Auf der Bühne vier Musiker mit Ausstrahlung. Sie sind auf den Bühnen in New York und Paris zu Hause, gastieren auf den großen Festivals und gelten als Botschafter einer neuen, zeitgemäßen Musikszene. Anders als auf den großen Bühnen, kann man hier die Musik in intimer Wohnzimmer-Atmosphäre genießen. Saxofon und Schlagzeug brauchen keine Mikrophone, für Gitarre und Kontrabass genügen zwei kleine Verstärker.
Doch handelt es sich hier nicht um einschmeichelnde Kammermusik, hier entsteht lebendiger, zeitgemäßer Jazz mit ausgeprägten Bezügen zur Tradition. Alle Kompositionen stammen von Jochen Rückert, wobei das Verhältnis zwischen komponierten und frei improvisierten Passagen verschwimmt. Oft dient lediglich ein Akkordgerüst als Grundlage, die Reihenfolge der Solisten oder der Zusammenklang sind vorprogrammiert. Was daraus entsteht, hängt von der jeweiligen Situation ab.
Wurzeln im Bebop
Die Wurzeln der Musik liegen im Bebop und bei Lennie Tristano. Nervöse, komplizierte Melodielinien mit viel Freiraum für eigene Ideen. Jochen Rückert (geboren 1975 in Köln) hat in New York mit den Größen des Jazz gespielt und sich in alle Stilarten hineinversetzt. Als Begleiter hat er das Rüstzeug für sein feinfühliges, nuancenreiches Spiel erworben. Auch in seiner eigenen Musik verlässt er die Basis des Swing nie. Er untermalt, kommentiert und nützt alle Aspekte seines Drum-Sets. Feinsinnige Besenarbeit und harte Schläge wechseln, die Becken werden nuanciert und mit all ihren Klangeigenschaften eingesetzt, aber auch Pausen und Dynamik werden eingebaut. Längere Solopassagen erinnern an Max Roach, der mit seinen Trommeln und Becken auch Melodien und Themen kreierte.
Mit seinen Mitstreitern verbindet Jochen Rückert eine langjährige Zusammenarbeit. Man spürt, dass die Musiker blind aufeinander reagieren. Beim Jazzfestival Frankfurt 2015 stand Mark Turner (geboren 1965 in Fairborn/Ohio) mit seinem eigenen Quartett, dem auch Bassist Joe Martin angehörte, auf der Bühne und wurde dort als Höhepunkt des Festivals gefeiert. Er kommt aus der Tradition von John Coltrane, sein Ton ist aber spröder und weniger hymnisch. Turner hat absolute Kontrolle über sein Instrument, komplizierte Tonfolgen oder Überblastechniken baut er wie selbstverständlich ein. Sein kurze, exakte Artikulation ist charakteristisch. Präzise werden auch unisono-Passagen von Gitarre und Saxofon intoniert.
Auch der norwegische Gitarrist Lage Lund (Jahrgang 1978) ist mit der Musik des Quartetts verwachsen. Er unterlegt mit ausgefeilten Akkorden und sphärischen Klängen das Geschehen. Gitarre und Saxofon verzahnen ihre Melodien auf unkonventionelle Weise, ähnlich wie es einst Ornette Coleman mit seinem „harmolodischen“ Konzept verfolgte. Die Gitarre verfremdet Lund mit diversen Soundgeräten, Echo und sphärische, schwebende Klänge werden effektiv eingesetzt.
Joe Martin (geboren 1970 in Kansas City) ist ebenfalls langjähriges Mitglied in den Gruppen von Mark Turner und Jochen Rückert. Er harmoniert ausgezeichnet mit dem Schlagzeug und bildet mit seinen treibenden Basslinien das swingende Grundgerüst, seine Soli sind virtuos und spannungsvoll aufgebaut, besonders die Dialoge zwischen Bass und Saxofon faszinieren.
„Lasst uns Musik spielen und nicht ihren Background“, so äußerte sich Ornette Coleman einmal zu seinen oft sperrigen Themen, und dieses Zitat kommt in Erinnerung, wenn man Rückerts Kompositionen hört. Es gibt keine eingängige Themen oder Melodien, die in Erinnerung bleiben, keine „Ohrwürmer“. Gelegentlich entsteht der Eindruck von Beliebigkeit, repetitive Elemente werden manchmal überstrapaziert, die Konzentrationsfähigkeit des Zuhörers wird überfordert, es fehlen Elemente der Ruhe und Entspannung. Gerne hätte man auch erlebt, wie diese Musiker eine bekannte Melodie interpretieren.
15 Tage war das Quartett in Europa unterwegs und nun geht es zurück nach New York, wo alle ihren Lebensmittelpunkt haben.
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