Seit der deutschen Erstaufführung vor fünf Jahren sind Marion Kracht und Daniel Morgenroth die Hauptdarsteller des Stücks. Diese prominenten Namen stehen für Qualität genauso wie der Name Woelffer. Diese Theaterdynastie hat sich mit ausgezeichneten Produktionen in Berlin im Theater am Kurfürstendamm fast unsterblich gemacht. Und diese unverkennbare Handschrift von Leichtigkeit und liebevollen Überzeichnungen, von echter Schauspielkunst und unerschrockener Ironie blitzt auch bei der seit Jahren tourenden, aber taufrisch wirkenden deutschen Inszenierung von Martin Woelffer durch.
Schon beim Eingang im Amberger Stadttheater großes Erstaunen: ein ziemlich schäbiger Straßenmusikant singt lauthals und greift mutig in die Gitarrensaiten. Es ist der Clochard Michel (Daniel Morgenroth). Kaum erlischt das Licht im Saal betritt er die Bühne. Der Kontrast könnte nicht krasser sein: hier abgerissene Klamotten, verfilzte Haare, vergammeltes Gepäck, ungepflegter Vollbart – dort elegantes Mobiliar, feines Interieur, stimmungsvolle Beleuchtung (tolles Bühnenbild: Gabriella Ausonio). Es ist die Wohnung der erfolgreichen, berufstätigen, alleinerziehenden Mutter Catherine (Marion Kracht), die hier mit ihrer schwer pubertierenden Tochter Sarah (Emma Henrici) wohnt. Mit gegenseitigen Vorwürfen gehen sie sich ganz schön auf die Nerven. Und weil gerade Weihnachtszeit ist, wird der obdachlose Tramp zum Festessen mit Gans ins festliche Heim mit Glitzerbaum und Geschenkpyramide eingeladen. Der flippigen Tochter ist die Situation fast noch suspekter als der Mutter. Sie hat auch irgendwie mulmige Gefühle. Und die Gerüche, die dem armen Mann entströmen, können selbst mit intensivem Raumspray nicht völlig eliminiert werden. So ist es nicht verwunderlich, dass man sich selbst im Zuschauerraum die Nase zuhalten möchte. Man mokiert sich über die Unzuglänglichkeiten und hat dabei doch auch zwiespältige Gefühle!
Dank Coaching, Friseur und Edelzwirn dreht sich nach der Pause die Situation. Michel steigt die Leiter hoch, Catherine sucht neue Wege im Ratgeberbuch für Lebensglück. Dank der großen schauspielerischen Leistung behält aber der Spaßfaktor trotz zunehmender Klischees und ausgelutschter Vorurteile die Oberhand. Sagenhaft das Minenspiel von Freude zu Überraschung bis Zorn und Enttäuschung. Marion Kracht ist perfekt in allen Lebenslagen: Sie spitzt die Rolle der karrieregeilen Catherine zu, beweist Mut zu übertriebenen Klischees und zur Lächerlichkeit – als nüchterne Geschäftsfrau, die mit allen Mitteln einen Penner aus der Gosse herausholen will und wie ein preußischer Offizier den Ärmsten herumkommandiert. Sie lebt Kontrollwahn und Wutausbrüche leidenschaftlich aus, und poliert ständig am Erfolgskonzept.
Daniel Morgenroth schlüpft in die verlotterte Figur des abgestürzten Informatikers ebenso mühelos wie in die des Anzugträgers. Mit viel Feingefühl und einem wunderschönen Chanson-Vortrag schafft er es, nicht nur Catherine um den Finger zu wickeln.
Herrlich aufmüpfig und mit authentischer Natürlichkeit beeindruckt Emma Henrici als kratzbürstiges ‚Pubertier’ Sarah in modisch-löcherigen Jeans. So gefällt Boulevardtheater! Nicht jede Liebesgeschichte ist eine Erfolgsgeschichte. Aber diese: „Auf ein Neues“!
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