Amberg
04.11.2018 - 13:54 Uhr

Alternative Fakten beginnen immer im Dorf

Andrea Limmer bricht ihr Schweigen vor der großen angekündigten Stille. Was sie zu sagen hat, überrascht von Beginn bis zum Ende. Denn am Anfang steht der Gedanke.

Scharfsinning und Schlagfertig: Andrea Limmer bietet bayerisches Kabarett der extremen Mitte. Werte stehen wieder hoch im Kurs. Bild: Dagmar Williamson
Scharfsinning und Schlagfertig: Andrea Limmer bietet bayerisches Kabarett der extremen Mitte. Werte stehen wieder hoch im Kurs.

Die Kunst des betreuten Freuens hat sie gemeistert. "I gfrei me g'scheid", kündigt Andrea Limmer an, die von der großen Bühne fast verschluckt wird. Ob sich das Publikum "denn a so g'freia dadad", jubelt sie - mehr auffordernd als fragend - in die Runde. Ein quirliges, freches Wesen. 158 Zentimeter gebündelt in einen etwa 47 Kilogramm schweren Krümel. Mit ausgezeichnetem Wurzel-Chakra aus Niederbayern.

Freilich ist das ein urbayerisches Kabarett. Freilich gleicht die Ukulele und das erzwungene ulkige Auftreten allen anderen Spaßmachern, deren Pointen schon einhundert Mal zu hören waren. Aber Andrea Limmer überrascht. Durchweg. Der aalglatte rote Faden ihres gebrochenen Schweigens ist clever konzeptioniert. "Schließlich weiß man nie, wann man das so eben Erlernte wieder einmal braucht", erinnert sie des öfteren an diesem Abend im Amberger Kulturwerk.

Wer hätte gedacht, dass sie ernste Themen anspricht, sich gar mit Politik auseinandersetzt - und jede Partei wird gleichberechtigt behandelt. Limmer fordert, zwar nicht schweigend, ihr Publikum heraus, wachsam und achtsam zu bleiben. Dabei ist die 33-Jährige erfrischend kreativ, Negatives verbal auszudrücken und es positiv klingen zu lassen. Sie scheut weder davor, gequälte, dem Schlachthof vorgeführte, schreiende Säue zu imitieren, noch zu erklären, warum dieses Vorgehen gesellschaftlich akzeptabel ist.

Ist Limmer doch dem Verzehr von Tieren abgeneigt, wirkt aber nicht bekehrend. Wirtshausgeschichten über die von der CSU geprägte Dorfgemeinschaft, wo das Bier tatsächlich als Grundnahrungsmittel konsumiert wird, sind Teil ihres Repertoires. "Alternative Fakten beginnen im Dorf." Schlagfertig und scharfsinnig, aber immer, mei, einfach liab. Ein Herzi sozusagen. Sogar die Zusammensetzung von Nomen, die dem Zweck der Beleidigung dienen, klingen aus Limmers Munde wie eine Huldigung.

Obwohl die Landshuterin seit Januar mit "Das Schweigen der Limmer" auf Tournee geht, ist sie topaktuell. Bei unerwarteten Seitenhieben in Richtung Spahn, Merz und Merkel sitzt das Publikum auf der langen Leitung. "Gut, dann verbleiben wir bei den flachen Zipfelwitzen", nickt Limmer und lauscht der Freude aus den männlichen Reihen. Damit könne man den intellektuellen Humor auf einer Skala eingrenzen und sich anpassen. Gelächter aus der weiblichen Runde.

Die ausgebildete Journalistin hat ihren Weg gewählt. Ihr Talent zu schreiben und ihre Meinung ausdrücken zu dürfen, macht sie sich mit ihrem Solo-Programm zunutze. Spiegelt sie doch die gesellschaftliche extreme Mitte wider. Anarchistin im Herzen und besonders im Wurzel-Chakra, wie sie im Gespräch mit der AZ betont, ist sie dennoch eine gesetzestreue Bürgerin. Sie würde ihre im Wald gefundenen fünf Kilogramm "Stoapelzl" gerecht teilen. Weder konservativ noch extrem links orientiert, spricht Andrea Limmer ihrer Generation aus der Seele.

Ihre Blickweise, und zwar von allen Seiten betrachtet, stimmt versöhnlich und hinterlässt ein empathisches Publikum. Gut, der eine oder andere Schenkelklopfer hat auch bei Andrea Limmer eine Daseinsberechtigung. Diese werden aber geschickt nach einem beklemmenden Thema eingesetzt. Zur Auflockerung für alle, auf niedrigerem Niveau. Sogar Limmers musikalischen Einsätze sind eine ruhige, intelligente und poetische Zusammenfassung dessen, worüber sie gerade noch extrem gestikulierend sprach. "Nur beim Unrecht wird schweigend zug'schaut", singt sie aus ihrer ausgeglichenen Mitte und hinterlässt ein bereichertes Publikum.

 
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