Amberg
03.01.2020 - 14:37 Uhr

Zu Besuch in Schlaraffia: Wo Männer zu Rittern werden

Hier geht's lang: Der leuchtende Uhu am Postkasten weist den Weg. An einem kalten Winterabend treffen sich die Ritter des Reychs am Eysenhammer in ihrer Burg im hohen Norden von Amberg. Ein Besuch in einer anderen Welt.

Auch wenn die Herren Ritter zum Turney antreten: Die Schwerter werden nicht gezogen. Bild: upl
Auch wenn die Herren Ritter zum Turney antreten: Die Schwerter werden nicht gezogen.

Die Herren sind gut gelaunt, als sie vor dem Burgtor ihre Jacken und Mäntel an die Haken hängen. Mit den Kleidungsstücken legen sie auch ihr alltägliches Leben ab. Sobald sie in den Saal eintreten sind sie nicht mehr Dieter Dörner, Norbert Probst oder Rainer Sandner, sondern Ritter mit Namen wie Führ-Witz das Sprachrohr, Peppone der Beziehungsreiche oder Cameral der Syntax Helle(ne).

Noch tragen die Männer ihre Hemden und Krawatten, in wenigen Minuten hat sich auch das erledigt. Sobald die "Sippung" - also das Zusammentreten der Sippe - offiziell beginnt, streifen sie sich langen Umhänge über und setzen sich ordenbehangene Kappen auf. Ab sofort wird auch anders gesprochen. Willkommen in Schlaraffia!

"Ritter Les-Sing vom Minneholz liegt ohobedingt im Bresthaus", sagt Philostrat der Powidlide, der an diesem Abend vorne auf dem Thron als Fungierender das Zepter schwingt. Allgemeines Bedauern macht sich breit. Oho heißt auf schlaraffisch so viel wie Unglück und Bresthaus bedeutet Krankenhaus. In dieser Sprache geht es weiter an diesem Abend, an dem sich ein Außenstehender vieles nur aufgrund der Handlungen erschließen kann. Eines ist dabei schnell klar: Wenn die Herren ihre Biergläser heben und dabei "Ehe" rufen, dann denken sie weniger an die daheimgebliebene Ehefrau, sondern ans Trinken. "Ehe" heißt Prost.

Die Frauen - sie sind außen vor bei den meisten Sippungen. Das ist schon seit Gründung des Männerbundes am 10. Oktober 1859 in Prag so. Warum? Vielleicht weil sich vor 160 Jahren noch niemand vorstellen konnte, dass es einmal Ritterinnen geben könnte. Dabei wäre den Schlaraffen genau so ein revolutionärer Gedanke von Anfang an gut zu Gesicht gestanden. Denn die Organisation hat sich einst gegründet, um den Eliten den Spiegel vorzuhalten und ihr bisweilen recht abgehobenes Gebaren zu persiflieren. Aus diesem Anliegen heraus bildete sich nicht nur die fremdartige Sprache, sondern auch ein über Generationen weitergegbener Ablauf der Versammlungen mit fest eingeplanten Redebeiträgen, meist humoristischer Art. Gespräche über Politik, Religion oder Geschäfte hingegen sind verpönt.

Amberg03.01.2020

Das Clavizimbel erklingt. Ritter K-n-öchel, die Flügel-Fliege, hat sich an das Klavier gesetzt und spielt zur Freude der versammelten Herrschaften auf. Kaum ist der Schlussakkord verklungen, ruft Ritter Raconte schon ein kräftiges "Lulu" durch den Saal. Die anderen stimmen ein. "Lulu, Lulu", schallt es dreimal durch die Burg. Ein "Lulu" ist quasi die Wort-gewordene Verzückung eines Schlaraffen. Ritter Für-Witz hatte in der Schmuspause (Pause zum Plaudern) bereits angekündigt, er werde zum Turney antreten. Zwei weitere Ritter tun es ihm gleich. Den Kampf führen die drei Herren aber nicht mit dem Schwert. Sie treten vielmehr ans Rednerpult. Für-Witz erzählt, warum die Bergmänner früher Kanarienvögel mit in die Stollen genommen haben (sie fielen tot um, wenn der Sauerstoff knapp wurde), Ritter Hanoo erklärt, was Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Salzabbau zu tun hatte und Ritter DAK-Kappo sorgt mit bergmännischen Sprüchen zu den Berufen der Anwesenden für Erheiterung. Turney beendet. Die Oberschlaraffen ziehen sich zur Beratung zurück und erklären Hanoo zum Sieger.

Es ist schon spät. Die Mitternachtsstunde ist angebrochen und damit die Zeit, die Sippung zu beenden. Klar, dass die Ritter nicht einfach mit einem "Auf Wiedersehen" nach Hause gehen. Der Abschied wird zelebriert und findet seinen Höhepunkt damit, dass einer der Anwesenden die Flamme der blauen Kerze erlischt. Die Kerze brennt nur während einer Sippung, das Feuer soll die immer wieder auflebende Freundschaft symbolisieren. Symbolisch ist fast alles an diesem Abend, die Freundschaft, die ist echt.

Schlaraffen-Latein:

Begriffe und ihre Bedeutung (Auszug)

Angehörige des Schlaraffen: Tross

Gattin des Schlaraffen: Burgfrau

Sohn des Schlaraffen: Knäpplein

Tochter des Schlaraffen: Burgmaid

Schwiegermutter des Schlaraffen: Burgschreck

Arbeitsstelle, Büro: Fronburg

profane Beschäftigung: Frondienst

Bekleidung: Wams

Festgewand: Rüstung

Frack, Smoking: Rauchrock

Kopfbedeckung: Helm

Bett, Liegegelegenheit: Lotterbett

Brief, Postkarte, E-Mail: Sendbote, Sendwisch, Netzwisch

Feuerzeug: Brandfackel

Geld: Mammon

Getränk: Labung

Trinkgefäß: Humpen

Bier: Lethe

Schnaps: Brandlethe

Krankheit: Bresthaftigkeit

Mitglieder der Schlaraffia: Sassen

Alphorn: Geröllhaldenflöte

Cello: Kniewinsel

Geige: Seufzerholz

Gitarre: Minneholz

Klavier: Clavicimbel

Ort, in welchem keine Schlaraffia ist: uhufinsterer Ort

Pfeife: Schmauchtopf

Zigarette: Luntete

Sitzungsraum: Burg

Auto: Benzinross

 
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