Sonnenstrahlen blitzen durch die Blätter der haushohen Buche. Ich sitze auf dem Balkon und schließe meine Augen. Eine warme Brise streicht über mein Gesicht. Kurz darauf rollt ein Senior auf seinem Fahrrad die Straße hinunter. Er trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, eine kurze Hose und Sandalen mit weißen Socken. Es ist warm – aber nicht zu warm. Ideales Wetter, um eine Runde mit dem Motorrad zu drehen, spazieren zu gehen oder einfach nur zu entspannen. So könnte es für immer bleiben, denke ich mir. Doch bei genauerem Hinsehen wird schnell klar: Der Schein trügt.
Das satte Grün der Blätter ist vielerorts bereits einem tristen Braun gewichen. Auf dem Acker vor dem Haus ragen nur noch vereinzelt Grashalme aus dem kahlen Boden. Plötzlich wird es dunkel: Eine Wolke schiebt sich vor die wärmende Sonne. Der Wind frischt auf und wirbelt trockene Blätter durch die Luft. Ein Blick auf den Wetterbericht der kommenden Woche bestätigt, was ich ohnehin schon weiß: Die Temperaturen fallen von einem Tag auf den anderen um mehr als zehn Grad. Montag: Regen. Dienstag: Regen. Mittwoch: Regen. Donnerstag? Was wohl.
Ein Ende ist zunächst nicht in Sicht. Die kalte Jahreszeit steht kurz bevor. Früher habe ich mich sogar auf den Winter gefreut. Weiße Landschaften, Skifahren und das Knirschen von frischem Schnee unter den Schuhsohlen waren genauso schön wie der Sommer. Aber diese Freude spüre ich heute nicht mehr. Die Tage sind kurz, die Abende lang, und der sehnsüchtige Blick aus dem Fenster wird zu einem täglichen Ritual. Es fühlt sich an, als müsste man die Zeit einfach nur absitzen, bis es endlich wieder warm wird.
Vielleicht liegt es daran, dass die Winter längst nicht mehr so sind, wie sie einmal waren. Wenn Schnee fällt, verwandelt er sich in schmutzigen Matsch. Statt klarer Kälte gibt es feuchtkaltes Wetter, das in die Knochen zieht. Doch vielleicht steckt selbst in dieser Zeit eine Chance. Ich möchte den Winter nutzen, um ein altes Hobby wieder aufzunehmen: Seit Jahren habe ich kein Buch mehr gelesen. Bei einem Ausflug in die lebendige Welt eines Romans vergeht die Zeit bestimmt wie von selbst. Und wer weiß – vielleicht zeigt sich der Sommer bis dahin noch ein letztes Mal.
OTon
Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen.
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