Regionalbischof und Oberkirchenrat Klaus Stiegler aus Regensburg feierte mit den Gläubigen in einem Festgottesdienst das 100-jährige Bestehen der Martin-Luther-Kirche. Diakonin Anke Himmel ging auf die Geschichte des Gotteshauses ein. Dabei zitierte sie aus einem Bericht zur Baugeschichte des damaligen evangelischen Pfarrers Ernst Lauerbach: „Die Auflösung des Simultaneums nahm im Jahre 1905 zwischen der katholischen und evangelischen Gemeinde Gestalt an.“ Doch erst ein Ministerialbeschluss vom 20. Mai 1919 verfügte die Teilung des gesamten Simultanvermögens. „Aufgrund dieser Verfügung wurde am 12. Juli 1919 zwischen den beiden Kirchengemeinden ein Vertrag über die Auflösung des Simultaneums geschlossen und nach weiteren Verhandlungen am 12. Juli 1920 notariell verbrieft.“
Weiter führte die Diakonin aus: „Die evangelische Gemeinde trat an den Bau eines eigenen Gotteshauses heran.“ Am 4. Dezember 1921 war die Grundsteinlegung, am 23. August 1923 konnte der erste Gottesdienst gefeiert werden. „Es war ein großer Tag für die evangelische Kirchengemeinde damals und ein wunderbarer Festtag für uns heute.“
„Was das Simultaneum damals trennte, kommt heute wieder zusammen“, sagte Anke Himmel. Heute begegneten sich in der Stadt evangelische und katholische Christen offen und aufgeschlossen. „Damals, vor 100 Jahren, ist Pfarrer Ernst Lauerbach das Herz aufgegangen und am heutigen Tag geht mir das Herz auf.“
Gewinn an Freiheit
„Ich bin heute gerne gekommen, um diesen Festtag mit Ihnen zu begehen, uns daran erinnern zu lassen und auch zu fragen, was dieses Haus für unser Leben denn heute bedeutet“, sagte Regionalbischof Klaus Stiegler. Die Martin-Luther-Kirche sei ein "evangelischer Hotspot". „Genau darum ging es vor 100 Jahren.“ Die religiöse Geschichte Erbendorfs sei wechselhaft gewesen.
„Auf lutherische Jahrzehnte folgte im 17. Jahrhundert die katholische Gegenreformation“, wusste Stiegler. „Und dann eine politische Entscheidung des Pfalzgrafen Christian August: Es sollten in einer Kirche evangelische und katholische Gottesdienste nebeneinander stattfinden.“
Nach gut 260 Jahren sei dieser Versuch beendet worden. „Am Ende wohl für alle Beteiligten damals ein Gewinn an Freiheit und Eigenständigkeit.“ Die evangelische Kirche sei entstanden – mit finanzieller Beteiligung der Katholiken. „Die Gestaltung der Kirche gleicht einer trutzigen Burg und nicht umsonst erhielt sie wohl den Namen Martin-Luther-Kirche.“
Sehnsucht nach Gott
„Menschen haben sich damals beim Bau ins Zeug gelegt, weil sie die Sehnsucht nach Gott gespürt haben und in Gemeinschaft diese Sehnsucht leben wollten“, so Stiegler. „So ist die Martin-Luther-Kirche ein Lebensraum und ein Glaubensraum.“ Deshalb sei es heute gut, an die Menschen zurückzudenken, die dieses Haus gefüllt und lebendig gemacht haben. „Ein Ort des Lebens und des Glaubens, ein durchbeteter Raum, ein geheiliger Raum.“
Die Kraft des christlichen Glaubens dürfe aber in der heutigen Zeit nicht zu nostalgischer Verklärung führen. Dann damals herrschte infolge des Ersten Weltkrieges mit Millionen von Toten die Inflation. „Im Juni 1923 kostete ein Ei 800 Mark, im Dezember des gleichen Jahres bereits 320 Milliarden Mark und in dieser Zeit haben Menschen dieses Haus gebaut.“ Es sei ihnen wichtig gewesen, dass hier gesungen und gebetet, gesprochen und gehört wird. In schwerer Zeit seien hier Menschen gewesen, die sich für den Bau der Kirche eingesetzt haben. „Der Glaube an Gott schuf hier einen Raum, wo Gott Halt und Kraft gibt – solche Räume brauchen wir auch heute.“ Die Martin-Luther-Kirche sei ein „Haltepunkt für unser Leben“.
