Niemand hatte es vorher ahnen können, dass die sehr seltene Kuhart aus der Schweiz in der Eslarner Außenstelle von Gut Aiderbichl ein Kalb zur Welt bringen würde. Bei einem Evolèner handelt es sich um eine sehr alte Schweizer Rinderrasse, die von Grund auf sehr kräftig bemuskelt ist, verhältnismäßig lange Hörner hat und ein hohes Aggressionspotential in sich trägt.
Das rotbraun-weiß gescheckte Hausrind "Spächtli", ein vom Aussterben bedrohter Evolèner, lebte zunächst in einem Laufstall mit Mutterkuhhaltung, konnte sich auf einer Weide in der Schweiz gemeinsam mit Artgenossen frei bewegen und das Leben genießen. Doch von einem Tag auf den anderen musste sich der Vierbeiner von seiner Freiheit verabschieden und kam in einen engen Mastbetriebsstall mit Anbindehaltung.
Kuh verschwindet im Wald
Tag und Nacht versuchte sich die Kuh, von der Kette zu befreien und wurde total störrisch. Besser hatte es das unzufriedene und unberechenbare Tier beim nachfolgenden Besitzer. Als "Spächtli" eines Tages auf die Weide durfte, nahm sie die Gelegenheit zur Flucht wahr und büxte aus. Die kräftige Kuh war nicht zu halten und verschwand in den angrenzenden Wäldern. Fast einen Monat hielt sie sich im Wald versteckt, ganz auf sich alleine gestellt. Ihr Vertrauen in die Menschen war zerstört. Die Ausreißerin war nicht mehr auffindbar und im Kanton Bern wie der legendäre Wilhelm Tell in aller Munde. Letztendlich konnte auf Bitten vieler Menschen das Tier mit Hilfe zweier "Lockrinder" von Aiderbichl-Spezialisten eingefangen werden. Der Herdentrieb war wohl wichtiger als die alleinige Freiheit. Auch für diese Kreatur galt das von der Stiftung Gut Aiderbichl fortan bestehende Motto: Das Tier einfangen, damit die vom Aussterben bedrohte Tierrasse ihren Lebensabend auf einem Gnadenhof verbringen kann. Damit nahm die beispiellose Odyssee ein glückliches Ende, und die sehr seltene Kuhart ging in den Besitz von Gut Aiderbichl über.
In deren Auftrag machte sich Michael Meckl von der Eslarner Außenstelle auf den Weg in die Schweiz und holte das Tier über Baden-Württemberg auf den Gnadenhof nach Bayern. Zuvor mussten noch zahlreiche grenz- und länderübergreifenden Formalitäten erledigt werden.
In Eslarn ahnte niemand, dass die Milchkuh nach einigen Wochen einen kleinen Bullen zur Welt bringen wird. "Das kaum zwei Wochen junge Kalb hat noch keinen Namen und wird von den Verantwortlichen vom Gut Aiderbichl noch einen zugeteilt bekommen", erklärt Verwalter Michael Meckl und sein gleichnamiger Vater.
Fell glänzt, Augen strahlen
Inzwischen hat sich das seltene Rind gut eingelebt, lässt ihr Kleines nicht mehr aus den Augen und verteidigt es gegenüber größeren Artgenossen. Körperlich sieht "Spächtli" prächtiger denn je aus, sie hat ein glänzendes Fell, ist fit und ihre großen, liebevollen Augen strahlen.
65 Rinder, 110 Schafe, Ziegen und Pferde genießen in Eslarn die Idylle auf rund 60 Hektar Grünfläche. Hier befindet sich seit 2013 einer der 26 Aiderbichl-Höfe, die in Europa zum größten Gnadenhof-Verbund gehören. Sie versorgen gerettete Tiere bis an ihr natürliches Lebensende.
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