Amberg
02.01.2019 - 19:53 Uhr

Landrat Richard Reisinger auf höchster Genussstufe

Dass die Bundeskanzlerin und der französische Präsident vorkommen, wenn Landrat Richard Reisinger auf das Jahr 2018 zurückblickt, ist nicht allzu überraschend. Anders sieht es mit der Sängerin Lena Meyer-Landrut aus.

Ein Freudenberger Hausnamenschild. Der Erfolg dieses Projekts zählt für Landrat Richard Reisinger zu den großen Überraschungen des Geschehens im Landkreis im Jahr 2018. Bild: gri
Ein Freudenberger Hausnamenschild. Der Erfolg dieses Projekts zählt für Landrat Richard Reisinger zu den großen Überraschungen des Geschehens im Landkreis im Jahr 2018.

Das Jahresgespräch mit Landrat Richard Reisinger führten die AZ-Redakteure Heike Unger und Markus Müller.

ONETZ: Gab es 2018 ein Thema, das vorher keiner auf dem Schirm hatte und das dann unerwartet für einen relativ großen Arbeitsanfall in der Landkreisverwaltung sorgte?

Richard Reisinger: Da muss ich nicht lange überlegen: die Datenschutzgrundverordnung. Ein Monster, gut gemeint, hindert uns aber schon fast an der alltäglichen Kommunikation – innerhalb der Verwaltung und mit dem Bürger.

ONETZ: Warum?

Weil die Schutzmechanismen jetzt so ausgefeilt werden, dass die Abläufe sich verkomplizieren. Skurriler Ausfluss davon ist: Wir haben jetzt schon mit der Weihnachtskarte Datenschutzhinweise versandt, und die Empfänger haben wohl zum Teil erst die Datenschutzhinweise und dann die Weihnachtsgrüße des Landrats gelesen.

ONETZ: Was stand denn da drin?

Dass wir die Empfänger auf einer Liste haben und was sie machen müssen, wenn sie von der gestrichen werden wollen.

ONETZ: Da sorgt der Datenschutz also für mehr Arbeit.

Da ist schon eine Diskrepanz: ein Trend zur persönlichen Anonymisierung, bis zur anonymen Bestattung und auf der anderen Seite die totale Prostitution in den sozialen Netzen. Wenn wir da wieder eine Mitte finden könnten, wäre allen geholfen.

ONETZ: Was war für Sie persönlich 2018 aus kommunalpolitischer Sicht das Mutmacher-Erlebnis?

Das war schon unsere Berufsschule. Dass es gelungen ist, den Kaufmann im E-Commerce nach Sulzbach zu holen. Ein absolut zukunftsträchtiger Ausbildungsberuf, den wir für die gesamte Oberpfalz am Berufsschul-Standort Sulzbach-Rosenberg ausbilden dürfen. Das ist nach den Berufen Fachlagerist und Fachkraft für Lagerlogistik das Sahnehäubchen.

ONETZ: Und es bestätigt die Investitionen, die der Landkreis hier tätigt.

Ja, die Generalsanierung der Berufschule – eigentlich wird es ein Neubau – ist eine der größten Investitionsmaßnahmen des Landkreises, und diese Entwicklung rechtfertigt diese Investitionen. Das ist für uns wie eine kleine Behördenverlagerung. Wir werden die Berufsschülerzahlen gegenüber der Ausgangsposition bald verdoppelt haben. Das setzt einen Kontrapunkt zu üblichen Entwicklungen im Schulsektor im ländlichen Raum.

ONETZ: Auf welches Ereignis oder welche Erfahrung hätten Sie persönlich 2018 gerne verzichtet?

Vielleicht bin ich gut im Verdrängen, es kommt mir aber kein breites Thema in den Sinn, unter dem ich jetzt noch leiden würde. Doch eins: Dass wir es in Deutschland nicht schaffen, weder die Politik noch die Autoindustrie, den Bürgern Planungssicherheit zu geben auf ein zukünftiges Auto. Ich bin ja privat auch Leidtragender, ich fahre einen Euro-Norm-IV-Diesel. Ich wüsste jetzt auch gerne mal, was man machen soll.

