Warnstreik in Zeiten von Corona: Thomas Hermann sitzt vor seinem Laptop, er trägt eine Warnweste und ein Headset. Hinter ihm an der Wand hängt ein Foto von einem seiner vielen Gardasee-Urlaube. Zum Frühstück gibt es zwei Weißwürste, eine Breze, einen Kaffee und ein paar Zigaretten. Auf seiner Tasse steht: "Verdi ... nicht nur wenn's heiß her geht!" Tatsächlich geht's ziemlich gemütlich zu an diesem Streiktag.
Vor zwei Jahren war es noch ein ganz anderes Bild. Damals machten die Mitarbeiter mit ihren Trillerpfeifen ordentlich Lärm, als Tarifverhandlungen anstanden. Mitte Februar 2020 war das und es ahnte noch keiner, dass ein Virus für einschneidende Veränderungen in fast allen Lebenslagen sorgt. "Lautstark für mehr Lohn" stand in einem Zeitungsbericht der Amberger Zeitung. Außerdem war zu lesen, dass 110 AOK-Beschäftigte dem Streik-Aufruf von Verdi folgten. 40 Mitarbeiter versammelten sich vor dem Digitalisierungs-Zentrum in Ebermannsdorf, 70 vor dem AOK-Gebäude an der Raigeringer Straße.
Aktionen, wie sie jahrzehntelang normal waren und wie sie Hermann, der seit über 30 Jahren in der Gewerkschaft ist, gut kennt. Hier eine "aktive Mittagspause" mit Leberkäsesemmeln für alle Streik-Teilnehmer, dort eine Fahrt zur Kundgebung in Regensburg. Die Beschäftigen versuchten sich mit solchen Aktivitäten stets Gehör zu verschaffen und den Blick auf sich zu lenken. Sie wollen zeigen: Schaut her, das Angebot von der Arbeitgeberseite ist nicht akzeptabel.
Vorteile des virtuellen Arbeitskampfes
Wer jetzt einen Warnstreik plant, wie Verdi-Vertrauensmann Hermann, hat neben den Tarifverhandlungen noch ganz andere Sorgen. Es stellen sich Fragen, wie: Was passiert, wenn ich eine Präsenzveranstaltung abhalte und ein Teilnehmer ist mit dem Coronavirus infiziert? Und was, wenn auf einmal zahlreiche AOK-Beschäftigte nach einem Warnstreik auf einmal krank sind?
Diesen Gefahren wollte sich Hermann nicht aussetzen. Deshalb laufen die Warnstreiks gerade alle digital ab. "Es sind ohnehin viele im Home-Office. Und: Man ist weniger sichtbar und somit ist es einfacher für jeden Mitarbeiter, zu streiken. Sie brauchen sich ,draußen' nicht zu outen", sagt der 55-Jährige. Er sieht also durchaus die Vorteile eines rein virtuellen Arbeitskampfes.
Drei dieser Art hat es in den vergangenen Wochen bei der AOK gegeben. Am Dienstag und bereits am 8. Februar einen bundesweiten sowie am Montag einen bayernweiten. Bei den im Internet übertragenen Warnstreiks wird über die aktuelle Lage berichtet und diskutiert. Am Dienstagvormittag war der Stand folgender: Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung der Vergütung (inklusive Sozialzuschläge) um 5,9 Prozent, der Grundvergütung mindestens um 200 Euro. Die Auszubildenden und Studierenden sollen 150 Euro mehr im Monat bekommen. Das alles bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Arbeitgeberseite hingegen bot in der dritten Verhandlungsrunde (mittlerweile läuft die vierte) einmalig 1000 Euro im März 2022 (für Azubis 400 Euro) sowie 1,7 Prozent mehr Lohn ab Dezember 2022 bei einer Laufzeit von 24 Monaten.
Ein Schluck Weißbier
Über diese Fakten wird in einem Youtube-Stream informiert. Der vom 8. Februar hatte beispielsweise über 12 500 Klicks. Zugeschaltet werden bei der moderierten Veranstaltung Gewerkschafter aus ganz Deutschland. Etwa Sönke Rabisch von Verdi Hamburg, der herzhaft in eine Fischsemmel beißt, als er gefilmt wird. So ist schnell ersichtlich, dass der Protagonist aus dem Norden der Bundesrepublik kommt.
Bei Thomas Hermann ist es nicht minder schwer, seine Herkunft zu erraten. Als er sein Statement zur aktuellen Lage abgibt, sitzt er im Amberger Verdi-Büro. Im Hintergrund ist ein Banner der Gewerkschaft und eine Bayern-Fahne aufgehängt. Auf dem Tisch stehen Brezen und ein gut halbvolles Weizenglas. Der 55-Jährige kritisiert das Angebot der Arbeitgeberseite und sagt etwa: "Es muss ein vernünftiges Angebot auf den Tisch gelegt werden. Keine Mogelpackung mit der Corona-Prämie." Eigentlich Klartext. Ein Zuhörer schreibt dennoch in die Kommentarspalte: "Hallo, gibt es Untertitel???" Seien Oberpfälzer Herkunft kann der Ebermannsdorfer sicher nicht verleugnen. Dafür gibt Hermann den Streikenden der Krankenkassen ein Versprechen: "Auf die AOK-Mitarbeiter aus Bayern könnt ihr alle zählen." Anschließend nimmt er sein Glas in die Hand und sagt "Unser Wort drauf. Prost." – um anschließend einen kräftigen Schluck vom Weißbier zu nehmen. So geht Warnstreik in Zeiten von Corona.
Man ist weniger sichtbar und somit ist es einfacher für jeden Mitarbeiter, zu streiken. Sie brauchen sich ,draußen' nicht zu outen
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