Neuhaus/Windischeschenbach
04.10.2019 - 14:57 Uhr

Training nach dem Terror in Neuhaus

Wohl jeder Politiker wird sich wünschen, dass diese Millioneninvestition überflüssig ist. Doch leider spricht in der Realität viel dagegen, etwa Anschläge oder Amokläufe. Wie Retter damit umgehen, sollen sie demnächst in Neuhaus trainieren.

In diesem Café soll es künftig alles andere als gemütlich zugehen. Rettungskräfte werden dort bald schon üben, was zu tun ist, sollte inmitten von Cappuccinotrinkern und Flaneuren ein Attentäter eine Bombe zünden oder um sich schießen. Die Fäden für solche Szenarien laufen bei Daniel Pröbstl (links) und Thomas Haas zusammen. Bild: Sonja Kaute
In diesem Café soll es künftig alles andere als gemütlich zugehen. Rettungskräfte werden dort bald schon üben, was zu tun ist, sollte inmitten von Cappuccinotrinkern und Flaneuren ein Attentäter eine Bombe zünden oder um sich schießen. Die Fäden für solche Szenarien laufen bei Daniel Pröbstl (links) und Thomas Haas zusammen.

Die Abkürzung BayZBE wird in den nächsten Jahren wohl jeder einmal hören, der sich haupt- oder ehrenamtlich in einer bayerischen Blaulicht-Organisation engagiert. Der erste Bauabschnitt, intern Phase I genannt, des „Bayerischen Zentrums für besondere Einsatzlagen“, ist nahezu fertig. Es ist in der gleichen Halle wie die Atemschutzstrecke der nordoberpfälzischen Feuerwehren im Gewerbegebiet Neuhaus untergebracht und wird am 13. Dezember mit reichlich Tamtam eröffnet.

Wenn alles klappt, werden gleich zwei Innenminister ein rotes Band durchschneiden. Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann hat bereits zugesagt, der im Bund zuständige Horst Seehofer, der das Projekt als Ministerpräsident mit aufs Gleis gesetzt hat, ist angefragt.

In ihren Reden werden sie wohl die Hoffnung ausdrücken, dass das, was dort ab Januar entworfen wird, nie eintritt. Leider ist es aber traurige Rubrik jeder Nachrichtensendung. In Kurzform: Wie verhalten sich Sanitäter, Feuerwehrleute oder Rettungsassistenten bei Geiselnahmen, Amokläufen, Terroranschlägen?

„Es war mal in der Überlegung, die Einrichtung Terrorabwehrzentrum zu nennen, aber das trifft es nicht. Wir können keinen Terror abwehren“, sagt Thomas Haas, einer der beiden Geschäftsführer des BayZBE. „Es geht darum, Einsatzkräfte für Gefahren zu sensibilisieren, die so nicht im normalen Alltag auftreten. Dabei arbeiten wir eng mit dem bayerischen Innenministerium zusammen“, ergänzt Haas’ Kollege Daniel Pröbstl.

Zu den Übungsanordnungen gehören auch drastische Szenarien, etwa: Wie erkenne ich den Attentäter mit Sprengstoffgürtel, der sich zur Tarnung unter die Verletzten eines Anschlags gemischt hat?

Um all dies realitätsnah abbilden zu können, sind in der Halle jede Menge technische Raffinessen versteckt. Jede einzelne Einsatzkraft kann über zwei Leitstände in ihrer Position verfolgt werden. Steht sie am richtigen Ort? Bewegt sie sich richtig? Verhält sie sich dem Befehl entsprechend? Jeder Winkel des 5000 Quadratmeter umfassenden Baus ist 360-Grad-videoüberwacht. Modernste Kameras mit LED-Infrarot liefern auch bei absoluter Dunkelheit gestochen scharfe Bilder. Dazu ist Simulationstechnik von Spezialfirmen aus Wien und Ingolstadt verbaut. Die übrigen Gewerke bedeuteten Arbeit für heimische Handwerker. Insgesamt werden in Phase I fast bis zu vier Millionen Euro investiert.

Das beinhaltet verschiedenste Einsatzkulissen: zwei Klassenzimmer von Schulen, eine Ladenpassage samt Modegeschäft und Umkleiden, ein Shisha-Café, ein Café mit Freisitz, ein Büro und sogar ein Linienbus.

