer gemacht, in Innenstädten zu wachsen, weil dort Verkaufsflächenbeschränkungen gelten." Bessere Förderung interkommunaler Gewerbegebiete würde verhindern, dass jede Kommune eigene Flächen ausweist, die dann kaum halb genutzt werden.
Dass es sich lohnt, über das Flächensparen nachzudenken, sieht auch die IHK. Die Wirtschaftsvertretung macht auch Vorschläge: Das Baurecht könnte so geändert werden, dass es leicht wird, nach oben statt in die Fläche zu bauen. Außerdem fordert die IHK die Aufhebung von Mindestgrößen für Grundstücke in Wohnbaugebieten. Dies solle die Bebauung erhöhen. Und auch eine Verschärfung des Bauzwangs kann sich die IHK vorstellen, "sofern Baulandbevorratungen aus spekulativen Gründen stattfinden".
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