Corona-Demo in Amberg: Unmoralischer Vergleich mit Judenverfolgung

Amberg
27.12.2021 - 12:23 Uhr
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Zwei Stolpersteine, die an ermordete Juden erinnern, wurden in Amberg Teil einer Demonstration gegen die Impfpflicht. Unmoralisch und geschichtsverzerrend nennt Rabbiner Elias Dray den Vergleich mit der Judenverfolgung.

Stolpersteine, die an ermordete Juden erinnern, wurden in Amberg Teil einer Demonstration gegen die Impfpflicht. Gegner der Corona-Maßnahmen zogen Vergleiche zur Judenverfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus.

Als Alina Golubeva am Montagabend gegen 21.45 Uhr mit ihrem großen Sohn aus der Stadt zu Fuß nach Hause ging, erblickte sie vor dem C&A in der Amberger Fußgängerzone brennende Kerzen. Sie war irritiert. War dort etwas passiert? War dort jemand zu Tode gekommen und hatten deshalb Menschen die Lichter aufgestellt? Mutter und Sohn gingen hin, sahen, dass die Kerzen um Stolpersteine herum arrangiert waren. Diese erinnern an Emmy und Karl Haymann, die einst hier lebten und in der NS-Zeit zu Tode gekommen sind. Jemand hatte am Montagabend davor einen Zettel gelegt. "Es beginnt immer mit Ausgrenzung ..." stand darauf zu lesen. Angemahnt wird ein "Weihnachten der Versöhnung". Rund um die Stolpersteine und den Zettel waren Grablichter: die roten sollen Geimpfte symbolisieren, die weißen ungeimpfte Menschen. "Nur Hand in Hand können wir die Spaltung überwinden und unser Grundgesetz/unsere Demokratie bewahren", hieß es dazu auf dem Zettel, der um "Gemeinsam für ein menschliches Miteinander" warb. Der Initiator tat kund, dass gerne Kerzen dazu gestellt werden dürfen.

Alina Golubeva, Jüdin und Mitglied der israelitischen Kultusgemeinde Amberg, entfernte das geschmacklose Arrangement. Wie sie erzählt, habe sie natürlich mitbekommen, dass bei Corona-Demos in Deutschland immer wieder Judensterne mit der Aufschrift "Ungeimpft" getragen werden. "Aber wenn man dann sowas wirklich vor sich sieht, hat man schon ein total mulmiges Gefühl", gesteht die Frau. "Das ist doch ekelhaft." Da denke man immer, das passiere nur in Großstädten wie Berlin oder Köln – "und dann ist es hier bei uns".

"Nach außen hin schaut das erst einmal sehr schön aus", sagt Ambergs Rabbiner Elias Dray über den Vorfall. Dazu tragen die Kerzen bei – und auch der Wunsch, dass Geimpfte und Ungeimpfte eine Gemeinschaft bleiben sollen. "Dass man das in Verbindung setzt mit dem Holocaust, mit Menschen, die Opfer von Vernichtung waren, ist unmoralisch", macht der Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde Amberg aber deutlich.

"Geschichtsverzerrend und relativierend"

Das sei geschichtsverzerrend – und auch relativierend. "Wir leben heute in einem Staat, in dem wir mit die meisten Rechte auf der ganzen Welt haben", sagt Dray weiter. Die Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie dienten der Gesundheit aller. Sicherlich könne man über die eine oder andere Maßnahme geteilter Meinung sein und darüber diskutieren – "aber nicht so!"

"Widerlich" und "ekelerregend" nennt das Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte die um die Stolpersteine drapierten Kerzen. "Wieder einmal vergleichen sich Querdenker mit Menschen, die im Nationalsozialismus systematisch ermordet und vernichtet wurden", schreibt das Bündnis in einer Stellungnahme zu dieser Aktion im Zusammenhang mit der Demo von rund 450 Menschen am Montagabend auf dem Amberger Marktplatz. Wieder einmal täten sie so, "als wären sie im Widerstand gegen ein faschistisches Regime". Und wieder einmal "beschmutzen sie den Namen von wirklichen Opfern, indem sie Vergleiche ziehen".

