„Wir wollen eine Gegenöffentlichkeit herstellen“, sagt Michael Sandner zu den Beweggründen für die „Amberger Erklärung“, die die Sektion Amberg des Oberpfälzer Bündnisses für Toleranz und Menschenrechte am Sonntagnachmittag per Presseinformation publik gemacht hat. Sandner ist der Sprecher des Bündnisses für den Bereich Amberg und erklärte auf AZ-Nachfrage die Ziele und das Vorgehen bei der Unterschriftensammlung per Internet.
Endgültiger Auslöser für die Aktion war laut Sandner ein „illegaler Aufmarsch“ der Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen sowie der Corona-Schutzimpfung am 31. Dezember in Amberg. Der sei als „Spaziergang“ getarnt gewesen.
Als "Spaziergang" beworben
Nähere Informationen zu dieser Veranstaltung kann auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien Marcus Helfensdörfer liefern, der Pressesprecher der Polizeiinspektion Amberg. Danach bewegte sich am 31. Dezember tatsächlich ein Zug von Personen aus der beschriebenen Denkrichtung durch die Innenstadt. Zunächst seien es etwa 80 Leute gewesen, die am Englischen Garten aufbrachen. Über die Stationen Bahnhof, Marktplatz und Malteser habe sich die Zahl der Teilnehmer auf ungefähr 170 gesteigert. Das Ganze sei als „Spaziergang“ beworben worden, sei also keine Demonstration gewesen, für die eine Anmeldung erforderlich sei. In diesem Sinne sei es keine illegale Veranstaltung gewesen. Es habe weder Ansprachen noch Transparente gegeben, „die Teilnehmer – sie waren überwiegend aus dem bürgerlichen Spektrum – hatten nur ein paar Kerzen dabei“. Die Polizei hat den Zug laut Helfensdörfer beaufsichtigt und auch darauf geachtet, dass sich die Teilnehmer anschließend ohne Zwischenfälle wieder zerstreuten.
Solche „Spaziergänge“ und die Demonstrationen auf dem Amberger Marktplatz an den vergangenen Montagen sieht das Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte als Aufmärsche, mit denen Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker öffentliche Präsenz und Deutungshoheit zeigen wollen. Seine Schlussfolgerung: „Als Mehrheit der Gesellschaft dürfen wir hier nicht tatenlos zusehen und schweigen. Wir müssen klarmachen, dass der weitaus größte Teil der Amberger:innen mit Vernunft und Verstand auf die Herausforderungen dieser Zeit reagiert, und für die Verantwortung übernehmen, die besonders unter der Pandemie und ihren Folgen leiden.“
Vorbild aus Schweinfurt
Um dieser schweigenden Mehrheit der Gesellschaft eine gemeinsame Stimme zu geben, habe das Bündnis die „Amberger Erklärung“ verfasst. Sie orientiere sich inhaltlich an der bereits sehr erfolgreichen „Schweinfurter Erklärung“ und adaptiere diese für Amberg. In der unterfränkischen Stadt haben sich Kritiker der dortigen regelmäßigen Corona-Proteste in einer Erklärung gegen die "unerträglichen sonntäglichen Aufmärsche in Schweinfurt“ ausgesprochen und dafür eine Online-Unterschriftensammlung auf der Kampagnenseite „change.org“ gestartet.
Die Amberger Bündnis-Vertreter gehen ebenfalls so vor. Sie laden dazu ein, die „Amberger Erklärung“ per Eintragung auf dieser „renommierten Plattform, die sicher arbeitet“, wie Michael Sandner sagt, zu unterstützen. Eine analoge Unterschriftensammlung wird es nicht geben, da man die Corona-Schutzmaßnahmen eben nicht durch unnötige Kontakte, wenn man von Haus zu Haus zieht, untergraben wolle.
Zur „Amberger Erklärung“ betonen die Initiatoren: „Sie ist vollkommen überparteilich und unabhängig. Es geht nicht um politische Interessen, sondern um gesellschaftliche. Wir sind der festen Überzeugung, dass die überwältigende Mehrheit der Amberger die Aufmärsche der Querdenker und Impfgegner nicht gutheißt. Wir sind davon überzeugt, dass die überwältigende Mehrheit der Amberger Vergleiche mit den Verbrechen der Nationalsozialisten und damit eine Verharmlosung des Holocaust nicht dulden will.“
Protest an "Stolpersteinen"
Das spielt auf einen Vorfall im Umfeld einer Demonstration gegen die Impfpflicht auf dem Amberger Marktplatz am 20. Dezember an. Dabei wurden an zwei „Stolpersteinen“, die an ein jüdisches Ehepaar aus Amberg erinnern, das im „Dritten Reich“ ermordet wurde, Grablichter abgestellt und ein Blatt Papier platziert. Dessen Aufschrift („Es beginnt immer mit Ausgrenzung …“) legte einen Vergleich zwischen den Corona-Schutzmaßnahmen der bundesdeutschen Demokratie und der Judenverfolgung des nationalsozialistischen Staates nahe.
