Altenstadt an der Waldnaab
01.10.2019 - 19:20 Uhr

Grenzöffnung vor 30 Jahren: Gerda und Werner Spiesmacher finden Freunde fürs Leben

"Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich an die Bilder denke", sagt Gerda Spiesmacher. "Wir saßen die halbe Nacht vor dem Fernseher." Als vor 30 Jahren die Mauer fällt, beginnt auch für sie und ihren Ehemann Werner eine spannende Zeit.

Gerda und Werner Spiesmacher aus Altenstadt/WN blättern gerne in ihrem alten Fotoalbum. Die Zeit, in der die Mauer fiel, wird ihnen immer in guter Erinnerung bleiben. Bild: Lowak
Gerda und Werner Spiesmacher aus Altenstadt/WN blättern gerne in ihrem alten Fotoalbum. Die Zeit, in der die Mauer fiel, wird ihnen immer in guter Erinnerung bleiben.

Die Bilder von den ersten DDR-Flüchtlingen, die in Hof aus dem Zug steigen, berühren Gerda und Werner Spiesmacher sehr. Ihnen ist sofort klar: "Da müssen wir helfen." Als auch in Weiden Flüchtlinge im Camp Pitman eintreffen und in der Presse die Bevölkerung gebeten wird, die Ankömmlinge mit Kleiderspenden zu unterstützen, sieht sich das Ehepaar in seinem Entschluss bestärkt. "Wir haben einen Karton mit Kleidung gepackt und sind nach Weiden gefahren", erzählt Werner Spiesmacher. Doch damit nicht genug. Die Familie, zu der auch ein Sohn und eine Tochter gehören, damals 20 und 21 Jahre alt, hält Kriegsrat und beschließt, Flüchtlinge bei sich in Altenstadt aufzunehmen. Die Spiesmachers richten das Gästezimmer her und hängen einen Zettel mit der Adresse in der Kaserne auf.

"Doch zunächst hat sich niemand gemeldet", erinnert sich Werner Spiesmacher. "Wir sind dann nochmal nach Weiden gefahren, um nachzufragen." Vor der Pinnwand, an der ihr Zettel hängen sollte, lernen sie Oberst Erhardt Rackow kennen. Der verspricht den Spiesmachers, sich zu kümmern. Schon am Abend kommt ein Anruf aus der Kaserne: "Wir haben jemanden für das Zimmer." Bereits am nächsten Tag bringt Rackow Helmut Hofmann und seine über 80-jährige Mutter Lina nach Altenstadt. Hofmann hatte seine Mutter in der DDR in ein Flugzeug nach Budapest gesetzt. Von dort waren sie mit dem Bus direkt an die Grenze nach Österreich gefahren.

"Die Flüchtlinge sind aus verschiedenen Richtungen gekommen", erinnert sich Oberst Rackow. "Das war eine irre Zeit." Der sonst leere Parkplatz des Camp Pitman ist zum Parkplatz für Trabis geworden, gewohnt haben die Leute in Blocks in der Ostmarkkaserne. Täglich sind etwa 800 Menschen eingetroffen, manche sind gleich weitergezogen, andere geblieben. Das sei von Oktober bis Dezember so gegangen. „Dann ist es ruhiger geworden.“

"1400 Portionen Essen hat unser Küchenteam damals täglich zubereitet", erzählt Rackow. "Auch bei uns zu Hause am Rehbühl (ein Stadtteil Weidens, Anmerkung der Redaktion) hatten wir jeden Abend die Bude voll. Ich war selber einmal Flüchtling, es war unsere Aufgabe, den Menschen zu helfen", sagt er heute. Die Euphorie sei groß gewesen, alle hätten an einem Strang gezogen. "Wir waren uns alle einig: Das waren historische Tage", zieht der ehemalige Oberst nach so vielen Jahren Bilanz.

Helmut Hofmann und "Oma Lina" leben sich in Altenstadt schnell ein. Hofmann findet als Maurermeister eine Arbeit bei der Firma Reim-Kraus GmbH. Zunächst fährt er mit dem Rad, dann mit einem alten Opel nach Schirmitz. Aus der Zweckgemeinschaft wird eine Freundschaft. Zu diesem Kreis gehören auch Oberst Rackow und seine Frau Hella.

Bis kurz vor Weihnachten bleiben Mutter und Sohn im Gästezimmer in Altenstadt, dann ziehen sie zu Gerhard Steiner nach Neustadt um, wo es mehr Platz für die beiden gibt. Dann holt Helmut seine Frau Bärbel, die im Osten geblieben war, in die Oberpfalz, und die Familie zieht in ein Häuschen nach Floß. "Der Kontakt ist aber geblieben", erzählen Gerda und Werner Spiesmacher.

Am 1. Mai fährt der Freundeskreis sogar zu Bärbels Eltern nach Johanngeorgenstadt ins Erzgebirge. "Wir hatten damals ein Fass Bier dabei", schmunzelt der 77-Jährige heute. Nachdem sich Helmut von seiner Frau trennt, geht er zurück nach Leipzig. "Von ihm haben wir nie wieder etwas gehört", bedauern die Spiesmachers. Auch Nachforschungen bleiben ergebnislos. Hella und Erhardt Rackow wohnen heute in Senden, Bärbel Hofmann ist mit ihrer Tochter nach Freiburg gezogen. "Und dieser Kontakt besteht heute noch", freut sich das Ehepaar aus Altenstadt.

 
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