Michelfeld bei Auerbach
17.05.2023 - 14:55 Uhr

Die Geschlechterrollen im Wandel: "Wann ist ein Mann ein Mann?"

Die Geschlechterrollen verändern sich, doch ein großer Unterschied bleibt – auch wenn der Freistaat Eltern Tipps bei der Erziehung gibt. Eine Oberpfälzer Faschingsgesellschaft setzt derweil ein bewusstes Zeichen für Offenheit und Toleranz.

Der Podcast mit Johannes Regn und Felix Ruhsam:

"Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark, Männer können alles." Das singt kein Geringerer als Herbert Grönemeyer. Deutschlands Musikstar widmete dem vermeintlich starken Geschlecht im Jahr 1984 einst einen eigenen Song, der im Refrain in der Frage gipfelt: "Wann ist ein Mann ein Mann?" Die Antwort auf diese Frage stand für viele Menschen lange fest: Männer sind die Geldverdiener, die Macher, die Starken, die Handwerker – und sie zeigen keine Gefühle. War ein Mann anders, fiel er aus der ihm von der Gesellschaft zugedachten Geschlechterrolle.

Doch was sind eigentlich Geschlechterrollen? Sie "umfassen die allgemeinen, gesellschaftlich akzeptierten Erwartungshaltungen an das Verhalten von Männern und Frauen in bestimmten Lebenssituationen wie Familie und Beruf, im sozialen Miteinander und im politischen Handeln", erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung. Geschlechterrollen würden damit also den Rahmen vorgeben, in dem sich Menschen unterschiedlichen Geschlechts bewegen können, ohne an gesellschaftliche Akzeptanzgrenzen zu stoßen. "Aber Geschlechterrollen unterliegen dem (gesellschaftlichen) Wandel von Einstellungen, Werten und Normen. Dieser Wandel wird getragen durch neues Wissen", beschreibt die Bundeszentrale weiter. Heißt also konkret: Geschlechterrollen können sich überholen und verändern. Was früher noch gar nicht akzeptiert wurde, kann heute schon ganz normal sein. Und genau das zeigt auch ein aktuelles Beispiel aus der Oberpfalz, das wohl im Jahr 1984, also vor knapp vier Jahrzehnten, noch für viel größere Schlagzeilen gesorgt hätte, weil mindestens einer von beiden Männern aus der damaligen männlichen Geschlechterrolle gefallen wäre.

"So eine dumme Frage"

"Wer von euch beiden ist eigentlich die Prinzessin?" Mit dieser Frage sollte man im Umfeld der Faschingsgesellschaft Michelfeld (Landkreis Amberg-Sulzbach) nämlich vorsichtig sein. "Die kostet einen Schnaps", erklärt Felix Ruhsam aus Hersbruck (26). "Wenn ich so eine dumme Frage stelle, dann kann ich auch zahlen", springt ihm Johannes Regn (27) aus Auerbach sofort zur Seite. Denn diese Frage sei unangebracht. Die Antwort gehe sowieso niemanden etwas an. Und den Leuten sollte das auch völlig "wurscht sein", wer die Ämter bei der Faschingsgesellschaft ausführt. In diesem Jahr seien es eben zwei Männer. Johannes Regn und Felix Ruhsam bilden in dieser Faschingssaison ein gleichgeschlechtliches Prinzenpaar. Beide sind am Finanzamt beschäftigt, befreundet und geben zu: "Das war eine Schnapsidee." Doch sie meinen damit nur den Entstehungsmoment des Plans. Denn die beiden wollen damit auch ein Zeichen setzen – gegen festgefahrene Rollenbilder, in diesem Fall also, dass es immer ein Faschingspaar bestehend aus Mann und Frau geben sollte. "Es muss sein, dass ein Wechsel im Denken stattfindet", stellen sie klar.

"Es geht alles, man muss es nur wollen", erklärt Elke Haberberger. Die 61-Jährige ist die Faschingspräsidentin in Michelfeld und gilt als Urheberin der "Schnapsidee". Mit dem neuen gleichgeschlechtlichen Prinzenpaar habe sie sich einen Traum erfüllt. Und auch Haberberger stellt klar: Die Michelfelder wollten mit dieser Entscheidung ein bewusstes Zeichen für Offenheit und Toleranz setzen. Fasching sei ja immer auch ein wenig Gesellschaftskritik. "Wir wollen zeigen, dass das nicht alles so festgefahren sein muss", erklärt sie. Elke Haberberger hätte es auch gut gefunden, wenn zwei Frauen ein Prinzessinnenpaar gebildet hätten. "Man muss einfach flexibel im Kopf sein", sagt sie.

Rollenverständnis der Kinder prägen

"Außen hart und innen ganz weich, werd'n als Kind schon auf Mann geeicht", singt Herbert Grönemeyer zudem in seinem Song "Männer" und spielt dabei auf die Tatsache an, dass Kinder früher bereits in bestimmte Geschlechterrollen gedrängt wurden. Um das künftig zu verhindern, hilft nun das bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mit Tipps für Eltern nach – in Form des Online-Erziehungsratgebers des Bayerischen Landesjugendamtes. Demnach sollten unüberlegte Sprüche wie "Das ist nichts für Jungen" oder "Für Mädchen gehört sich das nicht" unbedingt verhindert werden. "Solche Sätze festigen ein bestimmtes Rollenbild. Und sie verhindern, dass sich die Kinder frei ausleben", heißt es in dem Ratgeber. Und die Erziehenden werden hier auch selbst bei ihrem konkreten Handeln in die Pflicht genommen. "Eltern dienen als Vorbild. Werden die Aufgaben im Familienalltag partnerschaftlich verteilt und übernommen, prägt dies auch das Rollenverständnis der Kinder."

Knapp 40 Jahre nach der Ersterscheinung hat Herbert Grönemeyer übrigens heuer seinem Hit "Männer" auch eine eigene "Frauen"-Version hinzugefügt – mit einem Text von RBB-Moderator Philipp Schmid. Anlass war der Weltfrauentag am 8. März. Hieß es im Song aus dem Jahr 1984 noch "Oh, Männer sind allzeit bereit, Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit", singt Grönemeyer nun "Frauen kaufen gern, Frauen krieg’n zu wenig Lohn, Frauen ackern wie blöde" – was wohl auch eine Anspielung auf die immer noch klaffende Lohnlücke zwischen den Geschlechtern ist, der sogenannten Gender Pay Gap. Frauen verdienten nämlich hierzulande nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2022 im Schnitt 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer – auch weil Frauen oft in schlechter bezahlten Berufen und in Teilzeit arbeiten. Bei vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie verdienten Arbeitnehmerinnen im Mittel pro Stunde sieben Prozent weniger als Männer.

Aber eine große Gemeinsamkeit weisen beide Song-Versionen von Herbert Grönemeyer dann doch auf. Denn wie auch beim Lied "Männer" gipfelt die neue Version in dieser einen offenen Frage, die sich eben immer in einem gesellschaftlichen Wandel von Einstellungen, Werten und Normen befindet: "Frauen gehen ihren Weg auf ihre eigne Art, Frauen haben's schwer, nehmen's leicht, haben vieles schon allein erreicht, werden als Kind schon auf Frau geeicht. Wann ist 'ne Frau 'ne Frau?"

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