1999 veröffentlichte Rudolf anlässlich seines 90. Geburtstages ein mehr als 500 Seiten starkes Buch mit zahlreichen alten Fotos. Aus "Neunmal zehn Jahre" stammen die umfangreichen Zitate in diesem Artikel. Restexemplare des gut zu lesenden Zeitdokuments sind im Lodes-Museum erhältlich.
Wo sich heute unter anderem die Kämmerei und der Sitzungssaal befinden, wohnte vor dem Umbau des Auerbacher Rathauses 1928 der geschäftsleitende Beamte. Amtsleiter Anton Lodes und seine Familie zogen von dort in das ab 1926 neu erbaute eigene Haus Enge Gasse 7, im Volksmund Lodes-Villa genannt.
"Es is a Bou, und er is nuamal gwaxn!" Mit diesen Worten verkündete die Hebamme im Rathaus am Vormittag des 5. Juni 1909 der Familie die Geburt des kleinen Rudi. Seit einem Jahr bewohnten die Lodes, Vater Anton (1881 - 1958), Mutter Kathi (1881 - 1950), die älteste Tochter Gretl (später verheiratete Rau), und Oma Steinhauser den zweiten Stock des Auerbacher Rathauses. Später kamen noch Thilde und Erna dazu. Vater Anton war 1908 Leiter der Stadtkanzlei geworden und in seine Heimatstadt zurückgekehrt.
Plumpsklo im Kerzenschein
In seiner Lebens- und Zeitgeschichte "Neunmal zehn Jahre" erinnert sich der neunzigjährige Rudolf Lodes gern an die Zeit im Rathaus. "Im zweiten Stock war ... unsre Wohnung, aufgeteilt in acht große Räume, einen langen breiten Flur und eine Dachbodentreppe (...). Auf Flur und Böden spielten wir mit den Nachbarskindern und hier lernte ich auch das Radfahren. (...) In der großen Rathauswohnung gab es noch das Plumpsklo. Es lag hinter der Besenkammer auf der Ostseite und hatte ein winziges, hoch oben eingelassenes Fenster, das von der Straße aus kaum wahrzunehmen war, weil diese Straße sehr eng ist. Wenn es vom Herbst auf den Winter zuging, und es schon am frühen Nachmittag dunkel wurde, brauchten wir in diesem höchst intimen Raum schon Kerzenlicht. Es waren deswegen immer Zündholzschachteln beim Kerzenhalter bereitgelegt neben dem aufklappbaren Klodeckel. Manchmal war dieses Örtchen auch eine Spielecke am Ende des langen Flurs (...)" (Seite 6ff). Der heutige Sitzungssaal mit seiner Malerei, seinem Tonnengewölbe und seiner Holzverkleidung entstand erst 1928/29.
"Lausige Zeiten"
Weiter schreibt Lodes: "Die Jahre meiner frühen Kindheit waren für mich trotz Krieg und Kargheit doch hoch interessant gewesen. Ich konnte mich betreut fühlen von vielen guten Geistern, hatte das Geigenspielen erlernt und verspürte bereits Neigungen, die über unsre kleinstädtischen Schulmöglichleiten hinausgingen. Der heimliche Zorn über meinen Violinlehrer Sieber, der ein Finanzinspektor war und mich in lustiger Weise Kokosnusskopf getauft hatte, weil ich kurzgeschoren zum Geigenunterricht erschienen war, dieser Gram war verraucht. Der Grund meiner Haarschur war meine Schwester Thilde gewesen, die aus der Schule Kopfläuse heimgebracht hatte. Ihre langen Haare wurden mehrmals täglich besonders behandelt, bei mir machte man kurzen Prozeß, Kahlschlag genannt." (Seite 48)
Von den Fenstern der Dienstwohnung im zweiten Stock des Auerbacher Rathauses hatte man einen guten Blick auf die Innenstadt. So war es auch im Februar 1919: "Von dem, was sich in Auerbach Revolution nannte, bekamen wir Rathauskinder natürlich einiges mit, angefangen von den Rohheiten, die uns auf der Straße zugedacht wurden von den herumgierenden jungen Männern mit den roten Armbinden und umgehängten Gewehren, bis zu Erstürmungen des Rathauses, begleitet von Messerstechereien und Pistolenschüssen. Wenn Vater ins Büro hinunter mußte, verbarrikadierten wir uns heroben an der Zugangstür zur Wohnung. Großmama Steinhauser lief aufgeregt als Beobachtungsposten von einem Fenster zum anderen, beobachtete alle vier Seiten des Rathauses und meldete uns Besonderheiten.
