Wenig überrascht sei er gewesen, sagt der Nabburger Stadtpfarrer Hannes Lorenz über das Gutachten aus der vergangenen Woche, das Papst Benedikt XVI. schwer belastet. Er wolle nichts rechtfertigen: "Was da passiert ist, das geht gar nicht." Der damalige Erzbischof Joseph Ratzinger soll über Jahre in und um München übergriffige Priester mehr oder weniger aktiv gedeckt haben. Doch Ratzinger habe so gehandelt, wie es in der katholischen Kirche zu der Zeit üblich gewesen sei, sagt Lorenz. "Der Umgang war strukturell in allen Diözesen nicht gut. Er hat das so gehandhabt, wie seine Vorgänger und Nachfolger. Hier geht es nicht um die Personalie Ratzinger." Man könne ihm nicht absprechen, dass er ein großartiger Papst gewesen sei.
Die Kirche stehe mit Recht am Pranger, so Lorenz, aber sie sollte dort nicht alleine stehen: "Missbrauch geschieht in allen Teilen der Gesellschaft. Wer Forderungen an die Kirche stellt, muss diese auch anderswo stellen, beispielsweise an Familien oder staatliche Institutionen." Auch in den 1960er- und 1970er-Jahren sei der Umgang mit Missbrauch kein ausschließlich katholisches Problem gewesen. "Wo lief es in dieser Zeit denn besser? Das kann man nicht am emeritierten Papst festmachen. Und man sollte nicht jeden katholischen Pfarrer in Sippenhaft nehmen."
Falsch entschieden, schlecht beraten
Ratzingers erste Statements, in denen er "Schock und Scham" bekundet hatte, seien ihm allerdings zu wenig gewesen. "Ich erwarte, dass er sich nochmals ausführlicher erklärt und entschuldigt." Es müsse aber auch klar sein: Ratzinger selbst werde kein Missbrauch vorgeworfen. "Er hatte das zu verwalten. Da hat er falsch entschieden und war wohl schlecht beraten. Ein Erzbischof ist primär als Theologe eingesetzt, nicht als Manager." Lorenz verweist auf Ratzingers Wirken als späterer Papst Benedikt: "In dieser Zeit hat er viel für die Aufarbeitung getan."
Der Nabburger Stadtpfarrer plädiert für einen gesamtgesellschaftlich differenzierten Umgang mit dem Thema Missbrauch. "Klar ist: Dass man damals Pfarrer nur versetzt hat und nicht härtere Maßnahmen eingeleitet hat, war falsch, aber das hat sich geändert. Jeder unserer Kindergärten hat heute beispielsweise ein Schutzkonzept – das würde ich mir auch bei anderen Einrichtungen von anderen Trägern wünschen."
"Ich war erschüttert, als ich von den Inhalten des Gutachtens erfahren habe", sagt der Schwandorfer Dekan Hans Amann. Einiges sei zu vermuten gewesen, aber nun gehe es um eine Dimension, "die krass ist". "Mein erster Gedanke ging sofort in Richtung der Opfer. Das Gutachten legt unmissverständlich zu Tage, welcher Missbrauch ihnen angetan wurde durch Vertreter der Kirche. Und es zeigt, wie Bischöfe und andere vertuscht haben." Auch mit Ratzinger selbst geht Amann hart ins Gericht: "Wo Verantwortung liegt, da ist Verantwortung – und das war seine."
Höhere moralische Messlatte
Ratzingers Verfehlungen seien natürlich in der Zeit vor seinem Aufstieg ins höchste Kirchenamt geschehen, doch das ändert laut Amann nichts daran, "dass das Problem spätestens jetzt den Vatikan erreicht hat". "Ein Mann ist Papst geworden, der Sünden begangen hat, indem er Täter geschützt hat. Das erschüttert die Kirche weiter, erneut und in all ihren Facetten." Es gebe, besonders an der Basis "mehr Aufklärungswillige als Vertuscher". "Aber wenn die merken, dass sie nichts erreichen, gibt es Frust, bis hin zum Austritt."
Auch Amann vermisst bei Ratzinger eine Entschuldigung. "Ich würde von ihm erwarten, dass er zugibt, dass in seiner Verantwortung etwas schlecht gelaufen ist, das nie hätte passieren dürfen. Er muss sagen: ‘Ich habe gesündigt und bitte um Vergebung.’ Dazu zu stehen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen, das ist die Lehre unserer Kirche. Das erwarte ich auch von einem Papst." Für die Missbrauchsfälle dürfe es keine Ausreden geben – "und in der Kirche mit unserer moralischen Messlatte schon zwei- bis dreimal nicht."
Doch dafür brauche es bei Kirchenoberen ein Umdenken. "Es muss aufhören, dass wir die Täter verteidigen. Stattdessen müssen wir die Perspektive auf die Opfer richten. Alles muss schonungslos an die Öffentlichkeit." Diese habe viel Vertrauen in die Kirche verloren, die Situation nennt Amann "hundsmiserabel". Er sei "traurig und ein gutes Stück zornig" über das Verhalten Ratzingers und das Bild, das die Kirche abgibt. "Ich liebe meine Kirche – und genau deshalb benenne ich ihre offenen Wunden."
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