"Was geht in den Köpfen vor?"

Am Montagabend hätten sie sich erdreistet, ihre Unwahrheiten direkt neben die Stolpersteine für zwei Amberger Bürger zu legen. "Was geht in den Köpfen vor von Leuten, die frei ihre Meinung äußern dürfen und für ihre Belange demonstrieren können, und die sich dennoch nicht zu schade sind, sich mit den Opfern des Faschismus gleichzusetzen?", fragt sich das Bündnis. Mögliche Antworten darauf hat Jan Nowak von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Seit Beginn der Pandemie hat es seinen Worten nach immer wieder viele NS-Vergleiche gegeben, auch in der Oberpfalz.

Historische Vergleiche seien in den vergangenen eineindreiviertel Jahren der Corona-Pandemie allgegenwärtig, sagt Nowak und benennt deutlich das Kernproblem: die ständige Relativierung der Verbrechen der Nationalsozialisten. Nowak teilt die Menschen, die dies tun, und auch bei Demos gegen Corona-Maßnahmen demonstrieren, in drei Gruppen ein. Zum einen seien es Menschen mit einem extrem rechten Hintergrund. Rechtsextremisten sehen seinen Worten nach "jede Relativierung des Nationalsozialismus als Chance, den historischen Ballast zu verkleinern".

Banalisierung der Verbrechen

In die zweite Gruppe ordnet Nowak Menschen ein, die ganz genau wüssten, dass NS-Vergleiche öffentliche Aufmerksamkeit schaffen. Sie sähen das als PR-Aktion. Das sei eine relativ große Gruppe. Aber: "Auch sie banalisieren die historischen Verbrechen, die Ermordung der europäischen Juden", warnt Nowak. Die dritte Gruppe besteht laut Nowak aus Menschen mit einer völlig verzerrten Wahrnehmung und Egozentrikern ("Nur das Individuum zählt, die gesellschaftliche Solidarität wird negiert"). "Sie sehen sich wirklich als die neuen Juden": verfolgt, ausgegrenzt, diskriminiert. Das nehme teilweise wahnhafte Züge an. Jede kleinste Einschränkung wegen Corona würde als massiver Frontalangriff gesehen.

Querdenker instrumentalisieren nicht nur jüdische Opfer des NS-Terrors, indem sie bei Demos gelbe Judensterne mit der Aufschrift "Ungeimpft" tragen. Oder die in den vorherigen Corona-Wellen verhängte Ausgangssperre mit dem "Ausgehverbot für Juden" im Dritten Reich vergleichen Oder ihre Situation mit der des in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nazis versteckten jüdischen Mädchens Anne Frank. Sie instrumentalisieren zum Beispiel auch Sophie Scholl, Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose. Wie Nowak weiß, sei vielfach die Rede von Corona-Diktatur, Unrechtsregime und neuem Faschismus, gegen den man Widerstand leisten müsse. Wohin eine Radikalisierung führen kann, habe man in Idar-Oberstein gesehen: Dort hatte im September ein Maskenverweigerer in einer Tankstelle einen Kassierer erschossen.

Seit Ende November neue Dynamik

Gerade in den vergangenen Wochen gab es laut Nowak wieder vermehrt Proteste gegen die Corona-Politik. Am Montagabend demonstrierten 450 Menschen in Amberg, am Dienstagabend waren es 1400 in Schwandorf, am vergangenen Sonntag in Nürnberg 15 000. "Wir erleben seit Ende November eine neue Dynamik", sagt der Experte. Als Gründe dafür nennt er die sich abzeichnende Impfpflicht, die 2Gplus-Regel, aber auch den "massiven Mobilisierungseffekt in Österreich".

