Je nach Befragung schwanken die Zahlen leicht. Doch der Trend ist eindeutig. Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben. Laut einer Umfrage des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes sind es 58 Prozent, die diesen Wunsch haben. Allerdings geht er nur für 23 von 100 Verstorbenen in Erfüllung. Die Prozentzahl 58 taucht in dieser Erhebung noch einmal auf. Unter einem völlig anderen Vorzeichen. Die Sterberate in Krankenhäusern liegt bei diesem Wert. Nur vier Prozent wollen es so.
Wer das ändern möchte, muss aus der Tabuzone, über das Sterben nicht sprechen zu wollen, heraustreten. Bei entsprechend vertrauenswürdigen Gesprächspartnern fällt das meist gar nicht schwer, sie machen es einem einfach. Zu finden sind auf diesem Gebiet erfahrene Kräfte in Hospizvereinen oder im Umfeld klinischer Onkologie-Abteilungen sowie von Palliativstationen. Seit fast genau zwei Jahren haben sich solche Stellen aus Amberg, dem Kreis Amberg-Sulzbach und dem Nachbarlandkreis Neumarkt zusammengetan um eine Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) zu gründen. Sie trägt den Namen Palli-Vita.
Beachtlicher Radius
Vor wenigen Wochen bezogen die Mitarbeiter neue Räume in Kastl. Nach zwei Jahren Arbeitserfahrung sei dieser Schritt naheliegend gewesen, erzählt Manfred Wendl. Der Amberger Klinikums-Vorstand hat zusammen mit Diakon Detlef Edelmann, Vorstand des Diakonischen Werkes Altdorf-Hersbruck-Neumarkt, die Geschäftsführung der GmbH inne. Der Umzug sei eine "geografische Entscheidung" gewesen, verdeutlicht Wendl. Vorher unterhielt Palli-Vita Standorte am Amberger und Neumarkter Klinikum. Jetzt nur noch den einen im Zentrum des Einsatzgebietes, das rund 90 Kilometer durchmisst.
Dieses Gebilde kommt zustande, erklärt Wendl, weil bei der Zulassung eines SAPV-Teams seitens der Kostenträger die Größenordnung von 250 000 Einwohnern zugrunde gelegt wurde. Heute, zwei Jahre nachdem Palli-Vita die Arbeit aufgenommen hat, sehen sich der Geschäftsführer und der ärztliche Leiter Dr. Jochen Pfirstinger an ihrer Grenze angelangt. Mehr als derzeit geht mit dem jetzigen Personalstand nicht mehr. Das Team arbeitet mit 2,75 ärztlichen und sechs Pflege-Vollzeitkräften. Hinzu kommen sogenannte Hintergrunddienste von fünf niedergelassenen Ärzten. Für Pfirstinger und Wendel arbeitet Palli-Vita inzwischen an der Kapazitätsgrenze. "Der Bedarf ist da und höher als ursprünglich angenommen", bilanziert Wendl. In Zahlen heißt das 244 Patienten pro Jahr. Pfirstinger rechnet anders und spricht von durchschnittlich einer Aufnahme eines neuen Patienten pro Tag und ständig 30 in der Versorgung. Sie hätten es auch einmal mit mehr probiert, "da sind wir aber nicht hinterhergekommen".
"Wir sind 365 Tage 24 Stunden für die Patienten da, können aber nicht 24 Stunden beim Patienten sitzen", beschreibt der ärztliche Leiter das Grundkonzept. Selbstverständlich werde "jederzeit jede Maßnahme verordnet und vorgenommen, die nötig ist". Im medizinischen Blick sei dabei die Linderung von Leiden, nicht die Lebensverlängerung um jeden Preis. Das Pflegepersonal und die Ärzte hätten darüber hinaus nicht ausschließlich den Patienten, sondern auch dessen Angehörige und persönliches Umfeld im Blick.
Angehörige wichtig
"Angehörige sind oft die Lösung des Problems", lege die SAPV ausdrücklich Wert auf eine möglichst enge Abstimmung mit den Menschen, die den Patienten unmittelbar umgeben, hebt der Arzt hervor. Da auch dieses Umfeld die Ausnahmesituation durchlebe, eine vertraute Person beim Sterben zu begleiten, wirft das Palli-Vita-Team auch auf sie ein Auge. Pfirstinger ist - abgesehen von unvermeidlichen Problemfällen - voller Hochachtung von Angehörigen, die er erlebt hat. "Viele wachsen weit über sich hinaus."
Nach zwei Jahren Palli-Vita verbuchen Wendl und Pfirstinger den Aufbau des SAPV-Teams als Erfolg. Der Klinikums-Vorstand muss sich als Geschäftsführer - wie sonst in seinem Berufsalltag üblich - keine Sorgen ums Geld machen. "Wie überall im Gesundheitswesen können wir damit keine Reichtümer anhäufen, Palli-Vita trägt sich jedoch ohne Probleme", beschreibt Wendl die Kostenträger in diesem Punkt als nicht allzu kleinlich und "fair".
Sorgen machen sich die beiden eher, ob sie den wohl noch steigenden Bedarf ausreichend abdecken können. "Wir scheitern am Personal", erzählen Wendl und Pfirstinger. Medizinisches Fachpersonal sei bekanntlich knapp, und in der SAPV seien darüber hinaus weitere Qualifikationen nötig. Palli-Vita als Modell einer übergreifenden Kooperation von Kommunen und Gebietskörperschaften, Sozialverbänden, einem Hospizverein, Kliniken und niedergelassenen Ärzten sei womöglich wegweisend auch für andere Versorgungsbereiche.
Um die Dienste von Palli-Vita als Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) in Anspruch nehmen zu können, muss eine „weit fortgeschrittene lebenslimitierende Erkrankung“ vorliegen, formuliert Dr. Jochen Pfirstinger als entscheidende Grundvoraussetzung. Der ärztliche Leiter des Teams ist Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin.
Er unterscheidet aus der Sicht des Palliativmediziners wegen voneinander abweichenden Krankheitsverläufen zwei Patientengruppen: Tumorpatienten und Patienten mit schwerer Symptomatik einer anderweitigen austherapierten internistischen Erkrankung. Häufig werden diese Patienten im Zuge der Entlassung aus einer stationären Behandlung von den Krankenhäusern auf die Möglichkeit einer SAPV im häuslichen Umfeld hingewiesen. Der eigentlich verordnende Arzt ist in der Regel jedoch der niedergelassene Hausarzt. Mit ihm wird eine möglichst enge Zusammenarbeit angestrebt. Eine SAPV zu Hause erfordert grundsätzlich keine speziellen räumlichen Voraussetzungen. Es sollten jedoch Angehörige, die sich um den Patienten kümmern und unterstützende Pflegedienste leisten können, greifbar sein. Pfirstinger erinnert sich jedoch auch an Einzelfälle, in denen Alleinstehende betreut und versorgt wurden. Für die Dauer der SAPV wird ein medizinischer Behandlungsplan aufgestellt, gemäß dem das mobile Pflegepersonal die Patienten bei regelmäßigen Hausbesuchen versorgt. Der Rhythmus der Besuche wird von den Notwendigkeiten abhängig gemacht.
Die nötige medizintechnische Ausstattung (Schmerzpumpen, Infusionsautomaten) und erforderliches Material wird gestellt oder verordnet. Darüber hinaus sind das Pflegeteam und die Ärzte 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag bei entsprechender Notwendigkeit erreichbar. Eine 24-Stunden-Versorgung vor Ort wird nicht geleistet. (zm)
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.