Sollte jemand um sich geschossen haben, müssen sich Feuerwehrleute oder Sanitäter in so einem Umfeld sicher und zielorientiert bewegen können. An Komparsen oder Puppen wird dabei die Versorgung von Schuss- oder Stichverletzungen simuliert.

„Wir werden die einzelnen Einsatzlagen mit Hilfe von aufwendigen Soundeffekten, Film- und Lichttechnik so realitätsnah darstellen, dass zum Beispiel auf offenes Feuer verzichtet werden kann“, unterstreicht Pröbstl. So kann etwa auf einer 4,50 mal 8 Meter großen Leinwand plötzlich ein Lastwagen auftauchen, der auf eine Menschenmenge zurast.

„Für weiße Hilfsorganisationen (Ausnahme Polizei, d. Red.) gibt es in Europa wahrscheinlich nichts Vergleichbares“, betont Haas. Die Pilotphase läuft noch im Oktober an, ab Januar können die ersten Retter anreisen. In der Regel trainieren zunächst zwei Gruppen von Ehrenamtlichen am Wochenende. Voraussetzungen für Übungen an Wochentagen sind ebenfalls gegeben. 16 bis 20 Personen sind die ideale Stärke, bei Volllast können es auch schon mal 40 bis 50 sein.

Wer kommen will, muss sich zunächst auf einer interaktiven E-Learning-Plattform anmelden. Jede Einsatzkraft bekommt dafür einen Code zugewiesen und muss danach die für den Lehrgang notwendigen Grundlagen durchexerzieren. Ähnliches wie das Online-Szenario erwartet die Teilnehmer dann in Neuhaus – in der Halle und im Freien auf der vorgelagerten Kiesfläche.

Doch das ist noch längst nicht alles. Von einem benachbarten Mittelständler hat die BayZBE gGmbh schräg gegenüber eine große Wiese gepachtet. Noch im ersten Quartal 2020 sollen dafür die Planungen mit Phase II beginnen. Dahinter steckt ein Neubau auf 23 000 Quadratmetern, der „schnellstmöglich“ erfolgen soll. Dort sollen dann auch biologische und chemische Gefahrenlagen trainiert werden, etwa das Entweichen giftiger Stoffe oder Keime.

Im Haushalt des Freistaats sind dafür alles in allem 18 Millionen Euro eingestellt. Davon dürften auch örtliche Betriebe profitieren, allen voran solche, die mit Verpflegung zu tun haben. Die übenden Gruppen aus ganz Bayern werden zum Großteil im Gasthof „Zum Waldnaabtal“ untergebracht. „Auch die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn von der Metzgerei Witt bis zu Bergler ist super“, schwärmt Pröbstl.

Nur die Zoiglkultur sollten die Lehrgangsteilnehmer vor der Übernachtung nicht allzu intensiv erforschen. Schließlich kann am nächsten Morgen in der Halle schon wieder ein Selbstmordattentäter lauern.

Vier Gesellschafter:

Das BayZBE beschäftigt sieben Vollzeitkräfte und etwa 30 Trainer. Die Geschäftsführer sind Daniel Pröbstl aus München, der vom Roten Kreuz kommt, und Thomas Haas aus Landshut vom Malteser Hilfsdienst. Neben diesen beiden Organisationen sind die Johanniter-Unfallhilfe und der Arbeiter-Samariter-Bund Gesellschafter der gemeinnützigen BayZBE-GmbH, die Anfang August gegründet wurde. Darin ist der operative Betrieb ausgelagert. Neben den vier Gesellschaftern sind auch die DLRG, das THW und das Medizinische Katastrophen-Hilfswerk Deutschland beteiligt. Ziel ist nicht die medizinische Qualifikation oder die rettungsdienstliche Ausbildung, sondern das Trainieren der fehlerfreien Anwendung des zuvor Gelernten. (phs)

Auf dieser Wiese im Gewerbegebiet Neuhaus soll ein weiterer Bau entstehen, in dem der Umgang mit Katastrophen geübt wird, die mit chemischen und biologischen Stoffen zu tun haben. Bild: Sonja Kaute
Auf dieser Wiese im Gewerbegebiet Neuhaus soll ein weiterer Bau entstehen, in dem der Umgang mit Katastrophen geübt wird, die mit chemischen und biologischen Stoffen zu tun haben.
Windischeschenbach22.02.2019
 
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