Opfer von vergiftetem Champagner: "Ich denke jeden Tag daran"

Weiden in der Oberpfalz
14.05.2022 - 18:16 Uhr
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„La Vita“ bedeutet „das Leben“. Vielleicht ein gutes Omen für Franziska „Franzi“ Voigt? Die Gastronomin des gleichnamigen Restaurants in Weiden hat im Februar den Champagner getrunken, der mit Ecstasy vergiftet war - und überlebt.

Nach dem Horrortrip mit dem vergiftetet Champagner ist Franzi wieder im normalen Leben angekommen. Die Erinnerungen aber bleiben.

Von Elke Summer

Die Gläser stehen noch in der Gerichtsmedizin. Unter Verschluss. Sie sind stumme Zeugen eines Horrortrips, der Weiden Mitte Februar in die Schlagzeilen katapultiert. In Feierlaune lassen fünf Männer und drei Frauen eine Drei-Liter-Flasche „Moet & Chandon Ice Imperial“ köpfen, um auf die schönen Seiten des Lebens zu trinken. Unter ihnen ist Franzi Voigt, die gute Seele des beliebten Restaurants „La Vita“. Sie wird im Lauf der Nacht auf der Schwelle zwischen Leben und Tod stehen, weil die Flasche keinen Champagner, sondern hochdosiertes Ecstasy enthält.

Es ist kurz nach Mitternacht, schummriges Licht an der Bar. Der Schampus wird serviert. Franzi trinkt einen Schluck und ekelt sich: „Es hat nach einer Mischung aus Balsamico und Benzin geschmeckt.“ In einem Spülbecken spuckt sie die widerliche Flüssigkeit wieder aus. Die wenigen Tropfen, die in ihrem Mund bleiben, entsprechen der fünffachen Tagesdosis eines Junkies. Minuten später bricht sie zusammen, „mit tierischen Schmerzen im Arm“. Die Gastronomin fällt in ein schwarzes Loch – „mit Krämpfen, verdrehten Augen und Schaum vor dem Mund“. Kurz bevor sie das Bewusstsein verliert, denkt sie: „Jetzt bin ich tot.“

Ist sie nicht. Obwohl sie keinen Puls mehr hatte und reanimiert werden musste. Drei Monate später erzählt Franzi von den kleinen Schritten, mit denen sie ins normale Leben zurückfindet. „Weil mein Nervensystem beeinträchtigt war, konnte ich schlecht laufen und schreiben.“ Ihre Psyche versucht, den Albtraum auszuklammern, der ein Todesopfer gefordert hat. „Ich weiß das Leben jetzt viel mehr zu schätzen. Kleine Ärgernisse im Alltag nehme ich mir nicht mehr so zu Herzen.“ Sie sei gelassener geworden.

Doch zunächst mal herrscht Chaos – in ihrem Kopf, am Tatort, bei Angehörigen und Freunden. Als sie mit schweren Entzugserscheinungen im Amberger Krankenhaus aufwacht, ist sie vom Informationsfluss abgeschnitten. Sie kann sich an nichts erinnern. Ihr Handy ist konfisziert, denn die Ermittler prüfen noch, ob sie etwas mit der Tat zu tun hat. Weil ihr Kopf völlig umnebelt ist, fällt ihr die Handynummer ihres Lebensgefährtens Marcello nicht ein. Auch ihre Eltern können den Inhaber des Restaurants nicht erreichen – denn er ist mittlerweile in Gewahrsam der Polizei. Ein Albtraum. Franzi erfährt auf der Intensivstation, dass einer aus der Gruppe die Nacht nicht überlebt hat. Wer das ist, erfährt sie nicht. „Aus Datenschutzgründen.“ Franzi errät es trotzdem. „Während meiner Halluzina-tionen hatte ich ständig nur ein Gesicht vor Augen.“ Das Gesicht des lächelnden Harrys, der ihr zugerufen habe: „Ciao, Franzi.“

„Der Vorfall hat mich zur bekanntesten Kellnerin Deutschlands gemacht“, meint Franzi. Dass sie in Weiden schon vorher zur Innenstadt gehört hat wie Pizza zur Pasta, zeigt die überwältigende Anteilnahme. „Mit 1000 Whatsapp- Nachrichten und einem Blumenmeer haben sich die Menschen mit mir gefreut, dass es mir wieder gutgeht.“ Eine Woche nach dem Giftanschlag. öffnet das „La Vita“ wieder, obwohl Google etwas anderes behauptet. In der Internet-Suchmaschine steht noch wochenlang „vorübergehend geschlossen“ – extrem geschäftsschädigend für das Restaurant und äußerst kompliziert, diesen Vermerk löschen zu lassen. „Wir haben 80 Prozent an Stammgästen“, sagt Franzi, die inzwischen alle wieder regelmäßig zum Essen kommen. „Wir sind unseren Gästen sehr dankbar für diese Treue.“

Aber es gibt auch unschöne Zwischenfälle, die aus Unwissenheit passieren. Unüberlegt. Oder aus schrägem Humor. Franzi will nicht darüber sprechen, wehrt sich aber, wenn es die Ehre der Opfer verletzt. Die Justiz ermittelt weiter, um die Herkunft der Flasche zu klären. Das „La Vita“ hatte den Champagner über Dritte bezogen. Am Tresen kostet dieses Getränk rund 500 Euro. „Den Wert des Drogen-Cocktails in der Flasche bewerten die Ermittler mit 360.000 Euro“, sagt Franzi. Inzwischen seien ähnliche Flaschen in Holland und Australien aufgetaucht.

Mit den beiden Frauen, die ebenfalls Opfer waren, tauscht sich Franzi öfter aus. „Wir trinken Kaffee und reden“, sagt sie. „Ich denke jeden Tag an den Vorfall. Mir hilft das Reden sehr, dieses Trauma zu verarbeiten.“ Neulich hat Franzi mit einer Beteiligten wieder Alkohol probiert – einen Aperol „in Gedanken an Harry“. Zum Gedenken an ihren verstorbenen Freund hat sie im Restaurant ein Bild und eine Kerze aufgestellt. Wenn die Rechtsmedizin die Champagnergläser freigibt, will sie die 37-Jährige mit Blumen bepflanzen und auf sein Grab stellen, denn: „Als Partygänger hat Harry Moet so geliebt.“

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Hintergrund:

Ecstasy im Champagner

Ein Kriminalfall aus Weiden macht im Februar bundesweit Schlagzeilen. Im Restaurant „La Vita“ trinken fünf Männer und drei Frauen aus einer Champagnerflasche, die mit der Partydroge Ecstasy vergiftet war. Ein 52-Jähriger stirbt an multiplem Organversagen, die anderen Beteiligten überleben schwer verletzt. Die Polizei ermittelt zunächst in alle Richtungen: War es ein gezielter Anschlag auf das beliebte, italienische Restaurant? Sind Angestellte oder der Inhaber in den Fall verwickelt? Nach kurzer Zeit schließt die Staatsanwaltschaft beides aus. Aktuell konzentrieren sich die Ermittlungen der Sonderkommission auf den Vertriebsweg der Flasche.

 
 

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