Eslarn
28.08.2020 - 13:46 Uhr

Als Albert nicht auf den Eslarner Stückberg fuhr

Wer 40 Jahre lang Schülergenerationen chauffiert, weiß vom Zuhause der Kinder und Jugendlichen mehr, als den Eltern lieb sein kann. Albert und Emma Bauriedl waren weit mehr als Busfahrer. Das ihnen Anvertraute hüten sie wie einen Schatz.

Am Steuer des kleinen Busses saß Emma Bauriedl, während Albert den großen Linienbus fuhr. In strengen Wintern sei der kleine Bus die größere Herausforderung gewesen, sagt Albert. Bild: Eichl
Am Steuer des kleinen Busses saß Emma Bauriedl, während Albert den großen Linienbus fuhr. In strengen Wintern sei der kleine Bus die größere Herausforderung gewesen, sagt Albert.

Das busfahrende Ehepaar, beide sind inzwischen Anfang 70, hat weit über das Rentenalter hinaus die Schülerlinie Eslarn-Waidhaus bedient, die Corona-Pandemie hat Emma und Albert den Absprung ein wenig leichter gemacht. Trotzdem kämpfen beide mit den Tränen, wenn sie sich erinnern und vergegenwärtigen, dass die Erinnerungen Vergangenheit sind. Dass keine neuen Erlebnisse mit Buskindern dazu kommen werden.

Wie die Jungfrau zum Kind

Die Schülerbeförderung war für Bauriedls nicht nur ein sicheres Standbein ihres kleinen Busunternehmens, sie war ein Teil ihres Lebens. Ein Lebensteil, das beide fest verwoben hat mit der Gemeinde Eslarn, mit so vielen Familien - und natürlich auch mit Generationen von Lehrern. Dabei ist Albert Bauriedl zum Busfahren gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind.

"Plötzlich eine Schulbuslinie"

In die Fußstapfen des Vaters, einem Schmied und Hufschmied, will der junge Albert nicht treten. Er hat mit Pferden schlechte Erfahrungen gemacht, kann sich nicht vorstellen, sich unter diese großen Tiere zu bücken und ihnen die Hufe neu zu beschlagen. Also lernt er das Kfz-Handwerk, macht den Meister und macht sich mit einer kleinen Werkstatt selbstständig. Ein paar Jahre fährt er nebenbei Lkw. Die damals weithin bekannte Eslarner Blasmusik, in der er ein Flügelhorn spielt, hat immer wieder Probleme, einen Fahrer zu finden, wenn sie auswärts gastiert. Er hat als Kfz-Meister als einziger einen Lkw-Schein, zum Bus-Schein zur Personenbeförderung ist es da nicht mehr so weit. Die Kapelle liegt ihm immer öfter in den Ohren, den Schein zu machen, damit er sie fahren kann. Zu der Zeit gerät ein Eslarner Busunternehmen, das einem Schulkameraden gehört, in Schieflage; ein Unternehmen, in das Albert Bauriedl Geld investiert hat. Er holt sich Rat bei einem später bayernweit bekannten Eslarner Rechtsanwalt: Gustl Lang. Der rät ihm, dem Unternehmen einen Bus abzukaufen. Den Bus bekommt er - und nicht nur den Bus: „Dann hatte ich plötzlich eine Schulbuslinie.“

Gemeinden heilfroh über Ersatz

Mit den Gemeinden Eslarn und Waidhaus ist er sich schnell einig, die sind heilfroh, dass mitten unter dem Schuljahr der Betrieb der Buslinie nahtlos weitergeht. Zu dem großen Linienbus kommt bald ein Kleinbus, denn es zeigt sich schnell, dass die weit verzweigten Weiler und Dörfer rund um Eslarn und Waidhaus damit besser zu erreichen sind als mit dem großen Bus. Hinter das Steuer des Kleinbusses setzt sich eine unerschrockene Emma Bauriedl, die als gelernte Verkäuferin im Hauptberuf die Eslarner Filiale des Tännesberger Kaufhauses Grötsch leitet. Sie holt von den Einöden die Schulkinder zusammen, ehe sie den Laden aufsperrt. Und wird wie ihr Mann zur Vertrauten ganzer Schülergenerationen.

Winter, die noch Winter waren

„Ich kannt a Bäichl schreim“, sagt Albert Bauriedl, während er sinniert über so viele Jahre am Steuer seines großen Busses. Winter fallen ihm ein, die noch Winter waren. Winter mit meterhohen Schneewänden an beiden Straßenseiten. Vor allem Emma habe es da nicht leicht gehabt mit dem kleinen Bus, sagt er. Sein großer sei wie ein Panzer auf der Straße gelegen, aber der kleine. Und Emma nickt. Da habe es schon Situationen gegeben…

Eslarn24.08.2020

„Wir hatten viel Glück“, wiederholen beide immer wieder. Albert erinnert sich an einen Skitag an der Eslarner Schule. Auf den Stückberg soll er Schüler und Lehrer fahren, als von einer Minute auf die andere ein Schneegestöber die Straßen zu Rutschbahnen macht. Er erklärt dem Rektor, dass er unter diesen Umständen keinesfalls auf den Berg fährt. Dort ist man ratlos, die Kinder stehen gestiefelt und gespornt zum Skitag bereit. Albert schlägt vor, Schüler und Lehrer am Fuß des Bergs auszuladen, müssen diese eben hochmarschieren, „raufgefahren wär´ ich da niemals“. Als ein paar Lehrer dann versuchen, ihn zur Fahrt auf den Berg zu überreden, kommt von oben ein Langholzfuhrwerk quer zur Fahrbahn heruntergerutscht und beendet die Diskussion sehr schnell. „Der hatte keine Chance, das Fahrzeug zu halten. Da hab´ ich zu den Lehrern gesagt: Habt´s das gesehen, wo wir jetzt wären?“

"Das haben wir gut gemeistert"

Albert und Emma Bauriedl halten immer wieder bewegt inne, wenn sie erzählen. Es ist ja auch nicht selbstverständlich, dass man Kinder fährt, deren Eltern man schon im selben Alter hinter sich auf den Bussitzen hatte. Das Ehepaar hat die Entwicklung vieler Familien miterlebt. Hat gesehen, wie aus vorlauten Halbstarken verantwortungsbewusste Väter geworden sind, aus stillen Mauerblümchen erfolgreiche Frauen. Albert sagt schlicht: „Es war eine schöne Zeit.“ Und Emma fügt an: „Das haben wir gut gemeistert.“

Das Loch, in das beide im ersten Moment gefallen sind, ist inzwischen zugeschüttet. Emma Bauriedl genießt es jetzt, morgens viel Zeit zu haben für die Zeitung und sich dann ihrem Garten so lange widmen zu können, wie sie mag. Und Albert ist zu dem Schmied geworden, der er nie sein wollte: Die filigranen Rosen aus Stahl, die auf dem Tisch stehen, hat er geschmiedet. So wie die vielen Figuren in Emmas Garten. Woher er das kann? „Naja, a bissl hat ma dem Vater über die Schulter gschaut.“

Bürgermeister Rainer Gäbl (rechts) hat Emma und Albert Bauriedl im Rathaus verabschiedet; mit im Bild Mia, die Enkelin der Bauriedls, und der Bürgermeister-Hund. Bild: Markt Eslarn
Bürgermeister Rainer Gäbl (rechts) hat Emma und Albert Bauriedl im Rathaus verabschiedet; mit im Bild Mia, die Enkelin der Bauriedls, und der Bürgermeister-Hund.
 
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