Anatevka ist einfach liebenswert. Die jüdische Gemeinde ist streitbar, tratscht und feiert gerne und ist in sich geschlossen. Doch in das Dorf kommt Unruhe, als Milchmann Tevje (Sebastian Hölz) und seine Frau Golde (Tina Nicole von Falkenstein) versuchen, ihre Töchter zu verheiraten. Denn die haben ihren eigenen Kopf. Und auch ganz andere Kandidaten als ihre Eltern. Zudem bedrohen politische und gesellschaftliche Umbrüche das dörfliche Idyll.
Zur Eröffnung seiner Sommerfestspiele versetzt das Landestheater Oberpfalz (LTO) das Premierenpublikum auf der Burg Leuchtenberg mit dem Musical-Klassiker „Anatevka“ („Fiddler on the Roof“) stimmig in die besondere Atmosphäre des wohl bekanntesten Schtetls der Kulturgeschichte. Dabei fährt das LTO in der Dichte eine bis dato einmalige schauspielerische und gesangliche Qualität auf.
Besondere Besetzung
Ein außergewöhnliches Ensemble mit 20 Solisten, 25 weiteren Stimmen (Chor „RegionaLTOn“) und 5 Musikern bringt das immergrüne Heiratsthema – zuletzt auch ein Kino-Hit mit „Monsieur Claude und seine Töchter“ – witzig und mit Tiefgang auf die Bühne. Die Musical-Titel von Jerry Bock wie das gewaltige „Tradition“, das bewegende „Kleiner Spatz, kleine Chavaleh“ oder das allseits bekannte „Wenn ich einmal reich wär“ fügen sich in eine mitreißende Handlung ein, in der alle Darsteller glänzen. Allen voran der Protagonist.
Es ist wunderbar, wie Sebastian Hölz mit seinem Tevje zeigt, wie ein Mensch, der sein Herz auf dem rechten Fleck hat, weitreichenden und teils beängstigenden großen Veränderungen auf eine offene und auch nachdenkliche Art begegnen kann.
Bei Tevje gibt es in seinem Ringen mit festem Glauben, alter Tradition und Vaterliebe letztlich wenig „einerseits“ und viel „andererseits“. Mit großer Empathie – und nach tragikomischen Monologen – akzeptiert er für das Glück seiner Töchter (Barbara Trottmann, Mona Fischer, Mica Bara) letztlich die Schwiegersöhne in spe, die ihn in arge Gewissensnöte bringen. Vom armen Schneider (Johannes Aichinger), über einen sozialistischen Studenten von außerhalb (Johannes Lukas) bis hin gar zu einem russischen Christen (Eric Naumann).
Herausfordernder Stoff
Die leicht verregnete Premiere am Samstag wird zu einem besonderen Abend. Denn Regisseur Christian A. Schnell hat sich mit der Bearbeitung von „Anatevka“ einer schwierigen Herausforderung gestellt und sie grandios gemeistert. Und nicht nur wegen der mächtigen Besetzung. Auch weil das Musical in der strengen Umsetzung seines Librettos im 60. Jubiläumsjahr seiner Uraufführung Inszenierende punktuell zunehmend fordert.
Auch wenn die Zuschauer automatisch den Stoff in seinen eigenen zeitlichen Kontext setzen, erscheinen Themen wie Pogrome, Vertreibung oder der Streit der Religionen in der heutigen Rezeption der Vorlage von Joseph Stein etwas blass. Die starke Inszenierung gleicht das aber mit eindringlichen Bildern aus – von einer Familie, die zerrissenen wird, dem rührenden Abschied von Freunden und Feinden, alten Gewohnheiten und Kochtöpfen – kurz vom gesamten bisherigen Leben. Ein dramatisches Ende mit kleinsten Lichtblicken, das ein sehenswertes Stück perfekt abrundet.
LTO-Musical Anatevka
- Regie: Christian A. Schnell
- Musikalische Leitung: Thomas Basy, Chorleitung Annika Fischer
- Weitere Termine: 6., 7., 8., 9. sowie 21. und 22. Juni
- Infos und Tickets: www.landestheater-oberpfalz.de
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