„Wo bleiben in diesem Jahr unsere Möwen?“ und „Warum kehren in diesem Jahr so wenige Möwen aus ihren Winterquartieren zurück?“: Mit solchen und ähnlichen Fragen wurde in den vergangenen Wochen Revierförster Martin Gottsche überhäuft. Natur- und Vogelfreunde vermissen die kreisenden Vögel über dem 92 Hektar großen Obersee und das raue Kreischen der Möwen auch im Eschenbacher Umland. Die Lachmöwen sind seit Jahrhunderten fester Bestandteil der lokalen Fauna. Aufzeichnungen über die Brutkolonie reichen zurück bis ins Jahr 1626.
Im Laufe der Jahre gab es beträchtliche Bestandsschwankungen. So brüteten in den 1960er Jahren über 4.000 Paare auf den Seggenbüscheln des Großen Rußweihers (Obersee) und auch der angrenzenden Weiher. Die Möwen zogen dann aber um, als zum Beispiel der Paulusweiher mehr und mehr verlandete und das flacher werdende Wasser nicht mehr genügend Schutz gegen Eierräuber, wie Füchse und Marder bot. Zum Schutz der Gelege im Obersee wurde vor zwei Jahren unterhalb des Dammes zum Rußlohweiher durch einen Moorbagger ein breiter Wasserstreifen ausgehoben, der Eierräuber abhalten soll. Als Nahrung dienen den Möwen vor allem Regenwürmer, Käfer, Engerlinge und andere Insekten, die sie auf frisch gepflügten Äckern und gemähten Wiesen erbeuten. Pflügenden Landwirten folgen sie daher stets in großen Schwärmen. Auch dieses Erscheinungsbild fehlt bisher.
Der Bestandsrückgang der Lachmöwen veranlasste den Naturschutzverband „Verein Jordsand“, den im 17. Jahrhundert in Eschenbach als Delikatesse geschätzten Vogel zum „Seevogel des Jahres 2025“ zu küren. Die Vogelschützer möchten damit dazu beitragen, eine noch häufige, aber stark abnehmende Art besser zu schützen. Sie wollen auf den schleichenden und unbemerkten Rückgang einer Möwenart aufmerksam machen, die sowohl an den Küsten als auch in Städten zum vertrauten Bild gehört.
Steffen Gruber, Geschäftsführer von „Jordsand“, räumt ein, dass die Lachmöwe eine Vogelart sei, „die scheinbar noch häufig bei uns zu beobachten ist“. Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Bestandszahlen überregional stark rückläufig seien und ihre Brutgebiete stark gefährdet sind. Es gelte daher, „frühzeitig Schutzmaßnahmen für diese wunderschöne Möwenart zu ergreifen“. Diese müssten darin bestehen, die noch verbliebenen Lebensräume zu bewahren und – wo nötig – in einen besseren ökologischen Zustand zu versetzen.
Nach Veröffentlichungen der „Riffreporter“ nimmt die Zahl der Lachmöwen überall in Europa stark ab. In Deutschland hätten Zählungen einen Bestandsrückgang um 25 Prozent innerhalb weniger Jahrzehnte ergeben. In einigen Regionen sei die Lage noch dramatischer. So habe ihre Art im gewässerreichen Nordrhein-Westfalen inzwischen sogar in die zweithöchste Stufe der Roten Liste als „stark gefährdet“ eingestuft werden müssen. Der Bestand sei um 80 Prozent zurückgegangen. Die Zerstörung von Feuchtgebieten sei einer der Gründe für den Rückgangs der Lachmöwen, „Früher brüteten Lachmöwen in Mitteleuropa überwiegend in Feuchtgebieten des Binnenlandes. Hier bauten sie ihre Bodennester gerne in Verlandungszonen größerer Seen und in Auen von Flüssen. Auch Moore und dauerhaft überflutete Wiesen boten geeignete Lebensräume. Mit deren zunehmender Zerstörung durch Entwässerung und den Klimawandel verloren die Lachmöwen ihren Lebensraum und wanderten zunehmend in die Küstenregionen ab, wo sie bis heute ihre Hochburgen haben.“ Der Begründung, dass der Seevogel auch ein Opfer der Intensivlandwirtschaft ist, stimmen auch die Beobachter der „Rußweiher-Szene“ zu.
Die „Riffreporter“ argumentieren: „Lachmöwen suchen zur Zeit der Jungenaufzucht vor allem auf Wiesen und Äckern nach Nahrung. Dort haben sie es hauptsächlich auf Regenwürmer abgesehen, die mehr als die Hälfte der Nahrung der Jungvögel ausmachen. Wie andere Organismen leiden aber auch Regenwürmer unter der intensiven Düngung und Behandlung der Böden mit Pestiziden. Nach wissenschaftlichen Analysen ist deshalb Nahrungsmangel für den Nachwuchs das größte Problem.“
Die Ursachen dafür, dass nicht ausreichend Jungvögel flügge werden, um den Bestand langfristig zu sichern, sehen die Riff-Reporter neben dem Problem mit der Intensivlandwirtschaft im verheerenden Dauerausbruch der Vogelgrippe in den vergangenen Jahren. In ihrem Negativresümee argumentieren sie des Weiteren: „Auch eingeschleppte Fressfeinde wie Waschbär, Wanderratte, Marderhund und Mink erschweren den Vögeln überall in Deutschland das Überleben, indem sie die Gelege oder Jungvögel der auf dem Boden brütenden Möwen fressen.
Nicht zuletzt setzt auch der Klimawandel den Möwen zu. Sommerhochwasser entlang der Küste überfluten immer häufiger Kolonien mit Nestern und zerstören so den gesamten Nachwuchs mit einem Mal. Im Binnenland trocknen immer mehr Feuchtwiesen aus. Der Vorliebe für diese nassen Binnenland-Lebensräume verdankt der Vogel übrigens seinen Namen: Lache ist dort ein gebräuchlicher Ausdruck für flach überschwemmte Wiesen.“ In den vergangenen Tagen hat die Anzahl der Möwen am Obersee zwar noch etwas zugenommen. Ihre Anzahl liegt jedoch deutlich unter der vergangener Jahrzehnte, als sie zur Kirschenzeit sogar in heimischen Obstbäumen ‚ernteten‘.
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