ONETZ: An welche Momente des Jahres 2018 denken Sie persönlich am liebsten zurück?

An die Entwicklung des Staatlichen Beruflichen Schulzentrums, die wir angesprochen haben. Dann dass wir die Generalsanierung des Sonderpädagogischen Förderzentrums so gut wie abgeschlossen haben. Da ist eine neue Schule entstanden, nachdem am Anfang der ganze Schultyp zur Disposition stand. Das war schon ein gewisses Risiko.

ONETZ: Bei diesen Themen kommt der ehemalige Schulmann durch.

Mir fällt auch jenseits davon noch viel ein: dass der neue Imagefilm des Landkreises eine so gute Resonanz entfaltet hat. Als Nächstes werden wir einen für den Wirtschaftsstandort kreieren. Dann dass unser Landkreis-Leitbild mit dem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet worden ist; bei 400 Einsendungen waren wir unter den fünf Preisträgern. Dass wir gastronomische Betriebe haben, die Nachwuchs haben und kräftig investieren. Es gibt aber auch welche, die einfach ein normales Wirtshaus auf Vordermann bringen. Wellness ist nicht die Standardlösung. Muss man auch nicht haben. Es ist auch schön, wenn man einfach ein Wirtshaus mit der Metzgerei weiter pflegt.

ONETZ: Gab es auch was Überraschendes?

Ja, das Leader-Projekt Hausnamen. Das hat fast wie eine Bombe eingeschlagen. Viele Bürgermeister, die sich im Vorfeld nicht beteiligt haben, haben das mittlerweile schon bereut. Es ist schön zu sehen, wie sich Menschen auf ihre Wurzeln besinnen und richtig freudestrahlend die Schilder entgegennehmen.

ONETZ: Sie hätten nicht gedacht, dass das Projekt so einschlägt?

Nein, das sollte eigentlich nur ein kleines Projekt werden, eher für die Dörfer. Aber auch Städte wie Vilseck waren voll dabei.

ONETZ: Was war denn über den Landkreis hinaus eine schöne Erinnerung?

Als die bayerischen Landräte in Berlin waren, auch bei der Bundeskanzlerin. Wir sind nicht einfach so durchgeschleust worden, sondern haben mit ihr zu Mittag gegessen, waren zwei Stunden dort und haben uns über eine riesige Themenpalette austauschen können und dürfen.

ONETZ: Und privat?

Das ist immer, wenn ich als Vizepräsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge unterwegs sein darf. Dieses Mal durfte ich in Frankreich, im Invalidendom, Preisträger ehren, deutsche und französische Schüler. Zusammen mit einer französischen Staatssekretärin. Dabei war auch der deutsche Botschafter, Nikolaus Meyer-Landrut. Die Jugendlichen haben gleich gewusst: Das ist der Onkel von Lena Meyer-Landrut, die 2010 den Eurovision Song Contest gewonnen hat. Dann waren die Jugendlichen und diese Delegation auch am Volkstrauertag im Bundestag, wo wir an der Gedenkstunde teilgenommen haben; mit Macron-Rede – für einen gelernten Romanisten ein Traum. Ein Plädoyer für Europa auf Französisch. Höchste Genussstufe.

ONETZ: Ließen sich 2018 alle vorher als wichtig eingeschätzten Projekte umsetzen? Oder gab es irgendwo überraschend Schwierigkeiten?

Die gab es, vor allem im Tiefbaubereich, Stichwort Grundstückserwerb. Der ist in Zeiten von Null-Zinsen mitunter schier unmöglich. Beim Straßenbau müssen wir wegen einiger weniger Meter oft monatelange Verhandlungen führen. Und dann auch der Fachkräftemangel, der wird immer deutlicher spürbar. Der ist inzwischen auch in den Verwaltungen angekommen. Wir haben ja eine Behördenverdichtung in Amberg, und alle schöpfen aus demselben Bereich. Vor allem bei Fachkräften wie Architekten, Ingenieuren, Technikern ist es sehr schwierig. Das führt dazu, dass manche größeren Städte oder Landkreise fest eingeplante Investitionsvorhaben wegen fehlender Fachkräfte nicht umsetzen können.

