"Mir kommen immer noch die Tränen, es ist schrecklich", klagt Barbara Dorgan. Die gebürtige Nabburgerin lebt seit rund 20 Jahren in London, ist mit einem Iren verheiratet und hat sich als Geschäftsfrau in der Immobilienentwicklung gut etabliert. Das dachte sie zumindest, bis am 23. Juni 2016 bei einem Referendum ein knappe Mehrheit für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union stimmte. "Mein großer Sohn war damals zehn, seine Mitschüler sind bei dieser Nachricht in Tränen ausgebrochen", schildert die 48-Jährige den Einschnitt im Leben vieler EU-Bürger, die sich auf der Insel daheim fühlten.
Seither ist nichts mehr wie früher, Sicherheit ist einem permanenten Schwebezustand gewichen. "In meinem gesamten Freundeskreis hatte das keiner erwartet. Es war ein Schock, und seither ist auch nichts besser geworden", lautet die Bilanz der Wahl-Londonerin. Sie ist überzeugt, dass die Entscheidung heute anders ausfallen würde - allein deshalb weil nun mehr offene, junge Menschen nachgekommen sind und die älteren mit ihrer Abneigung gegen die EU ersetzen.
Fatale Folgen
"Wir haben uns als erstes britische Pässe für unsere beiden Kinder besorgt", schildert Barbara Dorgan die Reaktion auf diese Weichenstellung in Richtung Brexit. Die heute zwölf- und neunjährigen Buben Fionn und Lir sind schließlich in Großbritannien geboren. Wirklich beruhigend ist das aber nicht. Der Wohnungsmarkt, der auch das Metier der im Finanzwesen promovierten Geschäftsfrau betrifft, ist eingebrochen. Dorgan spricht von einem Einbruch in der Größenordnung von 15 bis 20 Prozent, das gleiche gelte auch für das Britische Pfund. "Viele Freunde von uns arbeiten im Finanzwesen, einige sind schon weg von hier", berichtet die gebürtige Nabburgerin. Sie befürchtet für die Zukunft noch viel gravierendere Auswirkungen auf die Gastronomie, das Hotelgewerbe und das Gesundheitswesen, falls es zum "No-Deal-Brexit" kommt, einem ungeregelten Austritt: "Die ganzen Pflegekräfte kommen doch aus der EU." Dass die schlimmsten Befürchtungen eintreten, kann sich die 48-Jährige angesichts engstirniger Parteienvertreter durchaus vorstellen. Einfach erschreckend sei es, wie die Politik "dieses Land kaputt macht, blind und stur". Bis zuletzt werde da Druck aufgebaut und gedroht mit einem No-Deal-Szenario. Mit Bangen sieht sie dem 29. März 2019 entgegen, an dem die Entscheidung über den Austritt und damit auch das Schicksal ihrer Familie fällt. Aber es gibt auch einen Trost. "Verglichen mit anderen sind wir noch in einer guten Situation", meint sie mit Blick auf die Heimat ihres Mannes Stephen in Irland und die Wurzeln in Nabburg.
"Auswandern wäre mir vorher nie in den Sinn gekommen, jetzt ist das definitiv eine Option." Erschwert wird die Entscheidung allerdings durch das Medizin-Studium, mit dem Barbara Dorgan gerade erst begonnen hat, außerdem seien ja auch die Kinder auf einer guten Schule. So heißt es trotz aller Besorgnis erst einmal Abwarten, auch wenn die Mutter Wert darauf legt, dass ihre Kinder als Europäer aufwachsen.
Eher pessimistisch
Immerhin kann die Familie in Krisenzeiten auf ein solides Einkommen bauen kann. "Mein Mann arbeitet als Unternehmensberater", kalkuliert die Finanzexpertin, die in Sachen Brexit eher pessimistisch ist, "und guter Rat ist auch in Zeiten der Unsicherheit sehr gefragt."
Vom Referendum bis zum Austritt
Das Ergebnis war knapp: Bei einem Referendum stimmten am 23. Juni 2016 stimmten 51,89 Prozent der Wähler für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, den sogenannten Brexit. Die britische Premierministerin Theresa May verhandelt seit fast zwei Jahren über den Austrittsprozess. Nach einer vertraglich vorgesehenen Regelung endet diese Phase am 29. März 2019. Aktuell ist geplant, dass die Briten während einer Übergangsphase bis 2021 alle EU-Regeln einhalten und weiter Beiträge zahlen sollen, aber in EU-Gremien keine Mitsprache mehr haben. Eine Abstimmung über diese Regelung im Parlament wurde jedoch verschoben, das Schicksal vieler EU-Bürger in Großbritannien ist damit weiter ungewiss. Mitte Januar stehen die ausgehandelten Bedingungen erneut zur Entscheidung an. Sollte es zu keiner Einigung kommen, bleibt ein ungeregelter Austritt – mit teils unabsehbaren Folgen.













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