Vor 78 Jahren befreiten US-Truppen das Konzentrationslager Flossenbürg. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hob in seiner Ansprache in der Gedenkfeier am Sonntagnachmittag in der Gedenkstätte die Notwendigkeit hervor, freiheitliches Leben zu verteidigen. Leon Weintraub, einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers, nannte es eine wichtige Aufgabe den Menschen zu lehren, ein Leben lang Mensch zu sein und zu bleiben.
Nach Fanfarenstößen der Ehrenkompanie der polnischen Armee begrüßte Gedenkstellenleiter Jörg Skriebeleit die vielen Gäste aus dem gesamten öffentlichen und politischen Bereich Bayerns, der israelischen Kultusgemeinde Bayerns und Deutschlands, erstmals die israelische Generalconsulin, Abordnungen aus den Heimatländern der ermordeten Häftlinge und vor allem die anwesenden überlebenden ehemaligen Häftlinge. „Sie alle tragen ihre Familiengeschichten mit sich“, sagte Skriebeleit in Richtung der vielen Hinterbliebenen, die ebenfalls den Weg nach Flossenbürg gefunden hatten. Und als der Leiter der Gedenkstätte Hinterbliebene persönlich ansprach, versagte ihm mehrfach die Stimme.
Karl Freller
Karl Freller, Vizepräsident des Bayerischen Landtags und Direktor der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten, hieß namentlich die anwesenden Überlebenden des Konzentrationslagers willkommen. Martin Hecht, Eric Hitter, Shlomo Selinger, Josef Salomonovic, Leszek Zukowski, Herzog Max von Bayern und letztlich der spätere Redner Dr. Leon Weintraub saßen bei dem Gedenkakt in der ersten Reihe. Freller versicherte, dass alle Vertreter des Bundestages und des Landtages hinter der Arbeit der KZ-Gedenkstätte stehen.
Im Besonderen sprach Karl Freller die kürzliche erfolgte Einweihung der Gedenktafel für die Opfergruppe der Zeugen Jehovas an. Diese Gruppe widersetzte sich wie keine andere christliche Religionsgemeinschaft mit einer unvergleichbaren Unbeugsamkeit dem NS-Regime. Der Vizepräsident des Bayerischen Landtags hob die Notwendigkeit hervor, sicherzustellen, dass sich solche schrecklichen Verbrechen niemals mehr wiederholen dürfen. Die Gedenkfeier müsse das Bewusstsein für die Geschichte aufrechterhalten, sagte Freller. Damit verbunden müsse aber auch sein, die Zivilcourage zu pflegen und freiheitliche Demokratie wehrhaft zu verteidigen.
Joachim Herrmann
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann betonte, dass selbst nach so langer Zeit diese KZ-Gedenkstätte die Menschen noch immer mit tiefer Bestürzung und Scham erfülle. „Hier zeigt sich, wie kostbar unser freiheitliches Leben ist, dass wir diese Werte verteidigen müssen.“ Die Gedenkkultur sei deshalb wichtig, nicht nur als Mahnung die Vergangenheit zu sehen, sondern auch als unmissverständlicher Appell für Gegenwart und Zukunft.
Der bayerische Innenminister dankte auch allen KZ-Überlebenden, sich als Zeitzeugen des Grauens unermüdlich in der Erinnerungsarbeit zu engagieren. In diesen Dank schloss Herrmann auch die Mitarbeiter der Gedenkstätte mit ein. Dass ein Leben in einer stabilen Demokratie alles andere als selbstverständlich sei, zeige sich im Angriffskrieg auf die Ukraine. „Es ist wichtig und richtig, dass wir dem ukrainischen Volk gegen diese Aggression auch mit Waffen und schwerem Geschütz beistehen“, betonte der Minister.
Heinrich Bedford-Strohm
Der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm nannte den feierlichen Gedenkakt „keine Routine“. Diese Gedenkakte seien vielmehr notwendig, auch wenn manche Kritiker sie als „erstarrte und wirkungslose Rituale“ und zur Gewissenberuhigung betrachten würden. Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg sei das Musterbeispiel dafür, wie auch heute Menschen von der Erinnerungskultur erreicht werden können, besonders aber unter Einbeziehung der Jugend. Der Landesbischof hob die Dringlichkeit einer öffentlich sichtbaren Erinnerungskultur hervor, um an die unfassbare Missachtung der Humanität in Flossenbürg, wie auch anderen Orten, zu erinnern. „Nur ein bleibendes Erschrecken hilft, unseren inneren Seelenkräften gegen die heutige Verletzung der Humanität Widerstandskraft zu geben."
Im Besonderen sprach Landesbischof Bedford-Strohm das Schicksal des Theologen Dietrich Bonhoeffer an, der am Morgen des 9. April 1945 hingerichtet wurde. Doch in der Gesamtheit seien viele menschlich kostbare Persönlichkeiten in Flossenbürg ermordet worden, von denen jeder Einzelne es wert sei, sich auch noch 78 Jahre danach zum Gedenken zu versammeln. Die Würde des Menschen gelte für alle gleich, betonte der Landesbischof. „Möge uns die Erinnerung an die Vergangenheit helfen, in der Gegenwart und in der Zukunft die Humanität an die erste Stelle zu setzen.“
Leon Weintraub
Tief beeindruckend und ins Herz gehend folgte die Ansprache des 97-jährigen ehemaligen KZ-Häftlings Leon Weintraub. „Klein ist die Gruppe von Überlebenden, die noch in der Lage sind, an diesem Gedenktag teilzunehmen“, sagte Weintraub. Ausdrücklich hob der Redner den Einsatz der Mitarbeiter in der Gedenkstätte hervor, die das tragische Schicksal der Häftlinge nicht in Vergessenheit geraten lassen.
Klar Stellung bezog Leon Weintraub mit Blick auf die Entwicklung rechtsradikaler Gruppen, die mit Symbolen und Schlagworten sehr an Nazisymbole erinnern. Deshalb müsse eindeutig im Namen aller Ermordeten hingewiesen und gewarnt werden, wohin ein „degenerierter und inhumaner Nationalismus mit Feindlichkeit gegen Menschen anderer Kultur- und Religionsgemeinschaft" führen könne, betonte Weintraub. „Lasst die Erinnerung an den Holocaust nicht ins Vergessen geraten“, bat der ehemalige KZ-Häftling.
Er sprach aber auch die Situation in der Ukraine an, der zu wünschen sei, dass der rücksichtslose Aggressionskrieg Russlands erfolgreich beendet werde. Der Frauenarzt und Geburtshelfer schloss mit klaren Worten: "Neugeborene erblicken das Licht der Welt ohne Ansichten und Vorurteile. Ein Kind wird als Mensch geboren. Es ist die Aufgabe aller, zu lehren, ein Leben lang Mensch zu sein und zu bleiben."
An die Ansprachen schloss sich der Zug zu den Gedenktafeln im Tal des Todes an. Dort legten die Vertreter der vielen ausländischen Abordnungen an den jeweiligen Tafeln für umgebrachte Häftlinge aus ihrer Heimat Kränze nieder.
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