ONETZ: Merken Sie bereits, dass auch das Landesamt für Pflege in diesem Teich mitfischt?

Ja, die fahren langsam hoch. Wir wissen, dass schon an Mitarbeiter von uns Anfragen ergangen sind. Aber das ist eine sportliche Konkurrenz, der wir uns stellen. Ich hoffe, dass unsere Leute wissen, was sie bei uns haben. Und wenn jemand woanders bessere Perspektiven hat, ist das ja für uns kein Grund, beleidigt zu sein.

ONETZ: 2019 wird der Wahlkampf für die Kommunalwahl 2020 einsetzen. Befürchten Sie, dass dadurch das Klima in der Kommunalpolitik rauer wird?

Das beginnt schon schleichend. Das sind Gruppen, die Schlaglöcher suchen und schlecht beleuchtete Fußgängerwege. Oder Unfallschwerpunkte ausmachen mit dem Argument „ein Wunder, dass da noch nichts passiert ist“.

ONETZ: Was sind da Ihre Erfahrungen aus früheren Wahlkämpfen?

Bei der Fülle an Kandidaten, die wir bei den Kommunalwahlen haben, kann es schon zu individuellen Ausrutschern und Provokationsaktionen kommen. Das sind aber eher die Amateure. Denn das kommunalpolitische Gesamtklima auf Kreisebene ist bisher unbeeinträchtigt geblieben. Das ist ja bei uns anders als in einem Stadtrat: Die 27 Bürgermeister – davon 22 im Kreistag –, die kooperieren interkommunal, gerade unter meiner Führung, ich bin so selbstbewusst, das zu sagen. Die sind auf diese Kooperation programmiert und die wissen, welch wertvolles Gut das darstellt.

ONETZ: Diese Verbindung hält auch im Wahlkampf?

Bürgermeister anderer Parteien, mit denen ich über sechs Jahre sehr freundschaftlich zusammenarbeite, die kann ich ja nicht plötzlich drei Monate vor der Wahl öffentlich angreifen und brüskieren. Das mache ich auch nicht, vorausgesetzt, die teilen auch diesen Verhaltenskodex. Inhaltlich kann man sich ja aneinander reiben, das machen wir ja auch im Kreistag, aber zu persönlichen Angriffen, da neigen nur politische Anfänger. Die wollen da irgendwelche TV-Vorbilder kopieren. Bürger lehnen ein solches Gebaren auch ab. Alle, die auf Angriff geschaltet haben, sind eigentlich nie belohnt worden.

Der Imagefilm des Landkreises – hier eine Gesprächsrunde bei der Premiere im Amberger Cineplex – kommt so gut an, dass man beim Landkreis schon an eine Fortsetzung denkt. Bild: Petra Hartl
Der Imagefilm des Landkreises – hier eine Gesprächsrunde bei der Premiere im Amberger Cineplex – kommt so gut an, dass man beim Landkreis schon an eine Fortsetzung denkt.
Landrat Richard Reisinger. Bild: Wolfgang Steinbacher
Landrat Richard Reisinger.
Im Blickpunkt:

Vom Klärschlamm ins Rennauto

Zu den Mutmacher-Ereignissen 2018 fällt Landrat Richard Reisinger auch die Entwicklung des Fraunhofer-Umsicht-Instituts in Sulzbach-Rosenberg ein. „Das nehmen viele gar nicht wahr.“ Doch es habe eine internationale Ausstrahlungskraft. Die Einrichtung gehe „genau die Handlungsfelder der Forschung an, die hochaktuell sind“. Dabei forsche sie nur an Dingen, die man auch in die Praxis umsetzen könne. Ein Anwendungsbeispiel sei in Hohenburg, wo aus Klärschlamm ein Kraftstoff gemacht werde, der sofort getankt werden könne – „auch in Rennautos“ – und der vom Preis her absolut konkurrenzfähig sei. Und das Klärschlamm-Problem sei nebenbei gleich mit gelöst. „Die Mineralölkonzerne verfolgen das natürlich mit Interesse.“ (ll)

 
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