Jan Nowak weiß, dass von Gegnern der Corona-Politik ganz viele NS-Vergleiche gezogen werden, auch in der Oberpfalz. Dass auch Stolpersteine einbezogen werden, hat er bis dato noch nicht wahrgenommen. Er hat auch RIAS informiert, eine Meldestelle für Antisemitismus. Dort wurde ihm bestätigt, dass das mit den Stolpersteinen "nicht alltäglich" sei. RIAS Bayern hat inzwischen zu dem Vorfall in Amberg ein Statement auf Facebook abgegeben. Darin heißt es unter anderem: "Durch das Ablegen des Zettels vor den Stolpersteinen werden Ungeimpfte mit den Opfern der Shoah gleichgesetzt und diese so verhöhnt." Der positive Bezug auf Grundgesetz und Demokratie ist für die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus ein Beispiel dafür, "dass ein großer Teil des Post-Schoah-Antisemitismus, der von Gegnern der Corona-Maßnahmen geäußert wird, nicht von der extremen Rechten, sondern der 'gesellschaftlichen Mitte' ausgeht."

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Hintergrund:

Stolpersteine erinnern an jüdische NS-Opfer

  • Stolpersteine sind ein Projekt von Gunter Demnig. 1992 hat der Berliner Künstler begonnen, mit kleinen , im Boden verlegten Gedenktafeln an das Schicksal der Menschen zu erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden.
  • Die Idee, auch in Amberg Stolpersteine für die Opfer des Holocaust zu verlegen, hatte 2012 ein P-Seminar des Gregor-Mendel-Gymnasiums. Der Amberger Unternehmer Georg Baumann und der örtliche Rotaryclub finanzierten sie.
  • Zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus, die in Amberg lebten und wirkten, sind in der Stadt 15 Stolpersteine eingelassen.
  • 30 Amberger Juden sind nach Angaben von Kreisheimatpfleger Dieter Dörner in der NS-Zeit zu Tode gekommen.
  • Die beiden Stolpersteine, die nun von den Corona-Protesten vereinnahmt wurden, befinden sich in der Georgenstraße 5, vor der Filiale des C&A.
  • Sie erinnern an den jüdischen Bankier Karl Haymann und seine Frau Fanny, die dort wohnten. Karl Haymann (Jahrgang 1857) wurde gedemütigt und entrechtet, war ein Opfer des Pogroms und starb 1939. Seine Frau Fanny (Jahrgang 1865) wurde laut Dieter Dörner am 3. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert und verstarb dort fünf Tage später.
 
 

Kommentare

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Martin Pfeifer

Wer grenzt sich denn aus, weil er / sie das vorhandene Impfangebot bewußt nicht wahrnimmt? Die Geimpften?
Ein gewisser Druck, sich endlich impfen zu lassen entspricht doch voll und ganz dem üblichen Vorgehen des Staates bei der Umsetzung der von ihm gesetzten Regeln. Es hat schon einen Sinn, das jeder in Deutschland nicht auf der Straßenseite mit dem Kraftfahrzeug fahren kann, wo er will. Und die Überwachung der Geschwindigkeitsbegrenzungen ist doch auch keine Diskrimierung von einzelnen Personen. Die Freiheit jedes einzelnen hat halt dort seine Grenzen, wo sie die Rechte anderer beeinträchtigt. Was würde ein Ungeimpfter sagen, wenn seine Nachbarn auf einmal mitten über sein Grundstück laufen, weil es der kürzeste Weg ist? Mitten durch das Beet? Sie wollen nur Ihre Grundrechte in Anspruch nehmen.

"Nur Hand in Hand können wir die Spaltung überwinden und unser Grundgesetz/unsere Demokratie bewahren"
Ja, nur in Hand in Hand können wir die Spaltung überwinden. Wenn sich jeder solidarisch verhält und sich überlegt, wie er mit seinem Handeln zum Wohle des ganzen Volkes beiträgt. Letztendlich grenzen sich die Ungeimpften selber aus. Weil Ihr Handeln gerade nicht zum Wohl des Volkes beiträgt, sondern ihm Schaden zufügt. Rationale (medizinische) Argumente, die gegen die Corona-Impfung sprechen, gibt es nur für die wenigsten Bürger.

24.12.2021