Carina Kienast nimmt 80 Kilo ab: Warum zahlt die Krankenkasse die Hautstraffung nicht?

Floß
05.06.2023 - 18:19 Uhr
OnetzPlus

Eine Flosserin verliert 80 Kilogramm Gewicht. Die übrige Haut entzündet sich, stört und schmerzt. Eine Straffung für Tausende Euro bezahlt die Krankenkasse aber nicht. Es geht um die Frage: Wo beginnt Kosmetik, wo Krankheit?

Wenn Carina Kienast schläft, versucht sie, sich nicht zu sehr auf ihre Hautlappen zu legen. Sonst tut es weh. Sie trägt BH, auch im Bett, um ihre Brüste nicht einzuklemmen. Wenn die Reinigungskraft an der Grundschule in Floß einen Badspiegel putzt, legt sie ihren Bauch auf dem Waschbecken ab. Damit er nicht im Weg ist. Im Sommer trägt sie auch bei 35 Grad lange Hosen, möglichst Leggins, obenrum eine Jacke. Kurzärmelig fühlt sie sich Blicken ausgesetzt.

Die Lebenslinie von Carina Kienast verläuft selten gerade. Es wirkt, als hätte das Schicksal sie auf einen Weg geschickt, der ihr kaum eine Herausforderung erspart, sie ein ums andere Mal an ihre Grenzen bringt. Es sind krumme, außergewöhnliche Pfade. Sie ist alleinerziehende Mutter dreier Kinder. Das kleinste ist erst drei Monate alt, die älteste Tochter wird bald acht. Ihr Sohn Julian, fünf Jahre, ist Autist, ein schwerer Fall. Er muss getragen, gewickelt, gewendet und ständig umsorgt werden.

Kienast hat in den vergangenen zwei Jahren 80 Kilogramm abgenommen. Ausgangsgewicht: 160 Kilogramm. Teilweise sei die Fettleibigkeit familiär bedingt. Bei ihrer ersten Schwangerschaft legte sie 30 Kilogramm zu, dauerhaft. "Mein Höchstgewicht war aber angegessen", sagt sie. Die Auslöser: Frust, Stress, Alleinsein.

Teil des Magens entfernt

Rückblick in den April 2021. Kienast will etwas ändern. Sie erträgt ihr Gewicht nicht länger. Nach einer Bypass-OP am Magen isst sie deutlich weniger. Der verkleinerte Magen kann schlicht nicht mehr so viel aufnehmen. Durch Disziplin verliert sie zunächst "von alleine" 40 Kilogramm. Sie macht weiter, kämpft. Heute wiegt sie etwa 77 Kilogramm. Eine schier unglaubliche Veränderung. Wer der jungen Frau die Hand schüttelt, sie zum ersten Mal sieht und mit Bildern aus der Vergangenheit vergleicht, glaubt an zwei verschiedene Personen.

Nur: "Die Füllung verschwindet, die Hülle nicht." Eine Abnahme um die Hälfte des Ausgangsgewichts lässt Hautlappen zurück. Sogenannte Fettschürzen. Haut, die Kienast, wie sie selbst sagt und beschreibt, stark einschränkt. Falten am Bauch etwa, die sich entzünden und Brutstätten für Pilzinfektionen sein können. Was wenig ästhetisch klingt, ist für Kienast vor allem schmerzhaft.

Wo beginnt Krankheit?

Heute, Ende Mai 2023, also zwei Jahre nach der OP, trägt Kienast einen neuen Kampf aus. Auf dem Küchentisch im zweiten Stock eines Wohnhauses in Floß, ihre Eltern wohnen im Erdgeschoss, liegen etliche Briefe. Schriftverkehr mit einer Krankenkasse in Weiden. Die 29-Jährige will sich die Hautlappen von einem Chirurgen entfernen lassen. Es ist ein üblicher Eingriff nach einer derart starken Gewichtabnahme. Ihr Hausarzt bestärkt sie. Ein plastischer Chirurg in Regensburg sei beim Vorgespräch "überrascht und geschockt" gewesen von dem Ausmaß der übrigen Haut.

Die Krankenkasse aber lehnt es ab, die Kosten für den Eingriff zu übernehmen. Für jede einzelne Stelle, die Kienast beantragt hatte. Oberschenkel, Oberarme, Bauch, Brust, Rücken. Ein fünffaches Nein. Hautstraffungen kosten je nach Ausmaß und pro Körperstelle bis zu 10 000 Euro. Nichts, was Kienast mal eben aus der Hosentasche bezahlen wollte.