Der Regionalbischof dankte allen, die sich für die Kirche einsetzen, und lobte auch die lebendige Ökumene zwischen den Schwesterpfarreien in der Steinwaldstadt. „So ändern sich die Zeiten, Gott sei Dank“, merkte er an. „Die Martin-Luther-Kirche mit ihrer wunderbaren Botschaft ist ein Teil Erbendorfs und wird es auch bleiben.“
„Ein bewegender Gottesdienst“, resümierte Diakonin Anke Himmel. „Ich bin mir sicher, wären heute noch Zeitzeugen zugegen, sie hätten die Gemeinschaft gespürt, die von diesem Festgottesdienst ausgegangen ist.“ Gestaltet wurde der Gottesdienst musikalisch von Organist Martin Häupler und vom Evangelischen Posaunenchor Erbendorf.
Grußworte und Empfang im Gemeindehaus
Pfarrer Hubert Bartel aus Windischeschenbach überbrachte stellvertretend für die katholische Pfarrei Erbendorf die Gruß- und Segenswünsche. Die Kirche sei bei der Einweihung vor 100 Jahren voll besetzt gewesen. „Wie wir heute sehen, ist sie nicht mehr so voll“, sagte er. „Dies liegt nicht allein an der Urlaubszeit, sondern es liegt überhaupt an unserer Zeit heute.“ Er wies darauf hin, dass auch in der katholischen Kirche diese Tendenz zu verzeichnen sei. „Deshalb finde ich es wichtig, dass für dieses Jubiläum ein Festgottesdienst gefeiert wurde“, so der Pfarrer. „Wir feiern die Gemeinschaft und, was noch wichtiger ist, wir feiern Gott.“ Denn jede Kirche, ob viel oder wenig genutzt, zeige, Gott ist da.
Die Grüße der Stadt überbrachte Bürgermeister Johannes Reger. Die Kirche sei nicht nur ein Gebäude, sondern ein Ort, an dem das Wort Gottes verkündet werde.
Im Anschluss wurde in das evangelische Gemeindehaus zum Empfang sowie zum Austausch und zur Begegnung eingeladen. Für das leibliche Wohl sorgten die Mitglieder des Kirchenvorstandes sowie des Frauenkreises. Hier konnten die Gläubigen auch mit Regionalbischof Klaus Stiegler ins Gespräch kommen.
Die Martin-Luther-Kirche in Erbendorf
- Einführung des Simultaneums 1663 in Erbendorf: beide Konfessionen nutzen gemeinsam die heutige katholische Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt; Protestanten wünschen sich eigene Kirche; Ansätze in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts scheitern an finanziellen Möglichkeiten, eine Auflösung des Simultaneums scheint unmöglich
- Aufhebung des Simultaneums durch bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 20. Mai 1918 dank Bemühungen des katholischen Pfarrers Franz Xaver Fleischmann; Verhandlungen über Besitzaufteilung ziehen sich noch zwei Jahre hin, am 12. Juli 1920 wird der notarielle Vertrag geschlossen
- Katholiken erhalten die Stadtpfarrkirche, evangelische Gemeinde die St.-Veits-Kirche; katholische Pfarrei übernimmt die Hälfte der Kosten für einen Bauplatz und ein Drittel der Baukosten
- Kirchengemeinde kauft an der Bräugasse ein Grundstück, auf dem das Malzhaus der Stadt stand; Architekt Carl Brendel aus Nürnberg legt im Juli 1921 die ersten Pläne für ein evangelisches Gotteshaus vor
- Grundsteinlegung für das 28 mal 15 Meter große Kirchenschiff mit einem rund 30 Meter hohen Turm am 4. Dezember 1921; Sorgen wegen der Kostenentwicklung aufgrund der Inflation, schlechte Witterungsverhältnisse 1922 verzögern Fertigstellung
- erster Gottesdienst am 26. August 1923
- Quelle: www.erbendorf-evangelisch.de
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