"Vor 35 Jahren hätte man noch die Teilnehmer an unserer Veranstaltung als Todeskandidaten betrachtet", sagt Armin Nentwig, Bundesvorsitzender des Vereins "Schädel-Hirnpatienten in Not". Man habe den Koma-Patienten keinerlei Lebensrecht und auch keine Überlebenschancen eingeräumt. "Es gab damals auch bundesweit fast keinerlei Facheinrichtungen, die sich mit der Rehabilitation für diese Menschen befassten."
Inzwischen ist das anders. Davon zeugen die rund 35 Teilnehmer an der Fachtagung der Wiedererwachten aus Koma oder Wachkoma. Betroffene und Angehörige sitzen im Saal des Hotels Wolfringmühle in einer Runde und diskutieren, was erreicht und was zu verbessern ist. Vielen hier hat man vor Jahrzehnten gesagt, dass ihr Fall aussichtslos ist, und doch haben einige auch noch nach über einem Jahr Fortschritte gemacht.
Es sind viele tragische Schicksale, die hier für vier Tage aufeinandertreffen, in denen es um Medizin geht, um Erfahrungsaustausch oder einfach darum, dem Ärger über einem Mangel an Pflegekräften und Therapie-Einrichtungen Luft zu machen. "Man findet einfach keinen Kurzzeitpflegeplatz", klagt eine Frau. "In den letzten 20 Jahren ist viel passiert, aber man rennt immer hinterher", bestätigt Rüdiger Erling vom bayerischen Landesamt für Pflege. Vieles sei eine Strukturfrage: Sonderfälle bräuchten eine sehr spezielle Versorgung, man müsse da genau hinschauen und Beratungsangebote passgenau weiterentwickeln. Was das für Fälle sind, verdeutlicht Neurochirurg und Chefarzt a.D. Dr. Richard Megele.
"Wenn ein Patient mit dem Hubschrauber kommt, dann ist eigentlich alles eingetaktet", erklärt der Mediziner und macht klar, dass kaputtes Gewebe nicht repariert werden kann. Was die Ärzte dann aber tun könnten sei "Platz schaffen im Kopf", um weitere Schäden beispielsweise durch ein Ödem zu verhindern. Wie es nach gelungener OP und Entlassung eines Patienten weitergeht, davon hört er in der Regel nichts. "Da fehlt eine Schnittstelle", bedauert der Mediziner, für den Sätze wie "Aus dem wird nichts" heute undenkbar sind.
Erst durch den Aufschrei der Betroffenen und Pflegekräfte habe sich etwas geändert, rekapituliert Nentwig und verweist auf eine bundesweite neurologische Rehabilitations-Palette. Allerdings gebe es noch viel zu tun.
"Wir Pflegende sind am Ende und oft auch am Existenzminimum", klagt eine Frau aus der Runde, während andere von komplizierten Wegen zum richtigen Hilfsmittel oder zur passenden Betreuung berichten. "Es wird an jeder Ecke gespart", bedauert ein Betroffener. "Wir werden diese Anliegen und Fragen dem Staatssekretär im Gesundheitsministerium vorlegen", kündigt Nentwig an. In der Schicksalsgemeinschaft der Betroffenen sieht er die Chance für Änderungen: "So ein Treffen macht Mut, weil alle sehen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind." Was von der Medizin zu erhoffen ist, bleibt offen. "Wer weiß, was der Computer noch bringt", spekuliert Neurologe Megele, "vielleicht haben wir eines Tages Chips im Kopf".
Schädel-Hirnpatienten in Not
- Gegründet: 1990
- Mitglieder: rund 3000
- Zielsetzung: vertritt bundesweit die Interessen von Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma, wiederbelebten Personen, Patienten mit schwerem Schlaganfall, Hirnblutung sowie Patienten im Koma und Wachkoma (Apallisches Durchgangssyndrom); aktuell rund 3000 Mitglieder
- Info: bundesweite Notruf- und Beratungszentrale in Amberg unter Telefon 09621/64800, Internet: www.schaedel-hirnpatienten.de
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