"Nest" nennt Hans Weiß seine Tierauffangstation in Kümmersbuch. Der Zimmerer, Dachdecker und Spengler kümmert sich um verletzte, alte, ausgesetzte, wilde Tiere aller Art, pflegt und füttert sie. Aber nicht nur um Tiere. Er und seine Frau Stefanie helfen auch hilfsbedürftigen Menschen. Insbesondere einem kleinen Mädchen bieten sie seit Jahren ein warmes Nest: Nada aus dem Jemen ist ihre Pflegetochter geworden.
Seit ihrem vierten Lebensjahr ist Nada Al-Absi in zwei Welten unterwegs. Das Hammer Forum, eine Hilfsorganisation, die sich um die medizinische Versorgung von Kindern in Krisengebieten kümmert, brachte Nada nach Deutschland. In ihrem Dorf im Südwesten des Jemen konnte man ihr gebrochenes Schienbein nicht mehr behandeln: Entzündung, verkrümmte Knochen, zersetztes Fleisch, das Bein fast nicht mehr zu retten. Doch "es ist noch Leben im Bein", stellten die Ärzte im kooperierenden Klinikum St. Marien Amberg fest. Sie lehnten eine Amputation ab und ersetzten das zerstörte Schienbein durch Spenderknochen.
Hoffen und Bangen
Als eine Pflegefamilie für Nada gesucht wurde, meldete sich die Familie Weiß. "Anfangs hatte sie Angst vor mir", erinnert sich Hans Weiß heute, während sich Nada schmunzelnd an ihn schmiegt. Sie will nicht mehr denken an die Leidenszeit, die dann begann. Jahre voller Hoffen und Bangen, in denen Nadas Bein wieder brach, der Spenderknochen tot war, sie zur weiteren Behandlung zu Spezialisten in die Uni-Klinik Ulm kam.
Ein Jahr lang wurde sie behandelt. In Ulm war Stefanie Weiß immer dabei. Zwischendurch durfte Nada heim nach Kümmersbuch, wurde nachversorgt im Klinikum St. Marien. "Die Ärzte Dr. Schaudig und Dr. Bauer haben Nada kostenlos behandelt", erinnert sich Hans Weiß voller Dankbarkeit - immer in der Hoffnung, dass es gut geht, aber auch mit der Befürchtung, dass weiterhin operiert werden muss. "16 Eingriffe hat Nada bisher hinter sich", listet Weiß auf und ist sicher: "Weitere werden folgen müssen."
Das alles hat Nada unglaublich gut verkraftet. "Sie ist hart im Nehmen und außerdem ein Sonnenschein", bescheinigt ihr Stefanie Weiß. Weit weg von daheim, unter zunächst fremden Menschen, Schmerzen und Einschränkungen erdulden: Diese Haltung hat Hans und Steffi Weiß nicht nur total beeindruckt: "Wir haben sie ins Herz geschlossen", versichern beide. Wider Erwarten ging es mit Nadas Genesung dann doch bergauf. Sie konnte laufen und Rad fahren, ging in Hahnbach zur Schule, hatte Freunde. Dass ihr "Problem-Fuß" nicht mehr wächst, ist für sie und ihre Pflegeeltern kein Problem. "Wir müssen immer zwei Paar Schuhe kaufen, links Größe 32, rechts jetzt 36". Orthopädie-Schuhmacher Andreas Stief aus Sulzbach-Rosenberg, der die Anpassung kostenlos macht, ist einer von vielen Unterstützern der Familie Weiß.
Zurück in den Krieg
2016 hätte Nada in den Jemen zurückkehren müssen. Es war Krieg. Als zu diesem Zeitpunkt der Flughafen in Sanaa bombardiert wurde, blieb sie weitere zwei Jahre bei mittlerweile "Papa" und "Mama" in Kümmersbuch. Telefonischer Kontakt mit Nadas Mutter und Brüdern war all die Jahre über Whats-App möglich. "Wir wollten auf keinen Fall der Mutter ihr Kind wegnehmen", versichert Hans Weiß. Mittlerweile fiel es Nada schwer, mit ihrer Mutter Arabisch zu sprechen, es fehlten ihr die Worte. Trotzdem flog sie im Februar 2019 heim - in ein Land, in dem Krieg und Terror herrschen.
