Der Podcast mit Stephanie Becher:
Jeder Tag zählt. "Das haben sie mir jeden Tag gesagt", erklärt Stephanie Becher. Dieser Satz war der ständige Begleiter während ihres Klinik-Aufenthalts, der am Ende fünf Monate dauern sollte. Er hat sich ihr eingebrannt. Sie sei abends mit diesem Satz schlafen gegangen. Am darauffolgenden Morgen ging der erste Kontrollgriff dann immer sofort auf den Bauch, sagt die 35-Jährige aus Kulmain (Landkreis Tirschenreuth).
Stephanie Becher hat im Juni 2014 ihren Sohn zur Welt gebracht. Doch es lief nicht wie geplant. Der kleine Leon musste schon in der 27. Schwangerschaftswoche per Not-Kaiserschnitt geholt werden. Er wog bei seiner Geburt gerade einmal 660 Gramm und war 30 Zentimeter groß. "Dieses Kind war einfach überhaupt nicht fertig", sagt Stephanie Becher.
Es sei eine furchtbare Zeit gewesen, die mit einem komischen Gefühl begonnen hatte, wenn beispielsweise wieder einmal die Routineuntersuchungen anstanden. "Ich habe immer diese glücklichen Mamas da sitzen gesehen und mir gedacht: 'Also irgendwas mache ich falsch'", erklärt Stephanie Becher. Das komische Gefühl der werdenden Mutter trügte nicht. Bei ihr wurde das sogenannte HELLP-Syndrom diagnostiziert. Dieses gilt als schwere Komplikation. Hier treten beispielsweise Störungen der Leberfunktion und der Blutgerinnung auf. "Meine Leber und Niere haben aufgehört zu arbeiten", erklärt die heute 35-Jährige. Sie litt zudem an hohem Blutdruck und Wassereinlagerungen. Ab diesem Zeitpunkt habe sie um ihr Leben und das ihres ungeborenen Sohnes gekämpft.
Unzählige Schläuche
Nach Leons Geburt musste Stephanie Becher ganze vier Wochen warten, bis sie ihren Sohn das erste Mal so richtig in den Armen halten durfte. "Man wird in diese Situation reingeschmissen", beschreibt sie. Und: Die Komplikationen gingen weiter. Leon litt nach seiner Geburt an einer Darmentzündung, die in einem sogenannten Kurzdarm-Syndrom mündete. Er sei eine lange Zeit von unzähligen Schläuchen und piepsenden Maschinen umgeben gewesen. Die Ärztinnen und Ärzte in der Regensburger Klinik St. Hedwig kümmerten sich um ihn – wie sie es auch für viele andere Frühgeborene tun.
"Zwischen 70 und 90 Frühgeborene unter 1500 Gramm behandeln wir im Jahr", erklärt Dr. Holger Michel auf Anfrage von Oberpfalz-Medien. Durchschnittlich seien 10 bis 15 Intensivbetten von Frühgeborenen belegt. Michel ist Oberarzt für Kinder- und Jugendmedizin in der Neonatologie der Klinik St. Hedwig. Neben dem Gewicht spiele bei der Einschätzung der Lage aber vor allem auch die Schwangerschaftswoche an sich eine Rolle und ob andere medizinische Komplikationen vorlägen. Nach oben hin, in Abgrenzung zu reifen Neugeborenen, gebe es eine klare rote Linie.
Diese beschreibt auch das bayerische Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales in seinem Infostück "Schwanger in Bayern" sehr klar: "Eine Geburt vor Ende der 37. Schwangerschaftswoche wird als Frühgeburt bezeichnet. Diese Kinder wiegen bei der Geburt weniger als 2500 Gramm. Circa fünf bis zehn Prozent aller Geburten sind Frühgeburten. Etwa 20 Prozent aller Geburten erfolgen in Deutschland nach 37 bis 38 Schwangerschaftswochen, also immer noch zwei bis drei Wochen vor dem errechneten Termin." Zur Orientierung: Eine Schwangerschaft umfasst normalerweise 40 Wochen.
Grauzone nach unten
Eine Abgrenzung nach unten, an der Grenze der Überlebensfähigkeit, sei da schon schwieriger, erklärt der Regensburger Arzt. "Es gibt da eine Grauzone." Diese beziehe sich ungefähr auf die Schwangerschaftswochen 22 bis 24. Hier müsse man immer den Einzelfall bewerten. Denn teilweise sei hier das medizinische Risiko für die Frühgeborenen einfach noch zu groß. Das bayerische Ministerium für Familie, Arbeit und Soziales beschreibt die untere Grenze folgendermaßen: "Zwar haben heute schon extreme Frühchen mit einem Geburtsgewicht von um die 500 Gramm beziehungsweise einer Geburt etwa ab der 24. Schwangerschaftswoche durch intensivmedizinische und neonatologische Behandlung die Chance zu überleben, jedoch sind oft bleibende körperliche Einschränkungen die Folge."
Mit körperlichen Einschränkungen muss auch Leon kämpfen. Inzwischen ist er acht Jahre alt. Er sitzt im Rollstuhl. "Aber er kann sich mitteilen", sagt Stephanie Becher. Sie sei froh, dass ihr Sohn keine künstliche Ernährung brauche – trotz seines Kurzdarm-Syndroms. Und er mache immer wieder kleine, aber feine Fortschritte.
Früher habe sie oft gezweifelt und sei verzweifelt gewesen. Aber: "Leon hat mich zu der Löwen-Mama gemacht, die ich jetzt bin", sagt sie. Sie merke, dass er den Drang und Wunsch habe, zu laufen. "Mein größtes Ziel ist es, Leon auf die Beine zu bekommen", sagt sie deswegen. Stephanie Becher wolle alle Therapien und Maßnahmen ins Auge fassen, die dafür nötig sind. Sie will, das ihr Sohn irgendwann einmal ein selbstbestimmtes Leben führen und es auch genießen kann. Denn: Jeder Tag zählt. Dieser Satz hat sich ihr eingebrannt.
Das ist die Neonatologie
- Spezialeinsatz: Besonderer Bereich der Kinder- und Jugendmedizin mit den typischen Erkrankungen von Neugeborenen und mit der Behandlung von Frühgeborenen
- Einsatzorte: In Kinderkliniken und Kinderabteilungen, an Perinatalzentren und in Geburtskliniken
- Einsatzzeitpunkt: Wenn das Kind beispielsweise bereits bei Geburt oder in den ersten Wochen danach krank ist, wenn eine Fehlbildung vorliegt oder wenn es sehr früh auf die Welt kommt.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
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