Weiter heißt es in der von Michael Sandner verschickten Pressemitteilung zur Amberger Erklärung: „Dem Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte als Initiator liegt viel daran, denen Gehör zu verschaffen, die alleine aus Gründen des Infektionsschutzes nicht an Gegen-Demos teilnehmen würden. Das darf aber nicht dazu führen, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Impfgegner, Coronaleugner, Maßnahmengegner und Verschwörungstheoretiker würden im Namen der Mehrheit der Amberger sprechen. Wir dürfen ihnen nicht die Deutungshoheit überlassen. Illegale Aufmärsche wie am Silvestertag, die sich als Spaziergänge tarnen, verurteilen wir zutiefst.“
Laut Sandner wurde die Amberger Erklärung bereits am zweiten Tag, an dem sie auf der Plattform change.org zugänglich war, über 300-mal unterzeichnet. „Das ist insofern besonders bemerkenswert, da die Unterzeichner mit ihrem echten Namen öffentlich Gesicht und Haltung zeigen. Sie verstecken sich nicht hinter Pseudonymen und suchen auch nicht den Schutz anonymer Telegram-Gruppen, sondern treten offen für ihr Anliegen ein.“
- Die Amberger Erklärung im Wortlaut:
„Wir Amberger:innen verhalten uns in der Corona-Pandemie umsichtig und solidarisch. Von Beginn an haben unsere Gastronomen und Einzelhändler alle nötigen Maßnahmen und Beschränkungen umgesetzt, auch wenn es für die Betroffenen oft mit teils erheblichen Umsatzeinbußen verbunden war und ist. Auch Kultureinrichtungen, Vereine und Gruppen haben ihr Angebot zu großen Teilen eingeschränkt oder gar komplett eingestellt. Sie alle tun das, um ihrer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe im Kampf gegen die Corona-Pandemie nachzukommen und Verantwortung zu übernehmen.
Auch wir als Amberger Bürger:innen haben unseren Teil zu diesen Maßnahmen beigetragen und tun das auch bis heute. Wir stehen zu unseren Händlern, Gastronomen und den Wirtschaftsbetrieben, die in dieser Krise alles gegeben haben. Das verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung.
Ebenso sprechen wir allen Mitarbeiter:innen in Klinik- und Pflegeeinrichtungen unseren Dank aus. Wir wissen, wie wichtig ihre Arbeit ist, und haben tiefen Respekt, dass sie diese Arbeit auch unter den Extrembedingungen in Pandemiezeiten aufopferungsvoll verrichten.
Wir wissen, dass wir mit der Annahme von Impfangeboten gegen das Sars-Cov-2-Virus Teil einer einmaligen Solidaritätsaktion sind, und tragen gerne dazu bei. Wir sehen uns als informierte und aufgeklärte Mitglieder der überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft. Mit der Unterzeichnung dieser Erklärung rufen wir alle Amberger:innen, die das Impfangebot als wichtigsten Baustein im Kampf gegen das Virus bisher noch nicht angenommen haben, dazu auf, das nun zu tun.
Was wir nicht hinnehmen, sind gezielte Fehlinformationen und Versuche einer kleinen Minderheit, die Leistung von uns allen kleinzureden oder sich gar darüber lustig zu machen. Wir achten und verteidigen das Grundrecht auf Versammlung im Sinne unserer demokratischen Staatsordnung, treten jedoch entschieden gegen Versammlungen ohne rechtliche Grundlage ein.
Ebenso verurteilen wir jede Art von Vergleichen der aktuellen Maßnahmen mit Taten aus diktatorischen Regimen und aus den dunkelsten Tagen unserer Geschichte. Außerdem verurteilen wir jede Straftat, die unter dem Deckmantel des Protestes begangen wird, insbesondere gegen Polizei- und Rettungskräfte.
Wir sind der festen Überzeugung, dass die Akteure des angeblichen Protestes und selbsternannte Widerstandskämpfer die Spaltung der Gesellschaft als solches, von Familien, Freundschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen bewusst befeuern, um Unruhe zu stiften und so unsere Demokratie schwächen wollen.
Wir rufen daher alle Mitbürger:innen dazu auf, nicht an Demonstrationen und „Spaziergängen“ teilzunehmen, die sich gegen Maßnahmen richten, die eine schlimmere Ausbreitung des Corona-Virus verhindern sollen.
Als Amberger:innen stehen wir auch jetzt zusammen und treten für unsere gemeinsamen Werte ein, ohne andere in Gefahr zu bringen. Wir sehen diese Erklärung als Sprachrohr und erheben unsere Stimme gegen Coronaleugner und verschwörungstheoretische Strömungen in der Gesellschaft.“
Die "Amberger Erklärung" mit Erläuterungen
Die "Amberger Erklärung" auf change.org
Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte
- Ein überparteiliches Netzwerk von Organisationen, Initiativen, Vereinen, Gewerkschaften und Einzelpersonen, das sich im Herbst 2016 (zuerst im Raum Amberg-Sulzbach und in Schwandorf) gegründet hat.
- Ziel:
Eintreten für eine offene Gesellschaft, die Vielfalt als Stärke betrachtet und die freie Entfaltung eines jeden Einzelnen ermöglicht. - Motto:
„Gerade in Zeiten zunehmender Demokratiemüdigkeit und rechtspopulistischen sowie rechtsextremen Tendenzen in nahezu allen westlichen Gesellschaften wollen wir eine Kultur des Miteinanders pflegen und gemeinsam für Würde und Menschlichkeit einstehen.“ - Homepage:
http://oberpfalz-tolerant.de/
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