"Hatten Sie Angst, als Sie im Ballon waren?", lautete eine von zahlreichen Fragen, die Schüler der 9. und 10. Klassen der Mittelschule Neunburg in einem Forum in der Turnhalle an Günter Wetzel richteten. "Ich hatte weder Angst noch sonstige Gefühle, ich musste einfach funktionieren", war die Antwort des Mannes, der am 16. September 1979 zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern sowie der ebenfalls vierköpfigen Familie Strelzyk mit einem selbst genähten Ballon aus der damaligen DDR geflohen ist. In Naila fand das Abenteuer einen glücklichen Abschluss.
Die Jugendlichen erfuhren durch ihre Fragen die Hintergründe, die zu dieser spektakulären Flucht geführt hatten. Für den 1942 geborenen Wetzel, dessen Hobby das Fliegen ist, war klar, "dass die Flucht nur auf dem Luftweg erfolgen könne". Dieser Gedanke verfolgte ihn ständig, und nachdem er in Familie Strelzyk Gleichgesinnte gefunden hatte, wurde der Bau des Ballons angegangen. Drei Versuche waren notwendig, bis er herausfand, dass 900 Quadratmeter Regenmantelstoff nötig waren für 4000 Kubikmeter Ballon.
Von Stasi bespitzelt
Ausführlich berichtete er von seinen negativen Erfahrungen mit der Stasi, die ihn bespitzelte, was auf großes Interesse der Schülerinnen und Schüler stieß. Die DDR bedeutete für ihn "eingeschränktes Leben, eingeschränkte persönliche Freiheit sowie keine Reise- und Meinungsfreiheit". Nachdem der Ballon fertig war, wurde die Flucht mit acht Personen angetreten. Als jedoch nach 28 Minuten die Luft immer mehr ausging und eine Notlandung anstand, war die bange Frage: "Sind wir jetzt im Westen oder nicht?" Sie waren sogar neun Kilometer nach der Grenze gelandet.
"Wenn die Flucht schiefgegangen wäre, hätten sie uns eingesperrt und unsere Kinder in andere Familien gesteckt", machte Wetzel deutlich. Allerdings hatte er sich bei der Landung einen Muskelfaserriss zugezogen und musste ins Krankenhaus. "Wir wurden sehr herzlich aufgenommen." Der Bürgermeister bot ihnen eine Wohnung an, "und der einsetzende Medienrummel sicherte uns die finanzielle Existenz, bis ich als KFZ-Mechaniker umschulen konnte."
Film von Michael Bully Herbig
Den Mauerfall, zehn Jahre nach der Ballonflucht, habe er mit großer Freude aufgenommen, konnte er doch jetzt seine Verwandten wieder besuchen. Über die Ballonflucht wurde ein Film von Michael Bully Herbig gedreht, der in den Kinos Aufsehen erregte, und der auch in der Schule einige Tage vor der Interviewrunde gezeigt wurde.
Die Mittelschüler wurden bereits am Vormittag in Workshops mit dem Themenblock DDR und Flucht konfrontiert und entwickelten zusammen mit Katharina Kempken und Christian Hermann vom Thüringer Archiv für Zeitgeschichte den Fragenkatalog, der am Nachmittag umgesetzt wurde. Für Fragen der Schüler stand auch der Thüringer Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Matthias Wanitschke, zur Verfügung. Die Initiative zu diesem Treffen mit Günter Wetzel kam von Konrektor Stefan Haberl, der in seiner Kollegin Eva Ellerstorfer-Eisenhardt Unterstützung fand. Auch Rektor Georg Tischler begrüßte das Projekt und dankte allen Beteiligten.
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