Wenn der Schafferhof bebt, dann gibt "Dreiviertelblut" Vollgas. Schon bei ihrem letzten Auftritt im April 2016 in Neuhaus sorgten sie für richtig viel Stimmung. Dieses Mal haben die Künstler um Sebastian „Wastl“ Horn und Gerd Baumann noch ordentlich draufgelegt – selbst der Chef vom Schafferhof, Reinhard Fütterer, ist bereits in der Konzertpause wortwörtlich „geflashed“. Und das mehr als zurecht. Denn das, was dem Publikum an diesem Abend geboten wird, ist schwer in passende Worte zu fassen. Da tanzen die Teufel („Deifedanz“) und die Toten („Campo Santo“). Da wird im Odl geschwommen („Odlgruomschwimmer“) und die Angebetete verwandelt sich in einen Werwolf, bevor sie in der Straßenbahn entschwindet („Lupa di Roma“). Da spielt die Trompete um die Wette mit der E-Gitarre und stille, besinnlich-gefühlvolle Stücke wechseln sich ab mit Stücken voller Kraft und Geschwindigkeit.
Der „Wastl“, der Gerd und alle Mitglieder von "Dreiviertelblut" liefern eine Vorstellung ab, die nicht nur technisch einfach perfekt ist – jeder Ton, jede Note und jedes Geräusch sitzt. Sie spielen mit so viel Gefühl, so viel Kraft und so viel Emotion, dass der ausverkaufte Saal brodelt und bebt – und sich so mancher bei den ruhigen Stücken sicherlich eine Träne verdrücken muss. Die Mischung aus Jazz, Blues, Landler, Stubenmusik, Rap, Rock, ja fast Hard-Rock, lässt kaum einen der Zuschauer ungerührt. Aus der Bühnenpräsenz von Horn und der wunderbar melancholisch-fröhlichen Musik entsteht ein Gesamtkunstwerk. Es ist nicht nur ein Konzert, es ist Theater, es ist Komödie, es ist Drama, es ist eine Show, die einfach nur genial und beeindruckend ist.
Das Konzert läuft unter dem Namen des neuen Albums „Diskothek Maria Elend“, das am 28. September neu erschienen ist. Auf dem neuen Album bleiben "Dreiviertelblut" ihrem gewohnten Mix aus düster-traurigen Stücken, ernsten Themen, aber auch viel Humor und Leichtigkeit treu. Ebenso beim Konzert auf dem Schafferhof. Die gut 180 Zuschauer bekommen einen wunderbaren Mix aus alten und neuen Stücken geboten.
Die Tagespolitik bleibt bei diesem Auftritt und den Liedern vom neuen Album außen vor – zumindest weitestgehend. Auch wenn so mancher Journalist in die Lieder gerne etwas mehr hineininterpretiert, als eigentlich gedacht ist, erzählt Horn bei einer der amüsanten Zwischeneinlagen. Bei „Wos übrig bleibt“ heißt es etwa in der ersten Zeile: „Gräi is des wos übrig bleibt, wann die Sunn auf’d Wies’n scheint“ und damit sei keine politische Partei gemeint, sondern einfach der Lichtanteil, der vom Gras reflektiert wird, wenn die Sonne auf eine Wiese scheint – grün. Der Text sei rein philosophisch zu verstehen und nicht politisch.
Aber auch "Dreiviertelblut" hat Stücke auf dem Album und im Konzert, in denen sich die politischen Entwicklungen der letzten Jahre widerspiegeln. So herrschte während dem Stück „13 Minuten“ im Publikum absolute Stille – und viele Besucher dürften Gänsehaut bekommen haben. Wie Horn vorher erklärte, lässt "Dreiviertelblut" darin Georg Elser, den Widerstandskämpfer, einen Abschiedsbrief an seine Frau verfassen. Aber auch „Der Sturm“, das bereits auf dem Vorgängeralbum „Finsterlieder“ enthalten ist und auch 2016 auf dem Nockherberg gespielt wurde, berührt die Zuhörer tief.
Aber "Dreiviertelblut" wäre nicht "Dreiviertelblut", wenn sie die Gäste nicht sofort wieder aus den trüben Gedanken reißen würden. Entweder mit einem absolut mitreißenden Musikstück, oder mit einer der vielen kleinen Anekdoten und dem witzigen Gefrotzel, mit dem sich Baumann und Horn gegenseitig auf der Bühne aufziehen. Da erzählt Horn, wie er als Kind in die „Odlgruam“ gefallen ist und wie daraus das Lied „Odlgruamschwimmer“ entstanden ist. Da wird die Hüpfburg zum Übernachtungszelt mit Meteoritenabwehr in der Baumann besonders viel im Halteverbot schlafen muss. Schließlich hat er, Baumann, in der „Inspirationskette“ nur seine Träume als Inspirationsquelle – und schließlich gebraucht Horn ihn immer selbst zur Inspiration. Da erfährt man, dass Horns Opa ihm beigebracht hat, wie man so aus Bierflaschen trinken kann, dass diese schön zwitschern. Was Horn jetzt auch seinen fünf Kindern beibringt. Er erzählt, dass Baumann ihm einen „Maulkorb“ verpasst hat, weil er bei einem der letzten Auftritte mehr als zehn Minuten über Ernest Rutherfords Goldfolien-Versuch referiert hat. Und plötzlich fliegt dann eine große, musikalische Fliege auf der Bühne herum. Perfekt von Florian Riedl auf der Klarinette imitiert, der so das nächste Stück einleitet.
Nach ordentlich Feuer beim „Deifedanz“ entlässt Dreiviertelblut die Gäste mit sanften Klängen und viel Gefühl ins „Paradies“. Denn auch Sebastian Horn (Gesang), Gerd Baumann (Gesang, Gitarre), Dominik Glöbl (Flügelhorn, Trompete, Gesang), Andi Haberl (Posaune, Schlagzeug), Luke Cyrus Goetze (Gitarre, Labsteel, Dobro), Benny Schäfer (Kontrabass) und Florian Riedl (Klarinette, Bassklarinette, Moog) wissen jetzt ganz „g‘wiss, dass‘s Paradies am Schafferhof is“. Nach knapp drei Stunden und zwei Zugabe-Runden geht ein einzigartig-atemberaubender Abend viel zu schnell vorbei. Um es mit "Dreiviertelbluts" Worten zu sagen: Grazie, Obrigado, Arigato, Cheers und Dankeschön für dieses Erlebnis.
Georg Elser (geboren am 4.1.1903) hatte am 8. November 1939 versucht, Hitler und die NS-Führungsspitze im Bürgerbräukeller in München durch einen Bombenanschlag umzubringen. Er scheiterte jedoch, da Hitler und sein Führungsstab 13 Minuten bevor die Bombe detonierte, das Gebäude schon verlassen hatten. Am 9. April 1945, gerade einmal ein Monat vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde Elser im KZ Dachau heimlich hingerichtet.
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