Nabburg
13.11.2018 - 15:05 Uhr

Zukunft braucht Erinnerung

Der 80. Jahrestag der Reichspogromnacht geht an Nabburg nicht vorbei. Unter dem Motto "Zukunft braucht Erinnerung" hält der Bürgermeister eine Lesung im Schmidt-Haus. Er findet aufmerksame Zuhörer.

Zur Lesung unter dem Motto "Zukunft braucht Erinnerung" fanden sich über 50 Besucher im Gewölberaum des Schmidthauses ein. Bild: Freya Stöckl
Zur Lesung unter dem Motto "Zukunft braucht Erinnerung" fanden sich über 50 Besucher im Gewölberaum des Schmidthauses ein.

Über 50 Besucher waren gekommen. Über den großen Zuspruch zum denkwürdigen Vortrag bedankte sich Schärtl bei allen Anwesenden. Die musikalische Begleitung übernahmen Andrea Kleierl und Diana Daubenspeck.

Die Novemberpogrome 1938 steigerten den staatlichen Antisemitismus zur Existenzbedrohung für die Juden im ganzen Deutschen Reich. Entgegen der NS-Propaganda waren sie keine Reaktion des "spontanen Volkszorns" auf die Ermordung eines deutschen Diplomaten durch einen Juden. Sie sollten vielmehr die seit Frühjahr 1938 begonnene gesetzliche "Arisierung", also die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes und jüdischer Unternehmen, planmäßig beschleunigen, mit der auch die deutsche Aufrüstung finanziert werden sollte. Schärtl bezog sich in seiner Lesung auch auf Ereignisse in der Pogromnacht in Nürnberg, worin er die brutale Vorgehensweise unter Anführung der SA-Leute bildlich beschrieb. Inhaftierung der Juden, Zerstörung der Ladengeschäfte, Plünderungen und blinde Vernichtungswut waren dort im Gang. Er zitierte aus dem von Gabriele Ziegler und Franz Grundler geschaffenen Werk "Gedenke und erzähle" aus der Lebensgeschichte der Nabburger Familien Baum und Bruckmann.

Josef Baum, geboren 1897, besuchte bis 1905 die Volksschule Nabburg. Dann lebte er bei seinem Onkel Simon Spier in Wesel am Rhein. Er absolvierte eine Banklehre. Alle Mitglieder der Großfamilie Baum zeichnete hohe Begabung und Bildung aus. Josef Baum ging 1916 in den Krieg und als Gefangener in den Bergbau nach Russland. 1919 kehrte er zurück und übernahm das Geschäft des Vaters. 1929 heiratete er die Nabburger Katholikin Margaretha Trautner. In der Stadt wird öffentlich gegen die Heirat gehetzt. In den Jahren vor 1938 muss die Familie mit ansehen, wie die Nazis in Nabburg an Einfluss gewinnen und das Leben der Juden kontrollieren, sogar ächten. Infolge des Boykotts des jüdischen Kaufhauses gehen die Einnahmen merklich zurück. Baums Versuch, 1936 das Geschäft seiner Frau zu überschreiben, scheitert und wird mit Spott bedacht.

Seit 1919, dem Jahr der Hochzeit mit Gerta Baum, lebte Salomon Bruckmann, genannt Sally, im Haus seines Schwiegervaters in Nabburg. Das Leben Salomons war von seiner Geburt 1890 an überschattet von der Bedrohung durch lebensgefährlichen Hass. Als er kaum ein Jahr alt ist, muss die Familie nach Wesel fliehen. Der antisemitische Mob jagte die Juden der Stadt. In Wesel fördert der Lehrer und Kantor der jüdischen Gemeinde Simon Spier, der Onkel von Josef Baum, den begabten Schüler. Spier ist es, der Sally Bruckmann mit Gerta Baum aus Nabburg bekannt macht. Nach der Heirat mit Gerta wird er neben Josef Baum Mitinhaber der Firma seines Schwiegervaters. Das Ehepaar Bruckmann war wegen des hohen Engagements in der Stadt beliebt.

Das offene Unrecht begann durch Nichtbeachtung und Schikanen. Da die "Arisierung" vorsah keine freundschaftlichen Beziehungen zu Juden zu unterhalten und in deren Geschäften einzukaufen, zwang der Boykott Sally, als reisender Kaufmann umherzufahren. Fortan zitierte Schärtl weiter über die Inhaftierung, die Auswanderung des ältesten Sohnes Werner nach Palästina und den Werdegang der Familien.

Ein Aufrütteln, das Geschehene nicht zu vergessen wurde auch in vorgetragenen Auszügen aus Briefen Salomon Bruckmanns über die täglichen Schrecken und das unbeschreibliche Elend deutlich. Hier beschäftigt Bruckmann die Frage, was gerade sie verbrochen haben, so leiden zu müssen. Von Schwäche gezeichnet beschreibt er den ernsten gesundheitlichen Zustand und die menschenunwürdigen Umstände des Lebens im Ghetto. Diese Briefe sind das letzte Lebenszeichen, das von der Nabburger Kaufmannsfamilie geblieben ist. Sie starben im Ghetto oder im KZ Majdanek.

Ein erschütternder Zeitzeugenbericht von Max Landgraf über die Geschehnisse in der Reichskristallnacht 1938 zeigte abermals, welch Gräuel und Ungerechtigkeit durch die SA-Uniformierten in Verbindung mit den jüdischen Familien Baum/Bruckmann in Nabburg geschah. Landgraf wurde mit seinem Freund Erwin Fröhlich aus einem Versteck heraus Augenzeuge der unfassbaren Grausamkeit und des Verbringens der jüdischen Familien in der Ereignisnacht. Er beschrieb in seinem Bericht auch den späteren Verkauf des Textilhauses Baum-Bruckmann. Baum hat überlebt und kam, nachdem die Amerikaner Nabburg eingenommen hatten, wieder hier an. Er nahm mit Hilfe der Amerikaner das Geschäft am Unteren Markt wieder in Besitz. Schärtl lud im Anschluss an die Lesung zur Andacht an den "Stolpersteinen" ein.

Still lauschten die Gäste den vom ersten Bürgermeister Armin Schärtl vorgetragenen Zitaten von Zeitzeugen und Texten aus der ortsgeschichtlichen Fachliteratur über das Schicksal der Nabburger jüdischen Familien Baum und Bruckmann. Bild: Freya Stöckl
Still lauschten die Gäste den vom ersten Bürgermeister Armin Schärtl vorgetragenen Zitaten von Zeitzeugen und Texten aus der ortsgeschichtlichen Fachliteratur über das Schicksal der Nabburger jüdischen Familien Baum und Bruckmann.
Feierliches Gedenken an den "Stolpersteinen" mit Kerzen und Blumen. Bild: Freya Stöckl
Feierliches Gedenken an den "Stolpersteinen" mit Kerzen und Blumen.
 
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