Ihre Entscheidung begründet die Kasse so: Es bestehe keine medizinische Notwendigkeit für den Eingriff. Im Kern heißt es, Kienast könne ihre Hautlappen mit Kleidung überdecken und die Entzündungen behandeln lassen. Gelenk- und andere Körperfunktionen seien nicht eingeschränkt. "Eine Krankheit im Sinne des Gesetzes liegt nicht vor." So schreibt es auch der Medizinische Dienst in Weiden in seinem Gutachten, das Oberpfalz-Medien einsehen konnte. Eine Hautärztin unterstellt Kienast bei ihrem Besuch, sie wolle sich ein Gefälligkeitsgutachten abholen.

Dass Kienast durch ihre familiäre Situation weitaus stärker belastet ist als andere Patienten, taucht in der Argumentation der Kasse nicht auf. Dass sie psychisch an Grenzen stößt, Öffentlichkeit möglichst meidet, "keinen Alltag, kein Wohlbefinden, kein Leben" habe, bleibt unerwähnt.

Letzte Hoffnung: Sozialgericht

In ähnlichen Fällen entschieden Gerichte bereits zugunsten der Patienten. Etwa das Sozialgericht Osnabrück, das 2018 einer Patientin eine Hautstraffung per Kassenleistung zusprach, "obwohl keine funktionellen Einschränkungen mit Krankheitswert" vorgelegen hätten. Darüber berichtete der "Spiegel". Die Frau hätte in diesem Fall gedroht, "zu vereinsamen". Körperliche Krankheiten sind vor Gericht also nicht die einzige Richtschnur für oder gegen eine Kassenleistung.

Deshalb lässt sich Kienast nun vom VdK vor dem Sozialgericht vertreten. Sie geht juristisch gegen den Bescheid und das Gutachten vor. Argumente hat sie einige im Gepäck. Ob sie reichen? Nach einem ersten Gespräch mit dem VdK schöpft Kienast Hoffnung. Gegenüber Oberpfalz-Medien sagt Johannes Schießl vom VdK Weiden: Es sei ein schmaler Grat zwischen medizinischem und kosmetischem Eingriff. Bei Kienast läuft wohl alles auf eine komplexe und langwierige Einzelfallentscheidung hinaus. Sie wird Geduld brauchen.

"Manchmal" – Kienasts Stimme, ansonsten sehr fest und selbstbewusst, wird jetzt leiser, – "manchmal bereue ich die OP. Dann sitze ich am Abend auf der Couch und denke, ich hätte lieber so bleiben sollen, wie ich war." Der Krankenkasse sage sie das besser nicht. "Sonst schicken die mich zum Psychologen, und es heißt, ich müsse meinen Körper zu akzeptieren lernen."

Entzündungen, Schmerzen, die Quälerei in der Nacht, all das lässt sich dadurch aber nicht lindern.

Hintergrund:

Was ist ein Magen-Bypass?

  • Verkleinerung des Magenvolumens durch Umgehung (Bypass)
  • Oberer Teil des Magens wird direkt mit dem Dünndarm verbunden
  • Empfehlung nur bei krankhaft fettleibigen Patienten
  • Sättigungsgefühl nach geringen Nahrungsmengen
  • Sehr rasche Gewichtsabnahme möglich
 
 

Kommentare

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Monika Kirschner

Unsere Krankenkassen müssen dringendst lernen, dass Einzelfallentscheidungen den ganzen Menschen und auch die gesundheitliche Zukunft ihrer Kunden im Blick haben müssen. Alle Beschwerden, die chronifizierbar sind, so auch Entzündungen oder Pilzerkrankungen, und die besondere psychische Belastung sind Faktoren, die nicht kurzfristig, sondern mittel- und langfristig zu bedenken sind. Gerade im Interesse einer soliden, vorausschauenden und klugen Gesundheitsversorgung darf es nicht so bleiben, dass die Kassen immer bis zu den Sozialgerichten streiten. Das ist nicht nur menschlich unerträglich, sondern auch kaufmännisch grober Unfug.

06.06.2023
Elke Lanz

Da wären wir wieder bei der A.K mit Ihrem Medizinischen Dienst. Vor allem wirst du nicht angesehen aber können eine Diagnose stellen. Aus dem Verein bin ich raus. Die haben mich noch zusätzlich nervlich fertig gemacht. Leider darf ich den Namen der Frau nicht nennen. Sie ist aber vielen Leuten bekannt.

Mach dein Ding und lass dich nicht beirren. Es ist ein verdammt schwerer Weg aber mit dem VDK an Deiner Seite bist du gut beraten.
Viel Glück
Elke

05.06.2023