Nada war verzweifelt: "Papa, ich habe Angst, hol mich heim", flehte sie am Telefon, erzählte von bewaffneten Soldaten, Schießereien und Bomben. "Es war nicht mehr ihre Welt", sagt Stefanie Weiß. "Es war ein für sie fremdes, gefährliches Land." "Geweint haben wir nicht so viel", schildert Nada den Abschied von ihrer Mutter und den fünf Geschwistern. "Meine Mutter freut sich, dass es einem ihrer Kinder so gut geht." Ihre Rückkehr nach Deutschland aber war eine unglaubliche Odyssee, die die Familie Weiß an den Rand der Verzweiflung gebracht hat. "Es gelang nur, weil uns ganz viele Leute selbstlos geholfen haben", sagt Hans Weiß.
Da der Jemen keine deutsche Botschaft hat, musste ein Visum für Nada in einem andern Land beantragt werden. Ein Jemenit nahm das Mädchen im Flieger mit in den Sudan, dessen deutsche Botschaft in Karthum aber wegen Unruhen geschlossen war. Nada kam bei einer und später einer weiteren fremden Familie unter, bis sie nach 200 Dollar "Bakschisch" nach Kairo ausfliegen durfte. Das Ehepaar Weiß reiste mit allen vom Ausländeramt Amberg ausgestellten erforderlichen Papieren nach Kairo. Dort wurden die beiden aber von der deutschen Botschaft regelrecht im Regen stehengelassen, vertröstet, arrogant und abfällig behandelt, berichten sie. "Aus lächerlichen Gründen wurde das Visum abgelehnt: Nada durfte nicht ausfliegen, sie reagierte panisch und wir waren am Boden zerstört."
Wieder daheim, schalteten Hans und Steffi Weiß einen Anwalt ein, besorgten sich ärztliche Atteste, die besagen, dass Nada an Leib und Seele gefährdet ist und wandten sich schließlich hilfesuchend an einen Politiker ihres Vertrauens. Dann ging alles reibungslos. Hans Weiß flog wieder nach Kairo, holte Nada ab, brachte sie heim. Letzte Hürde: Immer wieder musste er Fragen beantworten, warum er als erwachsener Mann allein mit einem kleinen Mädchen unterwegs ist.
Daheim in Kümmersbuch
Nun ist Nada daheim in Kümmersbuch. Sie scheint die schrecklichen Erlebnisse überwunden zu haben, lebt wie jeder andere Teenager. Sie hat Freundinnen in Hahnbach, geht Schwimmen, auf den Spielplatz und war Stammgast am Frohnberg bei Bratwürsten mit Ketchup. Die Rehpinscher-Dame Emma, der irische Wolfshund Sepp und ihre beiden "Geschwister" Johann und Patricia lieben sie.
Ihre "Mama" und ihr "Papa" haben das elterliche Sorgerecht für sie beantragt, unterstützen sie beim Lernen und wollen auch, dass sie die Muttersprache, Religion und die Sitten ihres Heimatlandes nicht vergisst. Hans Weiß sagt: "Unser Wunsch wäre, dass sie bei uns lebt und in die Schule geht und - wenn dort wieder Frieden herrscht - in den Ferien daheim ist bei ihrer Familie im Jemen." Und Nada sieht das auch so: "Ja, das wäre super!"
Im Blickpunkt
„Allein hätten wir es nicht geschafft“: So fasst Stefanie Weiß die vergangenen Jahre und Monate zusammen. Sie und ihr Mann sind allen dankbar, die mit Tatkraft und auch finanzieller Hilfe dazu beigetragen haben, Nada aus dem Jemen zurückzuholen. „Es waren ebenso deutsche wie arabische Mitmenschen, denen wir von Herzen danken.“
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