Es ist Donnerstag, 14. Juni, als die Welt der Familie Lösche aus den Fugen gerät. Sophia hat ihren Besuch daheim angekündigt. Der Vater steht am Bahnsteig, aber die Tochter kommt nicht. Die Eltern sind alarmiert, informieren den Bruder. Es ist Freitag, 15. Juni, als Sophia am Vormittag bei der Polizei in Amberg als vermisst gemeldet wird.
Während die Mühlen der Bürokratie noch überlegen, ob sie zu mahlen beginnen sollen, wird Bruder Andreas Lösche schon längst aktiv. In Windeseile trommelt er Freunde und Verwandte aus allen Lebensbereichen seiner Schwester zusammen, die über das Internet nach Spuren über den Verbleib suchen. Dieses Team besteht aus 80 Leuten. Es bündelt die Suche unter dem Hashtag "findsophia". "Dank des Einsatzes unzähliger Freiwilliger hatten wir schon nach 90 Stunden den Hauptverdächtigen am Telefon. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es faktisch keine Polizeiarbeit", sagt Andreas Lösche im Gespräch mit dem "jetzt"-Magazin der "Süddeutschen Zeitung", das die "Vermisstensuche im digitalen Zeitalter" Anfang Dezember dieses Jahres zum Thema macht. Dass die junge Frau in Leipzig-Schkeuditz in einen Lastwagen mit marokkanischem Kennzeichen gestiegen ist, der Name der Spedition, der Weg des Fahrers bis nach Nordspanien, der Ort, wo die halbverbrannte Leiche liegt - all das ist Ergebnis der ausdauernden Nachforschungen des mehrsprachigen Netzwerkes. Auf der Seite www.findsophia.de veröffentlicht Lösche deutliche Worte, adressiert an die Polizei: "Wenn das nächste Mal ein Mensch verschwunden ist und es von Anfang an völlig klar ist, dass ein Gewaltverbrechen vorliegen muss, dann streiten Sie sich bitte nicht tagelang mit sich selbst, welche Dienststelle zuständig ist."
Die Frauenleiche, die am Donnerstag, 20. Juni, im spanischen Baskenland gefunden wird, ist die der 28-jährigen Studentin. Den mutmaßlichen Täter, einen aus Marokko stammenden Lkw-Fahrer, verhaftet man in Spanien. Lange Zeit wird die Tote nicht in ihre Heimat überführt. Um der Trauer ihrer vielen Freunde und Weggefährten Raum zu geben, gibt es am Mittwoch, 1. August, in der Paulanerkirche in Amberg einen Gottesdienst. Dort spricht Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm deutliche Worte: "Ihr Einsatz für Flüchtlinge, ihre Offenheit für Menschen jedweder Herkunft hat nach der Festnahme des marokkanischen Fernfahrers, der des Mordes an ihr verdächtigt wird, zu unfassbaren Hasskommentaren in den sozialen Medien geführt. Es ist schwer, diesen Hass auszuhalten. Es ist schwer zu verstehen, wie Menschen in einer solchen Situation ohne jede Rücksicht auf die trauernden Angehörigen zu solchem Hass fähig sind." Die Suche nach Sophia und letztendlich der Fund ihrer Leiche lösen eine Flut von rassistischen Äußerungen aus.
Am 1. September wird Sophias Foto bei einem "Trauermarsch" der AfD, an dem Björn Höcke teilnimmt, mitgetragen. Bei der Veranstaltung sollen mehrere Fotos von Gewaltopfern darauf hinweisen, dass von Flüchtlingen Gefahren ausgehen würden. Auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht Höcke später ein Bild des Zuges. Auch darauf ist Sophias Foto zu erkennen. Die Familie Lösche stellt Strafanzeige. Zum "Objekt rechter Hetze zu werden", sei das Letzte, was seine Schwester gewollt habe, so der Bruder.
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