Weiden in der Oberpfalz
03.08.2018 - 14:06 Uhr

Unterschlagen wird nichts

Wir berichten nicht über eine Vergewaltigung, zu der es in Memmingerberg im Unterallgäu gekommen sein soll. Warum, will ein Leser wissen. Die Antwort.

Einige Seiten aus dem sogenannten Mantelteil unserer Zeitung. Er beinhaltet im vorderen Buch Politik, Thema oder Themen des Tages, Landespolitik, Bayern/Oberpfalz und Weltgeschehen, im zweiten Buch folgt Sport, im dritten Wirtschaft, am Ende Kultur und Magazin. Gabi Schönberger
Einige Seiten aus dem sogenannten Mantelteil unserer Zeitung. Er beinhaltet im vorderen Buch Politik, Thema oder Themen des Tages, Landespolitik, Bayern/Oberpfalz und Weltgeschehen, im zweiten Buch folgt Sport, im dritten Wirtschaft, am Ende Kultur und Magazin.

Mail an den Leseranwalt: "Sehr geehrter Herr Kandziora, dass das Eiffelturmrestaurant neue Köche hat, ist wohl für weniger als 1 Promille der Leser interessant, interessiert aber ansonsten ,keine Sau'. Dass der Waldrapp Nachhilfe in Sachen Flugkünsten bekommt, ist auch nett zu lesen, hat aber keinen umfassenden Informationswert. Neil Diamond singt für Feuerwehrleute, tolle Sache, aber das ist BoulevardJournalismus."

Nach diesen einleitenden Sätzen kommt der Leser aus Waldsassen zu seinem eigentlichen Anliegen: "Dass in Memmingen eine 21-Jährige von einem Asylbewerber vergewaltigt wurde, hat sogar der BR in seinen Schlagzeilen gebracht." Der Verfasser der E-Mail nennt anschließend den entsprechenden Link und schreibt weiter: "Ich wage die Prognose, dass diese Meldung wohl viel mehr oberpfälzische Leser interessiert hätte, als dass 34 Heimbewohnerinnen in Neu Delhi missbraucht wurden. Dies ist auch eine schlimme Sache, aber Memmingen ist laut Google Maps mehrere tausend Kilometer näher." Am Ende der Mail steht die Frage: "Aus welchem Grund wurde der Vorfall in Memmingen nicht in unserer Gegend veröffentlicht?"

Über 1000 Meldungen

"Wissen Sie", so erläuterte ich dem Leser, "eine Zeitung lässt sich ganz gut mit einem Supermarkt vergleichen. Der hat verschiedene Abteilungen. Eine Zeitung auch. Das sind im Mantelteil: Politik auf Seite 1 und 2, Themen des Tages auf Seite 3, nochmals Politik auf Seite 4, auf Seite 5 nach Möglichkeit Landespolitik, danach ein oder auch mal zwei Seiten Bayern/Oberpfalz, am Ende in der Regel eine Seite Weltgeschehen.

Nun, in diesen Zeitungs-Abteilungen sind Meldungen in den ,Regalen', für die sich der eine Leser mehr interessiert, der andere weniger. Manchmal vermisst er auch eine bestimmte ,Ware'. Bei über 1000 eingehenden Meldungs-Lieferungen täglich allein in der Zentralredaktion auch kein Wunder. Es passt eben nicht alles in die ,Regale'. In diesen hat aber Neil Diamond oder der Waldrapp oder das Eiffelturmrestaurant ebenfalls seine Berechtigung. Es gibt genügend Leser, die solche Produkte mögen und ,konsumieren'. Ein bisschen Boulevard darf in einer Regionalzeitung heutzutage auch sein.

Auch das Bayern/Oberpfalz-,Regal' verfügt nur über beschränkten Platz. Auf diese Seite wird es deshalb nicht jede Meldung über eine Vergewaltigung irgendwo im Freistaat ,schaffen'. Wenn Sie diese Nachricht dem BR entnommen haben, dann passt es ja, oder? Dann wissen Sie ja Bescheid.

Ich stelle mir allerdings die Frage, ob Sie die Vergewaltigung ebenso interessiert hätte, wenn der mutmaßliche Täter kein Asylbewerber gewesen wäre. Das nur noch so am Rande."

Ein paar Anmerkungen zum Schluss, die ich dem Leser nicht schrieb, die aber vielleicht ganz hilfreich sein könnten, wenn man die Arbeit in einer Zentralredaktion verstehen will: Unsere Philosophie ist, den Schwerpunkt unserer Berichterstattung auf das Lokale und Regionale zu richten. Dennoch legen wir Wert auf einen von uns selbst produzierten überregionalen Teil. Wir übernehmen diesen nicht von einer anderen Zeitung, was inzwischen viele andere Häuser tun, wir gehören auch nicht zu den Zeitungen, die mit anderen Verlagen gemeinsame Mantelredaktionen betreiben.

Platz ist begrenzt

Die Kollegen der Zentralredaktion sind sich täglich dessen bewusst, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, alles in der Zeitung unterzubringen, was ihnen wichtig erscheint. Zwangsläufig werden manche Themen nur kurz angerissen, andere kommen ausführlicher, viele gar nicht. Dies immer vor dem Hintergrund, dass der Umfang unserer Zeitung nicht beliebig erweiterbar ist. Die Entscheidung, eine Meldung zu bringen oder nicht, ist naturgemäß subjektiv. Oft gehen dem intensive Diskussionen innerhalb der Redaktion voraus.

Natürlich bleibt es jedem Leser unbenommen, seine eigene Wertung vorzunehmen. Auch dann, wenn es um Meldungen geht, die er in unserer Zeitung nicht vorgefunden hat und gerne hätte lesen wollen.

Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang festhalten: Wenn etwas nicht erscheint, hat das mit Nachrichten-Unterschlagung rein gar nichts zu tun. Redakteure müssen nach journalistischen Gesichtspunkten eine Auswahl treffen, bei der immer Nachrichten auf der Strecke bleiben, die andere für wichtig erachten. Bei einer "Tagesschau" oder einem "Heute-Journal" ist das im Prinzip ja auch nicht anders.

 
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