Fehler passieren, das akzeptiert auch Karl Bauer, der Vorsitzende des VdK in Schmidmühlen. "Man kann Fehlern auf den Grund gehen und sie dann korrigieren. Dann ist das kein Problem." Ein Problem ist für ihn aber, wenn ähnliche Fehler häufiger passieren und sich die Aufarbeitung schwierig gestaltet. Vor so einer Herausforderung steht Bauer als Chef des VdK-Ortsverbands. Denn in Schmidmühlen beschweren sich mehrere Mitglieder der Organisation über die Art und Weise, wie ihre Pflegestufe zustande gekommen ist. Mehr noch: Die Senioren und auch Bauer machen das an einer Person fest, die für den Medizinischen Dienst (MD) Bayern arbeitet. So hat es Bauer auch auf der Jahreshauptversammlung des Ortsverbands berichtet.
Der VdK (die Abkürzung leitet sich von der früher verwendeten Bezeichnung Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner ab) gilt als der größte Sozialverband Deutschlands. Insbesondere Rentner schließen sich ihm an, um die Wahrnehmung ihrer Interessen zu stärken. "Wir erfahren schon seit Jahren großen Zulauf", berichtet Bauer. Bei seiner Arbeit geht es nicht nur um Rat bei allen Rentenfragen, sondern auch um Anliegen, die mit Pflegebedürftigkeit einhergehen.
Von Beginn an aggressiv
In Schmidmühlen geht diese Interessensvertretung so weit, dass der VdK-Vorsitzende manchmal dabei ist, wenn der Medizinische Dienst ins Haus kommt, um die Pflegebedürftigkeit eines der VdK-Mitglieder zu beurteilen. Karl Bauer präzisiert nun die Kritik an den in der Jahreshauptversammlung angesprochenen Vorgängen. Beispielhaft nennt er den Fall eines Seniors aus Schmidmühlen, bei dem die Erstbegutachtung wegen Corona telefonisch stattfand. "Die Art und Weise der Befragung war vom ersten Satz an aggressiv", erklärt Bauer. "Es war schnell klar, dass da kein Pflegegrad erreicht werden wird." Der MD habe es nicht für nötig befunden, Arztbriefe und Entlassungsberichte der Krankenhäuser anzufordern. Stattdessen habe der aus Amberg entsandte Mitarbeiter den Antragsteller aufgefordert, den Entlassungsbericht des Uni-Klinikums Regensburg vorzulesen. Bauer: "Der Bericht ist zehn Seiten lang und mit Fachausdrücken bestückt."
Das Ergebnis der Beurteilung: Null Punkte. Daraufhin legte die Tochter des Betroffenen bei der Pflegekasse, in diesem Fall der AOK, Widerspruch ein. Vergebens. Was folgte, war eine Klage vor dem Sozialgericht in Regensburg. Dieses bestimmte einen bislang nicht mit dem Fall betrauten Arzt mit einer erneuten Beurteilung. "Nach ein paar Wochen wurde der Mann in Pflegegrad zwei eingegliedert", sagt Bauer. Die Pflegekasse muss in so einem Fall das entgangene Pflegegeld nachzahlen. Laut Bauer kennt er noch zwei andere Geschichten, die für Aufregung gesorgt haben, in denen der selbe MD-Mitarbeiter eine Rolle spielt.
Hat sich der Bedarf geändert?
Die AOK Bayern verteidigt ihre Entscheidung in dem geschilderten Fall. "Nach Eingang des Widerspruchs hat der MD im Dezember 2021 erneut ein Gutachten nach Aktenlage erstellt. Eine Zweitbegutachtung darf beim MD Bayern nicht durch den selben Gutachter erfolgen. Der Zweitgutachter stellte ebenfalls keine Pflegebedürftigkeit zum Zeitpunkt des Antrags (Oktober 2021) fest", erklärt AOK-Pressereferent Andreas Schneider. "Entsprechend der Expertise des MD haben wir den Antrag abgelehnt. Den dagegen eingereichten Widerspruch hat der Widerspruchsausschuss, ein unabhängiges und neutrales Gremium der Selbstverwaltung, das paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt ist, am 19. Januar 2022 abgelehnt." Jetzt kommt der Faktor Zeit ins Spiel: Die Begutachtung durch die vom Gericht beauftragte Sachverständige erfolgte etwa ein halbes Jahr später, im Sommer 2022. "Im Laufe der Zeit kann sich die Pflegebedürftigkeit ändern, wie im beschriebenen Fall im Laufe einiger Monate", sagt Schneider dazu. Und er verweist darauf, dass bei geändertem Pflegebedarf jederzeit ein neuer Antrag gestellt werden kann.
Was tun, wenn man mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht einverstanden ist? Dafür gibt es laut MD Bayern das Servicetelefon Pflege (Tel. 089/159060-5555). "Hier geht man das Gutachten mit Ihnen gemeinsam durch und berät Sie gerne", heißt es in einem Infoblatt des MD. Wer direkt Widerspruch bei der Pflegekasse einlegen möchte, hat dazu bis zu einem Monat nach Erhalt des Bescheids Zeit. Die Pflegekasse entscheidet dann, ob ein weiteres Gutachten erstellt wird und beauftragt gegebenenfalls den Medizinischen Dienst mit einer erneuten Begutachtung. Dieses so genannte Widerspruchsgutachten erstellt dann grundsätzlich ein anderer Gutachtender.
Karl Bauer ist lange genug mit dem Thema häusliche Pflege befasst, um zu wissen, dass das System der Pflegegrade die einzige Möglichkeit für eine gerechte Verteilung der Mittel ist. Allerdings sieht er in erster Linie die pflegebedürftigen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten - denen dabei zwangsläufig der Apparat an Gutachten und Zahlen gegenübersteht. "Ich würde mir mehr Empathie wünschen, besonders von den Gutachtern, die in direktem Kontakt zu den Betroffenen stehen." Damit könnte seiner Meinung nach nicht nur Ärger vermieden werden, sondern auch Leid. Eine Frau aus Schmidmühlen, die die Höherstufung in Pflegegrad 2 beantragt hatte, der nach der Begutachtung aber sogar der Pflegegrad 1 entzogen wurde, erlitt laut Bauer vor lauter Aufregung einen Herzinfarkt. Beim Krankenhausaufenthalt wurde dann doch der Grad 2 festgestellt, danach im Pflegeheim sogar Grad 3.
Pflegegrade
Früher gab es Pflegestufen, jetzt Pflegegrade. Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz wurde das System der drei Pflegestufen ab 2017 durch ein System aus fünf Pflegegraden ersetzt. Durch ein neues Begutachtungsinstrument sollen dabei alle relevanten Aspekte der Pflegebedürftigkeit erfasst werden, unabhängig davon, ob diese auf körperlichen, psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen beruhen. Entscheidend für die Einstufung in die Pflegegrade ist der Grad der Selbständigkeit der pflegebedürftigen Menschen. Die Pflegegrade sind:
- Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit
- Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit
- Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit
- Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit
- Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.
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