Weiden/Grafenwöhr. „Wenn du geschwiegen hättest ...“ Seit Prozessbeginn im Februar hatte der 41-Jährige keine Angaben zum Abend des 11. April 2016 gemacht, an dem in Grafenwöhr Ernst und Luise W. (damals 89 und 80) überfallen worden waren. Am 24. Verhandlungstag vor vier Wochen redete sich der Ukrainer plötzlich um Kopf und Kragen. Er brachte mehrere Alibis vor, die ihm von der Weidener Kripo mit Beweismitteln aus Prag prompt widerlegt wurden. „Alles Flops“, sagt Vorsitzender Richter Markus Fillinger. Sollte es je leise Zweifel an seiner Schuld gegeben haben: Sie waren damit dahin.
Das Gericht blieb mit zehn Jahren Haft nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft auf zehneinhalb Jahre. Und das, obwohl es kein Geständnis gibt und keine Augenzeugen. Obwohl seine DNA nur auf Handschuhen in einem nahen Bach, nicht am Tatort gefunden wurde. Obwohl selbst die Opfer nur von drei Tätern sprachen – er wäre der vierte Mann. Für das Gericht ist Viktor C. sogar noch mehr: „Er ist nach unserer Ansicht derjenige, der von diesen Vieren das Sagen hatte“, so Fillinger in der Urteilsbegründung. Wieso hätte Viktor C. die Handschuhe in einen Bach werfen sollen, wenn er nicht selbst am Tatort war? „Es spricht viel dafür, dass er im Haus war. Zumindest sind wir überzeugt, dass er unmittelbar am Haus dran war.“
Beinahe versuchter Mord
Die Kammer, besetzt mit Fillinger, den Richtern Dr. Marco Heß und Markus Bauer sowie zwei Schöffen, erwog sogar versuchten Mord als Tatbestand. Der 89-Jährige hätte sterben können. Die Täter hatten das Paar mit Stromkabeln und Handschellen gefesselt am Boden zurückgelassen. „Man verpackt die beiden alten Leute und sagt um kurz vor Mitternacht: Und Tschüss“, ist Fillinger empört. Hätte sich die alte Dame nicht befreien können, „wäre das nicht mehr lange gegangen“.
Der Richter erinnert an die Vernehmung des ehemaligen Wirts der Rio-Bar vor Gericht: „Wir haben alle noch das Bild vor Augen: ein kleiner, gebrochener Mann in einem Rollstuhl drin, der weint und zittert.“ Der jetzt 92-Jährige erlitt in der Nacht einen Schlaganfall. Seiner Frau brachen die Räuber die Schulter.
Der Vorsitzende rechnet mit einigen Verteidigern ab, die erst die Opfer, später ermittelnde Beamte in die Mangel nahmen. Einige Anwälte hatten dies in den Plädoyers als ihre Aufgabe verteidigt: Es müsse erlaubt sein, Ermittlungsergebnisse zu hinterfragen. Das sei Basis des Rechtsstaats. „Dieser Rechtsstaat ist keine Einbahnstraße“, kontert Fillinger. Kein Polizist im Zeugenstand habe den Gerichtssaal verlassen, ohne dass ihm unlautere Ermittlungsmethoden vorgeworfen worden wären. „Es ist hier gegen alles und jeden geschossen worden.“
Dabei verdiene die Arbeit der Polizei beider Länder „höchste Anerkennung“. Ohne die Tschechen hätte es keine Festnahme gegeben. Die Prager Polizei hatte Viktor C. aufgrund eines Zigarettenschmuggels ohnehin im Visier. Sie steuerte Verkehrsdaten und Telefonprotokolle bei. „Die dort erhobenen Daten haben wesentlichen Anteil daran, dass es hier zu einer Verurteilung kommen kann.“ An diese Daten wäre man nach deutschem Recht „nie und nimmer“ herangekommen, betont Fillinger. „Ich bin kein Rechtspolitiker. Aber meine Gedanken mache ich mir schon.“
Die Verteidiger Marc Steinsdörfer und Dominic Kriegel hatten Freitagfrüh noch plädiert. Steinsdörfer erinnerte an viele offene Fragen, gerade im Hinblick auf die Beihelfer. Zwei Landkreisbürger (45 und 58) sollen den Tipp an einen Tschechen (61) weitergegeben haben, der Kontakt mit den Ukrainern hatte. Alle fünf trafen sich zwei Tage vor der Tat in Grafenwöhr. „Wann hat wer wo mit wem über welche Dinge gesprochen?“ Vieles bleibe im Bereich der Spekulation. „Und das reicht eben nicht für eine Verurteilung.“ Die Polizei habe mit „Scheuklappen“ in Richtung einer festgelegten Hypothese ermittelt. „Ich bin wirklich überzeugt: Auf dieser Anklagebank sitzen auch Menschen, die da nichts verloren haben.“ Steinsdörfer fordert Freispruch – wie fast alle seiner Kollegen.
Revision angekündigt
Ihre Appelle bleiben ungehört. „Jedem dieser drei Beihelfer war klar, um was es geht“, so Fillinger. „Sie haben gewusst, was da für Typen anrollen.“ Der Tscheche (61), ein Autoschacherer, der die Verbindung zwischen Grafenwöhr und den Ukrainern herstellte, geht für fünf Jahre hinter Gitter. Ein 58-jähriger „Ex-Knasti“ aus dem Landkreis, der auch beim letzten Wort schwieg, bekommt viereinhalb Jahre: Er hat nach Ansicht des Gerichts das Gerücht versilbern wollen, wonach Ernst W. den Erlös für seine Bar – eine halbe Million Euro – daheim horte. Am Ende war die Beute „nur“ fünfstellig. Sein früherer Kumpel (45) gab den Tipp weiter gen Osten. Er fungierte als eine Art „Kronzeuge“ und kam mit zweieinhalb Jahren davon. Einen Freispruch gab es nur für den Ukrainer (24), der das Auto gemietet hatte.
Die Reaktionen fallen entsprechend aus: Die Verurteilten sind merklich schockiert, die zahlreichen Kriminalkommissare im Zuhörerraum sind zufrieden, ebenso ist es Nebenklagevertreter Tobias Konze. Einige Verteidiger kündigen noch am Freitag Rechtsmittel an.
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