Die Uraufführung des Musicals von Kevin Schroeder und Marian Lux zur Eröffnung der Abendspielzeit bei den Luisenburg-Festspielen am Freitag wurde zu einer Sternstunde des modernen deutschsprachigen Musicals. „Doch die Wahrheit ist, ich bin das Monster“, tönt es gleich zu Beginn aus dem Mund von Viktor Frankenstein, der auf dem obersten Felsen der Naturbühne steht. Gut zwei Stunden lang werden die Zuschauer mitgenommen ins Leben und Wirken Frankensteins, der gemeinsam mit seinem Freund Henry Clerval zum Studium in Ingolstadt angekommen ist. Die Macher des Musicals – Autor Schroeder, Komponist Lux, Regisseur Christoph Drewitz, Choreograph Bart de Clercq sowie Kostüm- und Bühnenbildner Adam Nee – haben in ihrer gemeinsamen Arbeit vor Ort eine Inszenierung „geboren“, die sich vor keiner Stage-Entertainment-Produktion der großen Häuser der Republik verstecken muss.
Mehrere Faktoren greifen ineinander, die das Geschehen auf der Bühne zum Erlebnis für die Besucher werden lassen: da ist die epochale Bühne, die von den Verantwortlichen in ihrer ganzen Breite und Höhe bespielt wird. Dies lässt auch zu, dass Handlungen parallel erzählt werden können, ohne dass es zu dramaturgischen Verwirrungen kommt. „Frankenstein“ hat freilich auch mit Horror und Schauer zu tun, das wird nicht ausgespart. Realisiert wird dies aber auf eine Art und Weise, die zutiefst beeindruckt: So gibt es nicht „die eine“ Kreatur, die Victor geschaffen hat, vielmehr rückt das Ensemble jenseits der fünf Hauptdarsteller in den Mittelpunkt. Diese werden im Libretto „Die Anderen“ genannt und sie erfüllen bei der Premiere auch genau das, was Autor Schroeder ihnen zuschreibt – nämlich das zu verkörpern, was hinter der Grenze des scheinbar Unmöglichen liegt. Und das mit Tänzen, Bewegungen und Chören, die auf subtile Art und Weise bei manchen Besuchern zweifellos eine Beklemmung und sanften Horror auslösen. Die Kostüme tun hier das Übrige dazu.
Philosophische Fragen und KI
Was kann und darf Wissenschaft? Wie weit darf der Mensch gehen? Vergisst der Mensch unter Umständen, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu bedenken? Es sind durchaus philosophisch-moralische Fragen, die das Musical aufwirft – inklusive des aktuellen Themas, was die Künstliche Intelligenz für den Menschen bereithält. Und doch geht es in dem Stück darüber hinaus auch um Freundschaft, um Liebe, um das Leben und den Tod in all ihren Schattierungen.
Von Wahn bis Euphorie
Getragen wird die Inszenierung zuallererst von der Titelfigur: Luisenburg-Neuling Jonas Hein verkörpert einen Victor Frankenstein, der alle Gefühlswelten durchläuft. Hein stemmt alle Schattierungen von Wahn bis Euphorie, von schüchtern bis überheblich, von emotional bis abgeklärt mit Bravour - gesanglich und schauspielerisch. Dasselbe gilt auch für Timo Stacey in der Rolle des Henry Clerval sowie Torsten Ankert als Professor Weishaupt. Nicht weniger überzeugend sind die beiden weiblichen Protagonisten, die von Mareike Heyen (als Elisabeth Lavenza) und Faye Bollheimer (als Mara) verkörpert werden. Gerade in den fulminanten Duetten in unterschiedlichen Konstellationen wird die Qualität des Ensembles eindrucksvoll deutlich. Da stören auch zwei Stunden Dauerregen nicht.
Musikalisch bietet Komponist Lux den Zuhörern eine enorme Bandbreite: Da sind die klassischen Chöre, gepaart mit Musical-Balladen, aber auch rockige Nummern bis hin zu satten elektronischen Beats, in denen sich die Handlung auf der Bühne widerspiegelt. Bravourös umgesetzt wird dies von der Live-Band unter der Leitung von Markus Syperek. Die Geschichte Frankensteins kennt kein „Happy End“ – auch im Musical nicht. Mit einer berührenden Schlussszene samt Epilog, die beide zum Besten in der jüngeren Luisenburg-Geschichte gehören, werden die begeisterten Zuschauer in die Nacht entlassen. Und man muss kein Prophet sein: Diesem Musical steht eine große Zukunft bevor.
Luisenburg-Festspiele
- Bis 12. August noch neun weitere Aufführungen von „Frankenstein“
- Nächste Vorstellung: Freitag, 23. Juni, 20.30 Uhr
- Nächste Festspiel-Premiere: „Brandner Kaspar 2“ am Dienstag, 20. Juni, 20.30 Uhr
- Weitere Informationen unter www.luisenburg-aktuell.de
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