An einem Vormittag sah sie, daß ein Maschinengewehr ins Haus getragen wurde und eine Horde von gröhlenden Trunkenbolden durchs große Tor stürmte. Man hörte oben in der Wohnung, daß sie ins Büro unsres Vaters (Anm.: das Zimmer über die ganze Breite des Rathauses zum Unteren Markt hin) gezogen waren. Der örtliche Kommandant des Arbeiter-Rates, ein selbständiger Wagner namens Triltsch, war mit seinem Kommando gekommen, um von unsrem Vater die Unterschrift unter ein Manifest zu fordern, das sie ermächtigt hätte, alle Läden zu plündern. Als Druckmittel ließ er besagtes Maschinengewehr auf dem langen Beratungstisch aufbauen, das auf unsren Vater gerichtet war.
"Vadda wiad daschossn"
Ich hatte mich gerade zum Milchholen angeboten und war durch die Eingangstür geschlüpft und sogar bis vors Rathaustor gekommen, als mich einige Bewaffnete aufhielten, von denen mir einer in den Bauch trat, so daß ich auf den Rücken fiel. Und ein andrer grinste hämisch, als ich mich wieder erhob, er sagte: Gäi nea wieda affi, enggs brauchts nix zin Frässn. Daa Vadda wiad druum inn Roudhaas asu daschossn.
Ein Wunder bahnt sich an
Das war keine schöne Auskunft und für mich etwas völlig Neues: Solch gehässiges Reden hatte ich vorher nie gehört. Meiner Mutter berichtete ich, daß man mich nicht auf die Straße gelassen hatte. In diesem Augenblick kam Großmutter herbei und berichtete, daß viele Männer aus dem Rathaus gelaufen seien, hinüber in die rote Bierwirtschaft vom Kaspar Belz, und auch der Triltsch sei unter ihnen gewesen.
Gleich darauf kam unser Vater zu uns in die Wohnung, ein Wunder war geschehen: Im Schenklhaus, einem historischen Gebäude im Rokokostil (Anm.: im Erdgeschoss befindet sich seit Juli 2018 das Lodes-Museum), war ein Lazarett eingerichtet. Dort saßen an sonnigen Tagen auch Leichtverwundete vor dem großen Tor und unterhielten sich über Krieg und Kriegsende.
Einem von ihnen paßte das Treiben der jungen Revoluzzer nicht, er setzte sich auf ein Fahrrad und fuhr ins nahegelegene Grafenwöhr, wo gerade die Reste eines Armeecorps eingetroffen waren, um entlassen zu werden. Der Corpskommandant ließ sich von dem Lazarettinsassen die Vorgänge in Auerbach schildern (...), rief eine Gruppe noch Uniformierter zusammen, verlud sie auf einen Lastwagen und fuhr gen Auerbach.
Rückzug durch Kuhstall
Als rote Posten am Ortseingang das Fahrzeug sichteten, eilten sie zum Rathaus, und, noch ehe die Soldaten eingreifen konnten, hatte sich der Spuk mit dem Maschinengewehr im Rathaus aufgelöst. Man eilte zum Wirtshaus, raffte herumliegende Listen zusammen und verschwand durch den Kuhstall auf die Allee, und von dort in den nahen Wald. Die Lazarettinsassen fühlten sich ebenso befreit wie unser Vater und der Hauptteil der Revolution war überstanden." (Seite 46f)
So weit die Darstellung des Zeitzeugen Rudolf Lodes. Wer mehr über die Revolutionsgeschehnisse in Auerbach anno 1918/1919 erfahren will, sei zum Beispiel auf die Quellen "Auerbach im Wandel der Zeit - Ein Streifzug durch die Geschichte" von Rudolf Weber (Stadt-Anzeiger August und September 2016) und "Zur Abwahl fließt das erste Blut - Wie die Revolution von 1918/19 sich in Auerbach abspielte und vor 90 Jahren ein Ende fand" von Markus Müller (SRZ vom 14. April 2009) verwiesen.
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