Wenn er sie sieht, bekommt Bernhard Piegsa glänzende Augen. Nein, es ist keine Frau und keine "Harley", die ihn begeistert, sondern - eine Landkarte. Die Bildwandkarte "Deutschland und angrenzende Gebiete" ist das erklärte Lieblingsstück in der kleinen privaten Kartensammlung des Historikers. Und so stand auch außer Frage, dass sie ihren Platz in der neuen Sonderausstellung "Vom Fels zum Meer - Deutschland auf Landkarten aus sechs Jahrhunderten" des Heimat- und Handfeuerwaffenmuseums finden würde.
"Neun Jahre lang, von 1925 bis kurz vor seinem Tod 1934, haben der damals berühmte Schriftkünstler Rudolf Koch und sein Team an dieser 'Einladung zu einem Spaziergang mit den Augen durchs ganze Vaterland' gearbeitet", weiß der Museumsbeauftragte des Kemnather "Heimatkundlichen Arbeits- und Förderkreises" (HAK). Was daraus entstanden sei, "war eine Liebeserklärung an Deutschland, in der sich Skepsis, Stolz und Hoffnung mischten und die einem gleichsam 'ewigen' Deutschland jenseits der 'Zeitströmungen' jener bewegten Jahre galt". Obendrein, so Piegsa in einer Mitteilung des Veranstalters, gebe diese Karte ein "treffliches Beispiel für die Landkarte als Disziplin der Gebrauchskunst" und stehe damit in einer jahrhundertealten Tradition.
Kunstvoll ausgeschmückt
Denn seit eh und je hätten gute Kartographen auch versucht, ästhetischen Ansprüchen zu genügen. Die Sonderausstellung in der Kemnather Fronveste, für die Piegsa überwiegend auf seine seit der Studienzeit aufgebaute Privatsammlung zurückgriff, bietet dafür einige Beispiele: "Vor allem die Kartengestalter des 17. und 18. Jahrhunderts haben Mühe auf eine üppige künstlerische Ausschmückung verwandt - vielleicht auch, um ein Stück weit über die noch ungenauen Kartenbilder hinwegzutäuschen, deren Schwächen ihnen sicher bewusst waren." Im 19. Jahrhundert seien die Darstellungen dann genauer, klarer und sachlicher geworden: "Aber auch viele dieser Arbeiten empfindet man noch immer als Schmuckstücke."
Freilich habe die Kartographie nicht nur Schönes und Nützliches hervorgebracht: "Das scheinbar objektive Medium Landkarte musste auch subtile oder plumpe politisch-stimmungsmacherische Polemik ins Volksbewusstsein tragen." Hierfür müsse man nicht einmal auf offensichtliche Propagandakarten verweisen, von denen die Ausstellung ebenfalls Exemplare zeigt. Selbst "Meyers Handatlas" von 1928 aus dem renommierten Lexikonverlag "Bibliographisches Institut" habe sich dem Zeitgeist dienstbar machen lassen: "Er zeigt das Deutsche Reich zwar in den zeitgenössischen Grenzen, über die aber augenfällig dick die Reichsgrenzen vor dem sogenannten 'Versailler Diktat' gedruckt waren", erklärt Piegsa: "In der Forderung, die als demütigend empfundenen Friedensbedingungen von 1919 zu revidieren, waren sich damals praktisch alle politischen Lager einig, und die Landkarten spiegeln das wider."
Ähnliches unternahmen die typischen bundesdeutschen Deutschlandkarten der 1950er und 1960er Jahre - wegen des bis in die Atlanten hinein ausgefochtenen "Kalten Krieges" zwischen Ost- und Westblock, aber auch aus innenpolitischen Erwägungen: "Bundeskanzler Konrad Adenauer wusste seit 1951, dass auch die Westmächte an einer Revision der faktisch bestehenden Nachkriegsgrenzen nicht interessiert waren. Aber wie würden die Bürger, vor allem die acht Millionen Heimatvertriebenen, auf diese Eröffnung reagieren? Also zog man es vor, mit einer Verewigung des 'Reiches in den Grenzen von 1937 die Illusion einer möglichen Rückgewinnung der Ostgebiete wachzuhalten." Erst Kanzler Willy Brandt habe ab 1969 gewagt, die Deutschen auf schmerzliche Einsichten einzustimmen: "Und auch da war die Unruhe noch beachtlich."
Einer "Kampfkartographie des Kalten Krieges" habe man aber auch in der DDR eifrig gefrönt, weiß Piegsa. Erst die "Entspannungspolitik" der 1970er habe an der "Kartenfront" beiderseits des Eisernen Vorhangs Ruhe einkehren lassen: "Unterschiedliche Staatsdoktrinen und Rechtsauffassungen hinterließen aber auch weiterhin ihre Spuren in Grenzdarstellungen und Staatsbezeichnungen."
Werdegang Deutschlands
"Das Grundgesetz und die Bundesrepublik werden heuer 75 Jahre alt - da schien es nicht abwegig, mit Hilfe kartographischer Darstellungen den Werdegang Deutschlands vom 'Heiligen Römischen Reich deutscher Nation' zu unserer heutigen 'Berliner Republik' mit Hilfe historischer Karten nachzuzeichnen", erklärt der Museumsbeauftragte die Motivation hinter der kartographischen Ausstellung. "Die Karten sollen zum Entdecken, aber auch zum Nachdenken anregen", meint Piegsa: "Wenn Deutschland heute nicht mehr als 'heiliges' Kaisertum bis nach Lothringen und an die Memel reicht, dann hat das historische Gründe, über die es nachzusinnen und aus denen es Lehren zu ziehen gilt."
Die ausgestellten Karten greifen sogar in eine Zeit zurück, in der es noch kein "Deutschland", sondern nur ein "Germanien" gab: Im 15. und 16. Jahrhundert entdeckte man die Aufzeichnungen des griechisch-ägyptischen Geographen und Astronomen Claudius Ptolemäus aus dem zweiten Jahrhundert nach der christlichen Zeitwende neu und fertigte Karten und Atlanten nach ihnen. Nicht selten mussten Fantasie und "Mut zur Lücke" ausfüllen, was an Kenntnissen fehlte: "Wo das Wissen versiegte, schrieb man 'Terra incognita' - unbekanntes Land. Aber trotzdem staunt der Betrachter, wie viel man schon vor gut 1800 Jahren über die Erde wusste."
Öffnungszeiten
- Bis 30. Juni zeigt das Heimat- und Handfeuerwaffenmuseum in der Fronveste, Trautenbergstraße 36, die Sonderausstellung „Vom Fels zum Meer – Deutschland auf Landkarten aus sechs Jahrhunderten“.
- Sonntags von 14 bis 16 Uhr geöffnet, am ersten Sonntag des Monats zusätzlich von 10 bis 12 Uhr.
- Der Eintritt ist frei.
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